Um das Handwerk der Einbrecher in der UdSSR zu beschreiben, sollten wir einen Profi zu Wort kommen lassen. Seine Methode mag unerwartet erscheinen.
„Ich habe mich vorbereitet, einen Monat im Voraus“, erzählte mir ein betagter Einbrecher aus St. Petersburg. „Man benötigte ein wenig Kapital, um ein ganzes Schlafwagen-Abteil in einem Zug in den Süden – zum Beispiel nach Sotschi – kaufen zu können. Am Tag der Abfahrt des Zuges begann meine ,Showʻ. Ich tat so, als ob ich spät dran sei, rannte auf den Bahnsteig und suchte nach geeigneten ,Kundenʻ – eine Familie mit Kind, die bereits Fahrkarten im Liegewagen in ,meinemʻ Zug gekauft hatte. Dann begann der Bluff: Ich überzeuge sie, dass ich ein ganzes Abteil für meine Familie gekauft hatte, aber meine kleine Tochter erkrankt sei und meine Frau mit ihr und dem fünfjährigen Sohn zu Hause geblieben war, aber da ich den Urlaub auf Arbeit bereits beantragt hatte, musste ich die Reise alleine antreten und die anderen drei Fahrkarten konnte ich nicht mehr zurückgeben! Ob sie denn nicht aus ihrem Liegewagen in mein Schlafwagenabteil wechseln wollten – für die Hälfte oder sogar ein Viertel des Preises?
Schließlich dauerte die Fahrt von Leningrad in den Süden mehr als anderthalb Tage! Und wer will die schon im Großraumschlafwagen mit ständig nervenden Passagieren verbringen, wenn es die Möglichkeit gibt, in einem separaten Schlafwagenabteil zu reisen! Und der Mann scheint ,ganz normalʻ zu sein – denken die Eltern... Die Tatsache, dass der Zug wenige Minuten später abfährt, hilft sehr bei einem solchen Bluff, denn die Entscheidung muss schnell getroffen werden. Kurz, ich reise mit ,meinerʻ Familie im Schlafwagenabteil in den Süden.
Die Schlafwagenschaffner kannte ich alle schon – ich besorgte also eine Flasche Weinbrand und Snacks und wir rauchten mit dem Familienvater im Vorraum des Waggons... Ich war der Spaßvogel, ein lustiger Kerl... Wir erzählten uns Geschichten über Leningrad, wer wo wohnt, wir sprachen über den schlecht projektierten Grundriss der Wohnungen... (Ich kann über jeden Grundriss sprechen, ich kenne alle Standardwohnungen wie meine Westentasche – dass braucht man in meinen Beruf! Das wissen meine ,Fahrgästeʻ natürlich nicht).
,Ich habe mir vor kurzem eine polnische Anrichte gekauft, mit einem ganz praktischen Schrank, in dem ich meine Ersparnisse aufbewahreʻ, erzähle ich nach einem weiteren Glas Weinbrand.
,Wer bewahrt denn heutzutage noch sein Geld im Schrank auf, wo doch so viel gestohlen wird! Wir bewahren unser Geld in der Waschmaschine unter der Schmutzwäsche auf, sagt die Frau ganz offen.“
Leonid Kurawjow speilete einen Einbrecher imm sowjetischen Film Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf.
Leonid Gaidai/Mosfilm, 1973In der UdSSR gab es keine Banken – man war der Meinung, dass Wucher in einer sozialistischen Gesellschaft keinen Platz hat. Den Bürgern wurde geraten, ihre Ersparnisse bei einer Sparkasse einzuzahlen. Den meisten Sowjetbürgern fehlte es jedoch an finanziellen Kenntnissen und sie hatten Angst, ihr Geld auf ihr Sparbuch einzuzahlen. Diejenigen, die gut mit Geld umgehen konnten, wollten auf keinen Fall Schlange stehen, um Bargeld vom Sparbuch abzuheben. Sie zogen es vor, ihre Ersparnisse zu Hause zu behalten oder in Luxusgegenstände zu investieren, die sie dann auf dem Schwarzmarkt weiterverkaufen konnten, insbesondere Schmuck, Kassettenrekorder, Fernseher, Armbanduhren und Pelzmäntel. Auf diese Dinge hatten es die Einbrecher abgesehen.
Eine Frau mit einem Tonbandgerät. So etwas hätte leicht zur Beute eines Einbrechers werden können.
Scherbakov/SputnikUnter diesen Dieben gab es eine Spezialisierung: Fassadenkletterer brachen durch Fenster in Wohnungen ein und seilten sich manchmal von Dächern ab. „Medweschátniki“, wie Safeknacker im russischen Jargon genannt werden, brachen Türen und Tresore auf, manchmal mit Dietrichen und manchmal mit schwererem Gerät. Es gib eine Legende, laut der eine schwere Metalltür mit einem Wagenheber aus ihrem Rahmen gehoben wurde.
Doch jeder groß angelegte Diebstahl begann in erster Linie mit einer Auskundung. In einem Interview mit der ukrainischen Zeitung Sewódnja sagte ein ehemaliger Einbrecher: „Zuerst schauen wir uns zufällig ausgewählte Häuser von außen an, wir suchen uns Wohnungen aus, die schon von weitem reicher aussehen als andere – mit teuren Vorhängen oder einem verglasten Balkon. Da die Eigentümer sich so etwas leisten können, sollte in der Wohnung auch Geld zu finden sein. Wir wählen in einem Hausaufgang nicht nur eine, sondern gleich drei bis vier Varianten aus und brechen da ein. Als Erstes sehen wir uns die Schlösser an. Ich verrate Ihnen ein Berufsgeheimnis: Je mehr Schlösser, desto schwächer die Tür! Das heißt, wenn da fünf oder gar zehn Schlösser sind, weiß man, dass man sich mit ihnen nicht herumschlagen muss und es einfacher ist, die Tür einfach einzutreten. Aber das ist nichts für Profi-Einbrecher – zu viel Lärm! Wir arbeiten schnell und unauffällig.“
Wenn eine Wohnung über einen längeren Zeitraum ausgekundschaftet wird, wird sich angeschaut, was für ein Auto die Besitzer fahren, ob sie teure Kleidung und Schuhe tragen. Nachdem festgestellt wurde, dass die Leute wohlhabend sind, wird in die Wohnung eingebrochen. „Angenommen, wir haben geklärt, ob wir das Schloss knacken können. Wir klingeln erst einmal an der Wohnungstür. Wenn jemand zu Hause ist, öffnet er normalerweise die Tür oder will wissen, wer da ist. Dann fragen wir nach Wassja-Petja-Marina. Nein? Entschuldigung, wir haben uns geirrt. Von drei oder vier Varianten klappt es in der Regel bei einer immer: Die Schlösser sind leicht zu öffnen und die Besitzer sind nicht zu Hause“, berichtet der Einbrecher.
Dietriche
GeoTrinity (CC BY-SA 3.0)Wohnungseinbrüche waren in der UdSSR ein ernsthaftes Problem. Im Jahr 1960 wurden 210.374 Einbrüche registriert – doppelt so viele wie noch vier Jahre zuvor! Es gab 100 Diebstähle pro 100.000 Einwohner. Und nach dem Strafgesetzbuch von 1960 wurde Diebstahl mit bis zu drei Jahren Gefängnis, Einbruch sogar mit bis zu sechs Jahren Gefängnis bestraft, ebenso wie wiederholter Diebstahl und Diebstahl mit technischen Mitteln (z. B. mit einem Dietrich oder einem Nachschlüssel). Rückfällige Diebe mussten mit einer Haft von bis zu 15 Jahren rechnen. Im Jahr 1961 stieg die Zahl der Diebstähle sogar noch auf 224.000!
Professionelle Einbrecher versuchen immer, ihre Einbrüche durchzuführen, wenn die Eigentümer nicht in der Wohnung sind. Dies ist einfacher, wenn der Diebstahl langfristig vorbereitet wird und aufgrund eines Tipps durchgeführt wird. Um zu verstehen, wann die Bewohner gehen und kommen, musste man verfolgen, wann abends das Licht in der Wohnung eingeschaltet und wann der Briefkasten geleert wurde. Schließlich konnte man die Stromzählerstände kontrollieren – in den meisten sowjetischen Häusern befanden sie sich außerhalb der Wohnungen, im Treppenhaus, und waren leicht einzusehen. Es gab auch subtilere Methoden, wie z. B. Zigarettenasche unter den Fußabtreter vor der Tür zu streuen.
Wenn man herausgefunden hat, wann die Eigentümer nicht zu Hause sind, kann man sich sicherer fühlen. „Wenn du auf einen Tipp hin arbeitest und sicher bist, dass der Vermieter nicht unerwartet vorbeikommt, kannst du eine halbe bis eine Stunde in der Wohnung bleiben. Das ist genug Zeit, um alles auf den Kopf zu stellen: Fußleisten und Verkleidungen abziehen, Kissen ausnehmen, Winterstiefel überprüfen und so weiter. Dann gehst du folgendermaßen vor: Zuerst nimmst du das, was der Tippgeber dir mitgeteilt hat, und dann beginnst du mit der ,Überprüfungʻ des Hauses.“
Ein prächtiges Wohnhaus aus der Stalin-Ära in der Twerskaja-Straße in Zentrum Moskaus.
Ivan Shagin/MAMM/MDF/russiainphoto.ruAbgesehen von Kissen und Stiefeln werden zuerst alle Vasen und Blumentöpfe, Schrankschubladen und Schränke überprüft, dann Bücher, Bettwäsche, Gläser mit Eingemachten und Gewürzen. Im Allgemeinen alles, was sich mit wenigen Handgriffen durchsuchen lässt. Diebe mögen es allerdings nicht, sich durch Haufen von Müll zu wühlen. „Auf dem Balkon kann man leicht etwas vor Dieben verstecken: Wenn es sich um eine ,Blitzaktionʻ handelt und der Balkon vollgemüllt ist, bleibt keine Zeit, alles durchzuwühlen. Außerdem ist es gefährlich, hier herumzustöbern – die Nachbarn könnten es bemerken“, so der „Rat“ des Einbrechers.
Die Kriminalitätsstatistiken aus der Sowjetzeit blieben lange Zeit unveröffentlicht; die ersten Daten wurden erst gegen Ende der Sowjetzeit freigegeben. Nach der Perestroikazeit, Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre nahmen die Kriminalität im Allgemeinen und Einbrüche im Besonderen überhand. Heute, da das russische Bankensystem funktioniert, werden die Ersparnisse nicht mehr in Pelzmäntel und Schmuck investiert und Einbrüche spielen keine so große Rolle mehr wie in der Sowjetunion.
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