Warum wurden alle Ausländer in Russland „Njemzy“ genannt?

Geschichte
ALEXANDRA GUSEWA
Im modernen Russisch werden die Bewohner Deutschlands nicht als „германцы“ (germanzy, dt.: Deutsche), sondern als „немцы“ (njémzy, dt.: Stumme) bezeichnet. Und im alten Russland nannte man fast alle Europäer so.

„Иноземцы“ (inosémzy, dt.: „Fremdländer“), „чужестранцы“ (tschuschestránzy, dt.: „Fremdlinge“) oder einfach „нехристи (njéchristy, dt.: „Gottlose“, wörtlich: „Nicht-Christen“) – was gab es in Russland nicht alles für Bezeichnungen für Ausländer. Der am weitesten verbreitete Spitzname war jedoch „njémzy“. Wie kam es dazu dazu?

Woher kamen die „njémzy“?

Bereits im 10. Jahrhundert werden in der Nestor-Chronik, der ersten russischen Chronik, in der Rus die „njemzy“ erwähnt – so wurden die Missionare des Papstes genannt, die den russischen Fürsten zur Annahme ihres Glaubens bewegen wollten.

Später gab es viele verschiedene Ausländer in Russland, aber alle wurden oft wahllos nur als „njemzy“ bezeichnet. Schließlich konnten sie kein Wort Russisch sprechen und waren scheinbar „stumm“.

Historisch betrachtet gab es in der Rus immer viele Auswanderer aus Deutschland, weit mehr als aus allen anderen Ländern. Seit dem 12. Jahrhundert kamen Kaufleute, Ärzte und Handwerker hierher und im 16. Jahrhundert wurde sogar die „Njemezkaja sloboda“ (Deutsche Vorstadt) gegründet. Sogar die Zaren selbst warben aktiv um Fachleute und Spezialisten, zum Beispiel aus dem militärischen oder technischen Bereich. Peter der Große galt weithin als germanophil – in seinem engsten Gefolge befanden sich zahlreiche Söhne Deutschlands. Aus diesem Grund wurde im Russischen die Bezeichnung „njemzy“ mit ihnen in Verbindung gebracht.

Die russische Zarin Katharina II. war eine ethnische Deutsche. Sie gab ihren Landsleuten die Erlaubnis, sich im Wolgagebiet anzusiedeln (und deren Nachkommen leben noch heute in Russland) – so entstand der Begriff „Russlanddeutsche“.

Wie Ausländer in Russland sonst noch genannt wurden

Ausländer wurden der Einfachheit halber zwar als „njemzy“ bezeichnet, aber doch war man in Russland in der Lage, zwischen Vertretern verschiedener Nationen zu unterscheiden, und zu verschiedenen Zeiten wurden auch andere Spitznamen erfunden.

Die ersten Fremden, die die slawischen Stämme auf dem Gebiet des alten Russlands sahen, waren wahrscheinlich die Wikinger. Nach der verbreitetsten Geschichtstheorie waren sie die ersten Herrscher der Rus und die Gründer des russischen Staates – die slawischen Stämme sollen die „Waräger“ aufgefordert haben, über sie zu herrschen.  „Waräger“ wurden in der Rus eigentlich alle Skandinavier genannt. Außerdem wurde der bekannte Handelsweg von Europa nach Byzanz auf den Wasserstraßen Russlands als „Von den Warägern zu den Griechen“ bezeichnet.

Die massivste „Invasion“ von Ausländern in der Rus fand im 13. Jahrhundert statt – das Eindringen der Tataren und Mongolen. Auch diese „Basurmani“ (dt.: „Andersgläubige“) sahen recht fremd aus und bekannten sich zum Islam. Viele Gelehrte glauben, dass das Wort „Basurmanin“ eine Verballhornung von „Muslim“ ist. Diese Bezeichnung wurde nicht nur für diejenigen verwendet, die den Islam praktizierten, sondern auch für viele andere Ausländer, vor allem aus Asien.

Während die meisten Ausländer aus Westeuropa in der Regel als „njemzy“ bezeichnet wurden, gab es eine Ausnahme bei den Italienern. Man gab ihnen den Spitznamen „friasin“ oder „friag“. Vermutlich stammt es von dem Wort „franc“ ab und weist auf deren romanische Herkunft hin. Im 15. Jahrhundert wurden zahlreiche italienische Architekten nach Russland eingeladen – sie bauten die Mauern und Kathedralen des Moskauer Kremls und andere Festungsanlagen.

Viele von ihnen, die im Land blieben und sich assimilierten, bekamen sogar den Nachnamen „Frjasin“ – so wurde zum Beispiel  Aloisio de Caresano zu Alewis Frjasin, Antonio Gilardi  zu Anton Frjasin und der Diplomat Giambattista Della Volpe zu Iwan Frjasin.