Während des russischen Bürgerkriegs entstand im östlichen Teil Russlands die Demokratische Fernöstliche Republik. Sie wurde auf Initiative Moskaus geschaffen. So beabsichtigten die Bolschewiki, Japan zu stoppen, das die Unterwerfung des russischen Fernen Ostens anstrebte. Wie also sah Lenins schlauer Plan aus?
Die Japaner waren an einer groß angelegten Intervention der Entente-Mächte in Russland beteiligt, die von Großbritannien angeführt wurde. Die Alliierten waren mit dem Rückzug Sowjetrusslands aus dem Ersten Weltkrieg nach dem Friedensvertrag von Brest im März 1918 unzufrieden und stellten sich auf die Seite der Weißen Bewegung, deren Führer geschworen hatten, den Kampf gegen die Deutschen nach dem Sturz der Bolschewiki und deren Machtübernahme fortzusetzen. Die in verschiedenen Teilen des Landes gelandeten westlichen Truppen hatten es jedoch nicht eilig, die Rote Armee offen zu bekämpfen, sondern zogen es vor, sich im Rücken ihrer russischen Verbündeten zu halten.
Mitte 1919 begann die Entente, über einen schrittweisen Rückzug der Armeen aus Russland nachzudenken: Der Erste Weltkrieg war zu diesem Zeitpunkt bereits zu Ende, und die Hoffnung auf einen Zusammenbruch der Regierung Lenin schwand von Tag zu Tag. Doch Japan hatte nicht nur nicht die Absicht, russischen Boden zu verlassen, sondern begann im Gegenteil, seine militärische Präsenz aktiv auszubauen.
„Der Weltkrieg hat Japan ein unerwartetes Geschenk gemacht – einen unangetasteten Schatz – Sibirien. Die Japaner ... sollten sich die sibirische Schatzkammer aneignen ... Die Angliederung an Japan – nicht im Sinne einer Invasion, sondern im wirtschaftlichen Sinne – hängt vom Können der Japaner ab“, schrieb I. Rokuro, Redakteur der „Volkszeitung“. Die Japaner übernahmen allmählich die Kontrolle über den Fernen Osten und Ostsibirien, teils direkt, teils über Strohmänner. Die Expansion des „Landes der aufgehenden Sonne“ wurde nur durch die Angst vor einer offenen Rebellion und die harte Haltung der USA gebremst, die sich einer solchen Stärkung ihres geopolitischen Rivalen widersetzten.
Lange Zeit war der Ferne Osten für Moskau von untergeordneter Bedeutung: Im europäischen Teil Russlands fanden heftige Kämpfe statt, und nur vereinzelte rote Partisaneneinheiten kämpften gegen die Japaner. Vom Frühjahr 1919 bis Anfang 1920 gelang es der Roten Armee jedoch, die Ostfront der weißrussischen Armee zu überrennen, den Ural zu überqueren und einen zügigen Vormarsch nach Sibirien einzuleiten, der bis zum Baikalsee führte, von dem die japanischen Garnisonen nicht weit entfernt waren.
Angesichts des immer noch andauernden Sowjetisch-polnischen Krieges und der Anwesenheit großer weißer Truppen im Süden des Landes unter dem Kommando von General Anton Denikin erschien den Bolschewiki ein offener militärischer Zusammenstoß mit Japan als die denkbar schlechteste Option. „Wir werden uns als Idioten erweisen, wenn wir uns zu einer törichten Bewegung tief in Sibirien hinreißen lassen, und in der Zwischenzeit wird Denikin wieder aufleben und die Polen werden zuschlagen. Das wäre ein Verbrechen“, telegrafierte Lenin im Februar 1920 an den Vorsitzenden des Revolutionären Militärrates, Lew Trotzki.
Zu diesem Zeitpunkt kam die Idee auf, einen Pufferstaat zwischen den von Moskau und Tokio kontrollierten Gebieten zu schaffen. Im „Niemandsland“ agierten mehrere prosowjetische Regierungen, die auf Betreiben Moskaus am 6. April 1920 die Gründung der Fernöstlichen Republik (FÖR) proklamierten, die formal unabhängig von Sowjetrussland war. Der neue Staat umfasste offiziell das riesige Gebiet vom Baikalsee bis zum nördlichen Sachalin, obwohl ein großer Teil davon damals unter der Kontrolle der Weißen und der Japaner stand.
Die Gründung der FÖR kam fast allen entgegen: Moskau, Washington, den antisowjetischen Kräften in Sibirien, die eine Ausbreitung der Sowjetmacht befürchteten, und Tokio, das sofort damit begann, die bolschewistischen Elemente in den von ihm kontrollierten Gebieten auszumerzen, in der Hoffnung, den neuen Staat künftig unter seine Kontrolle zu bringen. Nur einige der roten Partisanenkommandeure protestierten, und die Bolschewiki mussten hart arbeiten, um sie von der Notwendigkeit dieser vorübergehenden Maßnahme zu überzeugen.
Die Fernöstliche Republik erhielt eine Verfassung, ein Wappen, eine Flagge und eine Währung (den FÖR-Rubel) und es wurden legislative, judikative und exekutive Behörden gebildet. „Oh, es war eine fröhliche Republik – die FÖR!“, erinnerte sich der Schriftsteller und Journalist Viktor Kien. „Im Parlament waren die Fraktionen außer Rand und Band, Anträge wurden eingebracht, es wurde etwas beschlossen, der Vorsitzende rang um Ordnung. Über dem Vorsitzenden befand sich ein Wappen, das fast sowjetisch war, aber anstelle von Hammer und Sichel waren eine Spitzhacke und ein Anker zu sehen. Die Flagge war rot, jedoch mit einem blauen Quadrat in der Ecke. Die Armee trug fünfzackige Sterne – aber halb blau, halb rot. Und so war die ganze Republik – in zwei Hälften geteilt.“
In Wirklichkeit hatten die Bolschewiki an der Führung des Landes immer den deutlich größeren Anteil.
Moskau unterstützte die Fernöstliche Republik aktiv mit Geld und Ressourcen und rüstete ihre Revolutionäre Volksarmee, die die regulären Truppen mit zahlreichen Partisaneneinheiten vereinigte und im November 1920 bis zu 100.000 Mann zählte (die gleiche Anzahl an Truppen befand sich in Russland und Japan) intensiv auf. Befehlshabende Offiziere der Roten Armee wurden hierher geschickt, um Führungspositionen einzunehmen.
Die Revolutionäre Volksarmee hatte kein Recht, gegen die Japaner zu kämpfen, sondern verfolgte aktiv die Reste der weißen Streitkräfte im Fernen Osten. Und mit diplomatischen Mitteln gelang es der FÖR, die Japaner aus der Region zu vertreiben.
Innerhalb weniger Jahre war die Einflusssphäre des Landes der aufgehenden Sonne im russischen Fernen Osten auf ein Minimum reduziert worden. Im Kampf gegen die Partisanen verloren die Japaner eine Stellung nach der anderen. In Tokio begann man zu begreifen, wie mächtig die Bolschewiki durch ihre Vorhut in der Region – die Revolutionäre Volksarmee der FÖR – geworden waren. Im Februar 1922 befreiten derer Einheiten Chabarowsk von den Weißen, und am 25. Oktober desselben Jahres trafen sie in Wladiwostok ein, kurz nachdem die Japaner ihre Garnison buchstäblich Hals über Kopf verlassen hatten. Nur der Norden Sachalins blieb in japanischer Hand, musste aber 1925 zurückgegeben werden.
Nach der Befreiung der Ostgebiete des Landes von den Weißen und den Interventionisten bestand kein Bedarf mehr an der Fernöstlichen Republik. Am 14. November 1922 löste sich die Volksversammlung der FÖR selbst auf und forderte Moskau auf, „den Fernen Osten in die geeinte Russische Sozialistische Sowjetrepublik einzugliedern“, was auch prompt geschah.