Wer brannte Moskau während des Krieges mit Napoleon im Jahr 1812 nieder?

Geschichte
BORIS JEGOROW
Die Russen glaubten, die Stadt sei von Napoleons Truppen zerstört worden. Die Franzosen waren sich jedoch sicher, dass sie von Einheimischen niedergebrannt worden war. Wer trug wirklich die Schuld an der Tragödie?

Das Feuer zerstörte 6.000 der 19.000 Häuser und dabei fast die Hälfte der Kirchen der Stadt, die Universität mit ihren Archiven und die Herrenhäuser mit ihren Kunstsammlungen. Mehr als 2.000 schwer verwundete Soldaten der russischen Armee, die nicht evakuiert werden konnten und dann dem Feind überlassen wurden, kamen ums Leben.

Das Feuer brannte fünf Tage lang und schwelte an einigen Stellen bis zum Abzug der Franzosen aus der Stadt Ende Oktober. Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld an der Barbarei, aber wer war der wahre Schuldige?

Die wilden Russen?

„In der Stadt brechen ständig Brände aus, und jetzt ist klar, dass die Ursachen dafür nicht zufällig sind“, erinnerte Cesare De Laugier, ein Offizier der „Grande Armée“: „Es hat sich herausgestellt, dass die Brandstifter auf Befehl von Rostoptschin und Polizeichef Iwaschkin gehandelt haben. Die meisten Verhafteten entpuppen sich als Polizeibeamte, die als Kosaken, Gefangene, Beamte und Seminaristen getarnt waren.“

Die Franzosen nannten den Moskauer Generalgouverneur Fjodor Rostoptschin als Hauptverantwortlichen für die Tragödie. Philippe-Paul de Ségur, der zu Napoleons Gefolge gehörte, schrieb, dass auf seinen Befehl hin zahlreiche Raketen und andere brennbaren Substanzen hergestellt wurden.

Der Gouverneur der Stadt äußerte oft emotional, dass er Moskau lieber zerstören würde, als es dem Feind zu überlassen. Bereits im August schrieb er in einem Brief an Fürst Pjotr Bagration, dass das Volk, sollte der Feind kommen, „die Stadt in Schutt und Asche legen und Napoleon anstelle der Beute den Ort bekommen würde, an dem sich die Hauptstadt befand (gemeint ist die damalige Hauptstadt des russischen Reiches St. Petersburg – Anm. v. Russland Beyond). Es ist nicht schlecht, ihm das mitzuteilen, damit er nicht mit Millionen und ganzer Lager voller Brot rechnet, sondern mit Kohle und Asche.“

Rostoptschin verbrannte demonstrativ sein Gut Woronowo bei Moskau und befahl in letzter Minute, die Lebensmittelvorräte „so weit wie möglich in Sichtweite des Feindes“ in Brand zu setzen (die Franzosen löschten diese Brände meist sofort). Ein solcher Schritt wie die totale Zerstörung der Stadt konnte vom Generalgouverneur allerdings nur auf direkten Befehl des Oberbefehlshabers der Russischen Armee, Michail Kutusow, oder von Zaren Alexander I. selbst unternommen werden. Es gibt jedoch keine Dokumente, die solche Anordnungen oder Berichte über die Ausfuhrung enthalten.

Die Moskauer Polizei hatte weder die Zeit noch die Möglichkeit, Sabotageakte zu verüben. Unmittelbar nach der Lagebesprechung im Dorf Fili am 13. September, bei dem die Armeeführung beschloss, Moskau zu verlassen, bat Kutusow Rostoptschin, Polizisten zu schicken, um die Truppen, die den Franzosen buchstäblich auf den Fersen waren, durch die Stadt in südöstlicher Richtung zu führen.

Schließlich war sich Rostoptschin der Tausenden von verwundeten russischen Soldaten bewusst, die in der Stadt verblieben waren und die im Falle einer allgemeinen Feuersbrunst unweigerlich sterben würden. So geschah es schließlich.

Die verachtenswerten Franzosen?

Die russische Seite gab ihrerseits den Franzosen die Schuld an der Katastrophe von Moskau. Bereits in den Berichten der Oktober-Regierung werden sie als „verachtenswerte Brandstifter“ bezeichnet und die Brandstiftung als Werk eines „verdorbenen Geistes“ beschrieben. 1814, nach dem Einmarsch der russischen Armee in die französische Hauptstadt, erklärte der Diplomat Semjon Woronzow: „Wir werden als Barbaren betrachtet, und die Franzosen, die aus irgendeinem unbekannten Grund als das gebildetste Volk gelten, haben Moskau niedergebrannt, aber wir haben Paris erhalten.“

In einem seiner Briefe an Woronzow schrieb Rostoptschin: „Bonaparte hat mich, seine Niederträchtigkeit auf andere abwälzend, als Brandstifter bezeichnet, und viele glauben ihm“, heißt es in einer anderen Nachricht.

Der französische Kaiser hatte jedoch keinen Grund, die Stadt, in der seine zahlreichen Truppen untergebracht waren, niederzubrennen. Außerdem beteiligte er sich persönlich an den Löscharbeiten und wäre beinahe selbst im Feuer umgekommen.

Der Grund für die Tragödie könnte die zügellose Plünderung durch die Soldaten der „Großen Armee“ gewesen sein. Einem der Franzosen, die nach Moskau kamen, zufolge „frönten sie der Plünderung und jeder Art von Gewalt; viele von ihnen bezahlten ihre Gier mit dem Leben: mehr als 6.000 Soldaten erstickten am Rauch der Häuser, die Feuer fingen, nachdem sie in sie eingedrungen waren, um zu plündern.“

Selbst de Ségur gab, bevor die Franzosen die Brandstifter ergriffen und erschossen hatten, seinen Landsleuten die Schuld an der Katastrophe: „Es schien den meisten, dass die Ursache des Feuers die Trunkenheit und Zügellosigkeit unserer Soldaten war, und dass der starke Wind die Flammen nur noch angefacht hatte.“

Geteilte Schuld

Die Zeitzeugenberichte sind voll von widersprüchlichen Aussagen über die Schuld der einen oder anderen Seite an den Ereignissen in Moskau. Auch die Historiker, die sich seit zwei Jahrhunderten streiten, konnten keinen Konsens finden.

In den letzten Jahren neigen die Forscher jedoch zu der Hypothese, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt und dass beide Seiten schuldig sind.

Rostoptschin ist auf jeden Fall für die Katastrophe verantwortlich, so oder so. Auf seinen Befehl hin wurden die Lagerhäuser in Brand gesetzt, und vor allem hatten  alle Feuerwehren die Stadt verlassen.

Die Fackeln wurden sowohl von patriotischen Bürgern als auch von jenen mitgenommen, die in dem allgemeinen Chaos plündern wollten. Die verkleideten Infiltratoren der russischen Armee mögen auch eine Rolle gespielt haben, aber sie traten meist erst nach der Katastrophe in Erscheinung.    

Ein wichtiger Grund für das Auftreten zahlreicher Brandherde war das Verhalten der Soldaten der „Großen Armee“, die vor dem Hintergrund des allgemeinen Zusammenbruchs der Disziplin die Stadt völlig ausgeplündert hatten, ohne sich um den Brandschutz zu kümmern, und manchmal absichtlich Häuser und Geschäfte in Brand setzten. Ein starker Wind wehte durch die Stadt, und das Feuer nahm schnell zerstörerische Ausmaße an, da immer mehr Menschen die Stadt verließen und es keine funktionierenden Behörden gab.

Während des Vaterländischen Krieges von 1812 hatte Moskau mehr zu leiden als jede andere Stadt des Russischen Reiches. Es dauerte zwei Jahrzehnte, bis sich die Stadt vollständig erholt hatte.