Das Terem: Ein goldener Käfig für russische Adelsfräuleins

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Der einzige Ausweg aus diesem scheinbaren Märchenschloss war die Heirat oder der Rückzug ins Kloster. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen eines Terem.

Das Wort Terem ist in russischen Märchen häufig anzutreffen, um einen Holzpalast zu beschreiben,  in dem Adelsfräuleins lebten. Er ist groß und luxuriös, mit geschnitzten Türen und verzierten Fenstereinfassungen. Ein echter Traum für jede Märchenfigur! Aber war das Terem wirklich so wunderbar für seine tatsächlichen Bewohner?

Was war ein Terem?

Das Terem von Väterchen Frost. Weliki Ustjug, Gebiet Wologda.

Ein Terem bezeichnet einen separaten Wohnbereich, der von adeligen Frauen des moskowitischen Russlands bewohnt wurde. Man bezeichnete so die oberen Etagen eines Herrenhauses oder Schlosses. Wie im Märchen waren sie tatsächlich mit Holzschnitzereien, Balkonen und Türmen geschmückt und sie hatten manchmal goldene Dächer.  

Auch bei der Innenausstattung wurde nicht gespart. Teure Teppiche bedeckten die Böden, die Wände und Gewölbedecken waren mit leuchtenden Fresken bemalt – sie stellten die Sterne, die Sonne und den Mond dar.

War das Terem ein Gefängnis?

Im Russischen haben die Wörter „terem“ und „tyurma“ („Gefängnis“) einen gemeinsamen Ursprung, der „ein hohes, erhöhtes Wohngebäude" (laut Dahls Wörterbuch) bedeutet. Im Mittelalter war es unter adligen Slawen üblich, getrennte Wohnräume für Männer und Frauen zu haben. Letztere wurden sorgfältig von der Außenwelt (und natürlich von anderen Männern) abgeschirmt. Diese Terems im Obergeschoss, in denen sie praktisch in völliger Abgeschiedenheit lebten, wurden speziell für sie eingerichtet. Geschichten über eine Jungfrau, die von einem tapferen Prinzen aus einem Turm gerettet wurde, haben dort ihren Kern.

Das Leben der Frauen aus Bojarenfamilien war nach heutigen Maßstäben wenig beneidenswert. Eine Frau konnte das Elternhaus nur unter zwei Umständen verlassen: um zu heiraten und im Terem ihres Mannes zu leben oder um in ein Kloster zu gehen. Und Mädchen, vor allem aus der Zarenfamilie, entschieden sich nicht selten für die zweite Option (aus offensichtlichen Gründen, es gab nicht genug Fürsten). Von Freizügigkeit konnte jedenfalls keine Rede sein.

Männern und Jungen über 12 Jahren war das Betreten des Terems verboten. Nur Kinder, Mädchen, der Hausherr oder ein Priester durften die Schwelle überschreiten. Junge Frauen konnten auf ihrem Balkon wandeln, vom Turm schauen oder zum Gottesdienst gehen. Dahin fuhren sie jedoch in Kutschen, deren Fenster verhängt wurden. Frauen von adliger Geburt mussten in der Kirche so sitzen, dass niemand ihr Gesicht sehen konnte.

Die Damen verbrachten einen großen Teil ihres Lebens im Terem mit Sticken und Näharbeiten für Klöster oder die eigene Garderobe.

Natürlich waren bei weitem nicht alle Frauen mit dieser Art von Lebensstil zufrieden. Historiker kennen Beispiele, in denen eine „Lockerung der Bedingungen“ erlaubt war: So durfte Natalja Naryschkina (1651-1694), die Frau des Zaren Alexej Michailowitsch und Mutter Peters des Großen, in einer Kutsche mit offenen Fenstern zur Kirche fahren und den Terem häufiger als üblich verlassen. Und unter Peter dem Großen wurde die Isolation der Frauen ganz beendet. Er hob die Geschlechtertrennung offiziell auf und etablierte den Bau von Häusern nach westlichem Vorbild.

Terem in der Architektur

Terem-Palast im Kreml.

In Russland sind nicht allzu viele Beispiele antiker Terems erhalten geblieben. Sie stammen alle aus einer späteren Zeit und wurden als Mauerwerk errichtet. Eines davon ist der Terem-Palast im Kreml, der in den 1630er Jahren im Auftrag von Michail Fjodorowitsch, dem ersten Zaren der Romanow-Dynastie, gebaut wurde. Während sich gewöhnliche Bojarenhäuser auf zwei oder drei Stockwerke beschränkten, waren es hier ganze fünf. Die hölzernen Terems der Zarentöchter sind nicht erhalten geblieben, aber Fotografien der gemauerten Prunkräume geben einen Eindruck von der damaligen prächtigen Innenausstattung des gesamten Palastes.

Im Moskauer Kolomenskoje-Park befindet sich eine moderne Kopie des Holzpalastes von Alexej Michailowitsch aus dem 17. Jahrhundert in Originalgröße.

Kolomenskoje-Park.

Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts kam der Terem mit der wachsenden Beliebtheit des „russischen Stils“ wieder in die Architektur zurück.

Jussupow-Kammer in Moskau, Anfang des 20. Jahrhunderts.

Wohlhabende Familien sowohl in Russland als auch in Europa gaben ihren gemauerten Villen das Aussehen eines Terems, indem sie Türmchen, kleine Balkone und geschnitzte Details hinzufügen ließen.

Jetzt wissen Sie, was ein Terem ursprünglich wirklich war.

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