Wie aus der Lieblingssängerin von Nikolaus II. eine sowjetische Spionin wurde

Gemeinfrei
Nadeschda Plewizkaja hatte ihr ganzes Leben lang davon geträumt, Musik zu machen. Doch die Revolution von 1917 durchkreuzte ihre Pläne.

„Sie zog alle in ihren Bann, vom Monarchen bis zu seinem letzten Untertan, mit ihrer typisch russischen Schönheit und ihrem überragenden Talent", schwärmte der Maler Alexander Benois über Nadeschda Plewizkaja, eine der beliebtesten und gefragtesten Sängerinnen des Russischen Reiches zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie genoss ihr Bohème-Leben, die Liebe und ihr Heer von Bewunderern, darunter auch Zar Nikolaus II. selbst. Sie konnte nicht ahnen, welchen Weg das Schicksal für sie vorgesehen hatte, der nur wenig mit Gesang zu tun hatte.

Die „Nachtigall von Kursk“

Nadeschda Plewizkaja (geborene Winnikova), die aus einer einfachen Bauernfamilie in der Provinz Kursk stammte, schaffte es dank ihres außergewöhnlichen Talents und ihres Ehrgeizes auf die renommiertesten Bühnen des Landes. Russische Volkslieder, gesungen von ihrem erstaunlichen Mezzosopran, wurden zur Visitenkarte der Sängerin.

Der Theaterkritiker Alexander Kugel, der ein Konzert von Nadeschda in Kislowodsk besuchte, beschrieb seine Gefühle: „Wenn Plewizkajas Stimme erklang, kam eine Leichtigkeit auf, die Wiesen wehten, der reife Roggen duftete, die Kornblumen färbten sich blau und es schien, als ob das Land tief Atem holte … Ich hörte ihr zu und war zu Tränen gerührt.“ 

Auf besondere Einladung hin trat die Sängerin auch vor der kaiserlichen Familie auf. Nach dem Konzert kam Nikolaus II. auf sie zu und sagte: „Ich habe Ihnen heute mit großem Vergnügen zugehört. Man hat mir gesagt, dass Sie nie singen gelernt haben. Und das müssen Sie auch nicht! Bleiben Sie, wie Sie sind. Ich habe viele ausgebildete Nachtigallen gehört, aber diese sangen für das Ohr, Sie aber singen für das Herz!“ Der Monarch drückte seine Hand auf sein Herz und fügte hinzu: „Das einfachste Lied erhält durch Deine Interpretation eine Bedeutung und berührt mich hier.“

Während des Ersten Weltkriegs ging die „Nachtigall von Kursk" (wie der Kaiser sie nannte) an die Front, wo sie als Krankenschwester in einem Lazarett diente und außerdem die Moral der Soldaten aufrechterhielt, indem sie vor ihnen auftrat. Für ihren selbstlosen Einsatz wurde Plewizkaja mit dem „Sankt-Anna-Orden" ausgezeichnet.

Im Exil

Der Wirbelsturm des Bürgerkriegs, der Russland erfasste, ging auch an der berühmten Sängerin nicht spurlos vorüber. Plewizkaja befand sich ursprünglich auf sowjetischem Territorium und trat für die Soldaten der Roten Armee auf, landete aber durch Zufall in einem Lager der Weißen, wo sie eine neue Liebe fand - einen jungen General namens Nikolai Skoblin.

Porträt von Nadeschda Plewizkaja.

Gemeinsam mit ihm verließ sie Russland nach dem Sieg der Bolschewiki. Das Paar zog nach Frankreich und unternahm ausgedehnte Reisen durch Europa und die USA, wo Nadeschda erfolgreich Konzerte für russische Emigranten gab, die sich nach ihrer verlorenen Heimat sehnten.

Ihr Publikum war jedoch sehr begrenzt, und das ausländische Publikum interessierte sich überhaupt nicht für russische Volkslieder. Infolgedessen geriet die Sängerin in finanzielle Nöte. Doch dann trat der sowjetische Geheimdienst auf den Plan. 

Die rote „Nachtigall“

Die Vorgängerorganisation des KGB, die Gemeinsame Staatliche Politische Direktion (OGPU), hatte Nikolai Skoblin und seine Frau schon seit geraumer Zeit im Visier. Der General bekleidete nämlich eine der Schlüsselpositionen in der so genannten „Russischen Allmilitärischen Union" (ROVS) - der größten Organisation weißer Emigranten, die sich im Kampf gegen die Sowjetunion engagierte.

Am 2. September 1930 besuchte Skoblins Mitstreiter Peter Kowalski, der im Bürgerkrieg für die Weißen gekämpft hatte und nun unter dem Pseudonym „Silwestrow“ für die OGPU arbeitete, das verzweifelte  Paar. Er rekrutierte sie und versprach ihnen Amnestie und die Möglichkeit, in die UdSSR zurückzukehren, wo ihm eine gute Stellung in der Roten Armee und ihr eine glänzende Gesangskarriere in Aussicht gestellt wurde. 

Nadeschda Plewizkaja and Nikolai Skoblin.

Der General und seine Frau, die unter den Decknamen „Bauer" und „Bauernmädchen" operierten, wurden von ihren neuen Auftraggebern großzügig entlohnt und versorgten im Gegenzug die Sowjetunion sieben Jahre lang mit wertvollen Informationen über die Aktivitäten der ROVS. Dank ihnen gelang es dem KGB unter anderem, 17 Agenten der Organisation in der UdSSR zu neutralisieren und 11 Unterschlüpfe in Moskau, Leningrad (heute St. Petersburg) und im Südkaukasus auszuheben. 

Der wichtigste Fall der „Bauern“ war die Beteiligung an der Entführung von General Jewgeni Miller, dem Leiter der ROVS, der nach Moskau gebracht und bald darauf hingerichtet wurde. Es war Skoblin, der seinen Chef am 22. September 1937 zu dem verhängnisvollen Treffen mit zwei angeblichen Mitarbeitern der deutschen Botschaft brachte (die Emigranten beschlossen, auf das Dritte Reich als Unterstützer zu setzen, was die Sowjetunion zwang, aktiver gegen sie vorzugehen), die sich als sowjetische Agenten entpuppten.

Jewgeny Miller.

Miller ahnte wohl etwas und hatte eine Nachricht hinterlassen, in der er Ort und Zeit des Treffens nannte und zudem schrieb: „Der Termin wurde auf Skoblins Initiative hin arrangiert. Es könnte eine Falle sein."   

Nachdem der General verschwunden war, suchten die ROVS-Offiziere nach dem wahrscheinlichsten Urheber des Vorfalls, aber es gelang Skoblin, ihnen zu entwischen. Mit Hilfe der Sowjetunion wurde Nikolai Skoblin nach Spanien gebracht, wo er bald darauf in den Wirren des dortigen brutalen Bürgerkriegs auf mysteriöse Weise spurlos verschwand.

Die „Nachtigall von Kursk“ wurde am  24. September von der französischen Polizei verhaftet. Obwohl man bei der Durchsuchung eine Dechiffriertabelle bei ihr fand, bekannte sie sich nicht schuldig.

Nadeschda Plewizkaja wurde dennoch der „Komplizenschaft bei der Entführung und Gewalt gegen General Miller“ und der Spionage für die Sowjetunion beschuldigt. Sie wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, wobei der damalige französische Präsident Albert Lebrun es ablehnte, sie zu begnadigen.

Die Sängerin verbüßte ihre Strafe im Gefängnis von Rennes, als Frankreich von den deutschen Truppen besetzt wurde. Am 1. Oktober 1940 starb sie unerwartet im Alter von 56 Jahren. Bei ihrem Tod hatten womöglich die Nazis ihre Finger im Spiel, die ihre Personalakte sorgfältig studiert hatten.

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