Liebe und Kampf der Käfer: Wie der erste Trickfilm im zaristischen Russland gedreht wurde (VIDEO)

Russia Beyond / Anton Romanov (Legion Media, Public Domain, Chanschonkow & Co)
Die Zuschauer kamen mehrere Jahre hintereinander in Scharen in die Kinos und waren schockiert von dem, was dort passierte. Wir erzählen, wie die Liebesgeschichte der Käfer im Russischen Reich zu einem großen Trickfilm-Blockbuster wurde.

Bis vor kurzem hatte der russische Trickfilm noch keinen Geburtstag. Ein offizieller Bezugspunkt wurde vor kurzem geschaffen, als in Russland der „Tag der russischen Animation“ eingeführt wurde. Nun wird er jährlich am 8. April gefeiert – an diesem Tag im Jahr 1912 wurde der erste russische Trickfilm „Die schöne Lucanida oder der Krieg zwischen den Bockkäfern und den Hirschkäfern“ von Wladislaw Starewitsch veröffentlicht. Der 10-minütige Film über die Liebesgeschichte von Käfern, in dem echte Insekten die Hauptrolle spielen, sorgte vor mehr als hundert Jahren für viel Aufsehen. Es war einer der ersten dreidimensionalen Trickfilme der Welt, aber noch interessanter ist, dass er das Publikum vollkommen verblüffte.

Ein echter Blockbuster

Cervus, der König der Hirschkäfer, gibt in seinem Schloss einen rauschenden Ball. Sein Ehrengast ist Graf Heros vom Stamm der Bockkäfer. Als er die schöne Lucanida auf dem Thron neben dem König sieht, verliebt sich der Graf. Er beschließt, seine Gefühle zu gestehen, und zieht sich mit Lucanida in den Garten zurück. In diesem Moment holt Cervus sie ein und es kommt zum Kampf, bei dem der König der Hirschkäfer besiegt wird. Lucanida stürzt sich verzweifelt die Klippe herunter, überlebt aber. Sie flieht in das Schloss von Heros, wo die Liebenden in kurzem Frieden leben. Cervus beschließt, sich zu rächen und Krieg gegen Heros zu führen. Dieses Mal ist er der Stärkere. Um Lucanida nicht dem Feind auszuliefern, entschließt sich Heros zu einer Verzweiflungstat: Er sprengt sich selbst, Lucanida und die gesamte Armee von Cervus in die Luft.

Die schöne Lucanida, 1912.

Diese unkomplizierte Handlung des Trickfilms wurde vom damaligen Publikum als Parodie auf das beliebte Genre der „High-Society-Liebestragödien“ wahrgenommen. Und die Geschichte über die Liebe der Käfer wurde ein Kassenschlager.

„Es schlug ein wie eine Bombe, es war eine Sensation! In Russland strömte das Publikum in Scharen zu ,Lucanidaʻ“, erzählt der Filmhistoriker Nikolai Iswolwow. Die Journalisten schrieben damals allen Ernstes, dass Starewitsch bei der Dressur von Insekten glänzende Erfolge erzielt habe.

Der Trickfilm wurde sogar im Ausland zu einer Sensation. 1912 schrieb der „Westnik kinematografista“ (Magazin für Filmschaffende): „Wir wissen aus zuverlässigen Quellen, dass die Zahl der Kopien des Films im Ausland bereits die Hundert überschritten hat, was an sich schon viel über die Vorzüge des Produkts aussagt...“

Trickfilm-Plakat, 1912.

Tote Käfer

In Wirklichkeit waren alle „Akteure“ bereits ausgetrocknet. Seit seiner Kindheit war der Regisseur Wladislaw Starewitsch von Käfern begeistert und sammelte sie in getrockneter Form. Seinen ersten Film drehte er im Jahr 1910. Ursprünglich sollte es ein Dokumentarfilm über das Leben von Käfern werden, aber die Insekten waren wie erstarrt vor dem Licht. Dann drehte er Bild für Bild einen Film mit getrockneten Käfern unter dem Namen „Lucanus cervus“, dem lateinischen Namen des Hirschkäfers (der Film ist verschollen).

Sein zweiter Film, der mit der gleichen Technik und den gleichen „Schauspielern“ gedreht wurde, war „Die schöne Lucanida“. So beschreibt Starewitsch die Arbeit an dem Trickfilm:

„Natürlich muss das Insekt zunächst entsprechend vorbereitet werden. Es ist nicht so schwierig, einen dünnen Draht durch die Beine zu führen und ihn mit Wachs am Körper zu befestigen. Ich habe ein ,Schlachtfeldʻ aus Knetmasse gebastelt, um eine Grundlage zu haben, auf der die Beine des Insekts halten konnten. Es gab keine Schwierigkeiten mit der Bewegung der Käfer. Nachdem ich die künftige Schlacht der Käfer durchdacht hatte, skizzierte ich die grundlegenden Posen. Bei den Aufnahmen habe ich jede Bewegung in eine Reihe von Abschnitten unterteilt. Für jede Aufnahme stellte ich das Licht ein.“

Der Film war stumm und hatte keinen Abspann, aber einen ausführlichen Kommentar, damit der Zuschauer verstehen konnte, was auf der Leinwand geschah. Der Kommentar wurde  den Kinobesuchern bei jeder Vorführung laut vorgelesen. Der Film wurde bis Mitte der 1920er Jahre gezeigt.

Nach der Revolution wurde „Die schöne Lucanida“ in „Die Kurtisane auf dem Thron“ umbenannt – die Bolschewiki verurteilten das Verhalten der untreuen Königin der Käfer eindeutig...

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