Warum war der russische Adel ständig verschuldet?

Kira Lisitskaya (Foto: Public domain; Legion Media)
Adelige machten häufig Schulden, wobei sie sich das Geld sowohl von Privatpersonen als auch vom Staat liehen. Wir erklären, warum selbst die Reichsten in die Schuldenfalle gerieten und wie sie daraus herauskamen (und ob sie es jemals schafften).

Warum verschuldete sich der Adel? 

Es gibt einen Mythos über den sagenhaften Reichtum des russischen Adels, jener Menschen mit Titel, Privilegien und zaristischem Protektorat. Aber Adliger ist nicht gleich Adliger. Es gab solche (und nicht wenige), deren tatsächlichen Einkünfte aus dem Gut so gering waren, dass sie kaum für einen salonfähigen Lebensstil und ein paar anständige Fracks reichten. 

Der Adelstitel verpflichtete sie jedoch zu einem angemessenen Lebensstil. Der standesgemäße Konsum war ein wichtiger Ausgabenposten. Dazu gehörten Ausgaben für Lebensmittel, Kleidung, Bücher und Dekoration für das Haus, Bildung, Unterstützung von Verwandten, umfangreiche Geschenke für wichtige Personen, Reisen usw. Es kamen Ausgaben hinzu, die auf jeden jungen Adligen zukamen, etwa die obligatorische „Grand Tour“ - eine Bildungsreise nach Europa, um bei berühmten Gelehrten zu studieren. So machte man sich mit den neuesten Strömungen in der Musik, Philosophie oder Ökonomie vertraut oder übte sich in der Reitkunst.

Selbst die Wohltätigkeit, eine Art freiwilliger Spende, war für den Adel ein Anlass, sich Geld zu leihen. „Und weitere 15 Rubel werden für das vergangene Jahr geschuldet“, schrieb Alexander Woronzow, Staatskanzler im Russischen Reich, in sein Einnahmen- und Ausgabenbuch über die Schulden für eine Spende an die Kirche.

Am kostspieligsten war der Bau. Ein eigenes Haus zu haben, war ein Zeichen von Prestige.

Ein Adliger hatte in der Regel mehrere Einkommensquellen (z. B. sein Landgut und die Bauern, die für ihn arbeiteten, sowie sein Gehalt im Staatsdienst). Allerdings erhielt er die Einkünfte aus seinen Gütern bestenfalls zweimal im Jahr: Die dienenden Adligen lebten in der Hauptstadt, während sich die Güter in den weit entfernten Provinzen befanden, und die Gutsverwalter konnten es sich nicht leisten, häufig Geld einzutreiben.

Die Gehälter wurden auch nicht oft ausgezahlt, etwa dreimal im Jahr. In schlechten Erntejahren konnte ein Gut sogar unrentabel sein und der Grundherr musste in diesem Fall auf eigene Kosten für den Unterhalt der Bauern sorgen. Auch konnten die Gehälter zurückgehalten oder gekürzt werden. So betrug beispielsweise das Jahresgehalt eines Gerichtsassessors (eine sehr angesehene Stellung) im 18. Jahrhundert 300 Rubel, das eines Notars 150-200 Rubel und das eines Richters 600 Rubel. Ein Pud (16,3 kg) Schinken kostete 40 Kopeken, ein Pud Qualitätsmehl 30 Kopeken, ein Hut zwei Rubel, eine edle Livree mit Goldborte (Kleidung für Diener und Kutscher) 70 Rubel. Adelige erhielten also nur wenige Male im Jahr Geld und kannten nur die ungefähre Höhe Ihres Einkommens, während sie die Ausgaben für das alltägliche Leben laufend bestreiten mussten. Verständlicherweise gerieten Angehörige dieses Standes oft in finanziellen Verzug. Und schlimmer noch: Viele wussten nicht einmal, wem und wie viel sie wirklich schuldeten. 

Wer waren die Geldgeber des Adels? 

Der soziale Status des Adels ermöglichte ihm den Zugang zu einfachen Krediten, die in Russland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufkamen. Im Jahr 1754 wurde die erste Adelsbank (Dworjanksij sajemnyj bank) eröffnet, die ausschließlich dem Adel Darlehen gewährte. Seit dem Jahr 1769 konnte Russland Anleihen im Ausland aufnehmen. So kam das Russische Reich an viel Geld, das mit großer Leichtigkeit verliehen und ausgegeben werden konnte. 

Es wurde außerdem eine neue gesetzliche Regelung eingeführt, nach der adelige Personen, die nicht über genügend Geld für den Unterhalt ihres Anwesens verfügten, einen Kredit beim Staat aufnehmen konnten. Dafür zahlten sie Zinsen. In Wirklichkeit konnte das für den „Bestandserhalt“ vorgesehene Geld jedoch für alles Mögliche ausgegeben werden. Niemand kontrollierte das. 

Es war auch möglich, sich bei einer beliebigen Bank Geld zu leihen, was faktisch ebenfalls ein staatlicher Kredit war, weil alle Banken Eigentum des Staates waren. Bankdarlehen wurden auch zur Refinanzierung von Krediten verwendet: Ein großer Kredit bei einer Bank wurde aufgenommen, um private Schulden zu tilgen. 

Ein Adliger konnte sich von Personen eines niederen Standes - Kaufleuten und seinen eigenen Bauern - Geld leihen. Wenn er das Geschäft eines Händlers aufsuchte, konnte er die Ware nehmen und darum bitten, den Kaufpreis anzuschreiben. Dies wurde von den Kaufleuten bereitwillig akzeptiert, da sie wussten, dass selbst Todesfall des Adligen seine Schulden wahrscheinlich zurückgezahlt werden würden. Für den Händler war allein die Tatsache, dass ein Adliger bei ihm kaufte, eine gute Werbung.

Das Gut konnte sozusagen über „zwei Kassen“ verfügen, eine für den Grundherrn (die Einnahmen der bäuerlichen Gemeinschaft für den Grundherrn) und eine für die Bauern. Wenn dem Grundbesitzer das Geld ausging, nahm er es aus der Bauernkasse und zahlte es später zurück. 

Wie diese Schulden zurückgezahlt wurden

Der Adel folgte einer unausgesprochenen Regel der Schuldentilgung. Zuerst wurde der Staat bedient, dann der Adel (aber nicht aus dem nächsten Umfeld), danach die Kaufleute, die Verwandten und zuletzt die Bauern.

Um den Überblick über ihre Ausgaben zu behalten, führten manche Kassenbücher, ein Instrument der Finanzbuchhaltung, mit dem sich alle Ausgaben festhalten ließen. Dies taten aber nicht alle. Tatsächlich kamen oft erst nach dem Tod eines Adligen alle Schulden ans Licht. Die Verwandten gaben sogar Zeitungsannoncen auf, wie „Adeliger verstorben, der finanzielle Verpflichtungen hat, bitte innerhalb von sechs Monaten melden“.

Die Liquidation von Schulden war kompliziert und konnte sich über Jahre hinziehen; schließlich mussten die Kinder eines verstorbenen Adligen für dessen Schulden aufkommen. Man versuchte dennoch, sie zu begleichen. Hohe Schulden wurden durch den Verkauf von Grundstücken gedeckt. Der Adel war um seinen Ruf besorgt. Und es konnte schwieriger werden, Töchter zu verheiraten oder eine dienstliche Beförderung zu erhalten.

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