Welches waren die gefährlichsten Städte in der UdSSR?

Geschichte
BORIS JEGOROW
Zeitweise terrorisierten Banden die Einwohner dieser Städte so brutal, dass die Behörden die Armee zu Hilfe rufen mussten - einmal sogar den legendären Marschall Schukow persönlich.

Odessa

Odessa ist seit den Tagen des Russischen Reiches für seine Gangstertraditionen berüchtigt.  In der Sowjetzeit hat sich die Kriminalitätsrate nicht wesentlich verbessert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie sogar noch schlimmer. Die Zahl der Kriminellen überstieg die Zahl der Ordnungskräfte um ein Vielfaches.

Nur ein sehr verzweifelter Mensch oder ein ortsunkundiger Besucher wäre damals nachts durch die Straßen von Odessa gestreift. Aber auch ein Haus war nicht immer ein sicherer Ort. Banden wie die „Tschernaja Koschka“ („Schwarze Katze“) und „Dodsch ¾“ überfielen immer wieder Wohnungen und metzelten manchmal ganze Familien brutal nieder, bevor sie spurlos in einem ausgedehnten Netz von Katakomben in ehemaligen Steinbrüchen unter der Stadt verschwanden.

Schließlich beschlossen die sowjetischen Behörden, die lokale Kriminalität auszurotten. Die Streitkräfte wurden hinzugezogen, um das Problem zu lösen. Das Militär war unmittelbar von der Kriminalität in Odessa betroffen, da es nicht ungewöhnlich war, dass Offiziere der Sowjetarmee, die in den Ferienort gekommen waren, selbst zu Opfern wurden.

1946 traf „Siegesmarschall“ Georgi Schukow in Odessa ein und wurde zum Kommandeur der Truppen des Bezirks Odessa ernannt. Für ihn bedeutete der neue Posten de facto ein Exil, da Stalin den allzu beliebten Militärkommandanten weiter von der Hauptstadt entfernen wollte.

Es heißt, dass Schukow in Odessa eine Geheimoperation namens „Maskerade“ initiierte. Polizisten und Offiziere des militärischen Geheimdienstes verkleideten sich in Zivil und gingen nachts als Lockvögel auf die Straßen der Stadt, um Verbrecher zu fangen. Diejenigen, die versuchten, sie auszurauben, wurden ohne Vorwarnung erschossen. Angeblich wurden im Laufe einiger Monate Hunderte von Kriminellen auf diese Weise ausgeschaltet.

Auch wenn diese Geschichte heute angezweifelt wird, ist die Zerschlagung der kriminellen Unterwelt von Odessa durch den Marschall in kurzer Zeit eine unbestrittene Tatsache.

Rostow-am-Don 

Rostow-am-Don war stets der unrühmliche Hauptkonkurrent von Odessa im Kampf um den Titel der kriminellen Hauptstadt des Russischen Reiches. Die kriminellen Welten der beiden Städte waren so eng miteinander verflochten, dass es unter Gangstern sogar einen Ausdruck gab: „Rostow-Papa, Odessa-Mama".

Die Rostower Kriminellen wurden in den späten 1960er Jahren in der gesamten Sowjetunion bekannt. Damals wurde die so genannte „Fantômas“-Bande ins Leben gerufen. Sie brachen in Filialen der Staatsbank ein, bewaffnet mit speziell angefertigten Pistolen und mit schwarzen Strümpfen über dem Kopf (daher der Name).

Die Aktionen der Gangster waren so präzise geplant, dass die Polizei eine Zeit lang sogar vermutete, dass „Fantômas" Verbindungen zu westlichen Geheimdiensten hatte. Im Jahr 1973 wurden endlich die drei Mitglieder der Bande gefasst, verurteilt und durch ein Erschießungskommando hingerichtet.

1979 trat anstelle von „Fantômas" eine weitaus brutalere Bande namens „Tscherni Kapitan" („Schwarzer Kapitän“) auf. Die drei Samoilenko-Brüder und ihr Freund Sergei Leschennikow machten es sich zur Aufgabe, Autos auf der Straße anzuhalten, die Insassen (manchmal ganze Familien) zu töten, alles Wertvolle an sich zu nehmen und die Autos in Seen und Flüssen zu versenken.

Nachdem sie bei einem ihrer Angriffe einen Polizeihauptmann erschossen hatten, nutzten die Bandenmitglieder dessen Uniform, um ahnungslose Autofahrer anzuhalten. So entstand der Name. 

Die Bande überlebte jedoch nicht lange. Im März 1980 wurden alle ihre Mitglieder verhaftet. Einer der Brüder starb in einer SIZO-Zelle (Untersuchungshaftanstalt) an einer Leberzirrhose. Die beiden anderen wurden hingerichtet. Leschennikow kam mit einer fünfzehnjährigen Haftstrafe davon.

Die Stadt war gerade zur Ruhe gekommen, als es zu neuen Anschlägen kam. Als Sanitäter getarnte Kriminelle verschafften sich Zugang zu Wohnungen, beraubten und töteten ihre Bewohner. Die „Banda Sanitarow“ („Bande der Sanitäter") hatte dafür gesorgt, dass viele Menschen ihre Wohnungstür für Sanitäter oder Ärzte nur noch mit großem Unbehagen öffneten. 

Die „Sanitäter“ raubten nicht nur, sondern waren auch aktiv in den Drogenhandel in Rostow am Don verwickelt, da es ihnen gelungen war, einflussreiche Gönner in den Strukturen der Strafverfolgungsbehörden zu gewinnen. Diese Unterstützer halfen Dutzenden von Kriminellen, mit ihren Taten davonzukommen, bevor es schließlich doch noch gelang, die Bandenmitglieder festzusetzen. Nur einer der Verdächtigen wurde zur Todesstrafe verurteilt, einige wenige erhielten bis zu fünfzehn Jahre Gefängnis, die meisten kamen jedoch glimpflich davon.

Kasan

In den 1970er Jahren wurde die Hauptstadt der Tatarischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (Tatarische ASSR) von einer Welle der Jugendkriminalität überrollt. Zahlreiche Banden kämpften untereinander um die Vorherrschaft und terrorisierten die Bevölkerung mit Raub, Mord, Vergewaltigung und Autodiebstahl.

Die mächtigste Bande war zu dieser Zeit „Tjap Ljap". Junge Leute, die weder tranken noch rauchten (das war streng verboten), lebten in Kellern von Häusern, wo sie auch trainierten.  Mit mehr als dreihundert gut ausgebildeten Kämpfern gelang es der Gruppe, sich an die Spitze der Unterwelt der Stadt zu setzen.

„Tjap Ljap"-Mitglieder verprügelten nicht nur ihre kriminellen Rivalen aus anderen Bezirken, sondern die Bande organisierte auch gerne so genannte „Runs"“ Bewaffnet mit allem, was sie hatten, schlugen sie jeden, der sich ihnen in den Weg stellte.

Am 29. August 1978 war die Geduld der örtlichen Polizei bei einem dieser „Runs“ endgültig erschöpft. Die Bande eröffnete das Feuer auf einen Passagierbus, tötete mehrere Menschen und verletzte viele weitere Menschen, darunter eine schwangere Frau. Drei Polizisten, die versuchten, die Verbrecher aufzuhalten, wurden ebenfalls schwer verwundet.

Die Strafverfolgungsbehörden erklärten der Bande den Krieg. Mehrere Dutzende ihrer Mitglieder fanden sich bald vor Gericht wieder und wurden zu unterschiedlichen Strafen verurteilt. Einer der drei Anführer der Gruppe, Zaidat Chantemirow („Djawda"), wurde durch ein Erschießungskommando hingerichtet.

Zwei weitere Rädelsführer, Sergej Antipow („Antip") und Sergej Skrjabin („Skrjaba"), kehrten nach Verbüßung ihrer Haftstrafe zu ihren bevorzugten Praktiken zurück, allerdings als Teil anderer krimineller Gruppen. Beide kamen vermutlich in den rücksichtslosen Bandenkriegen um, die Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion heimsuchten.