Was heute für Fassungslosigkeit sorgen würde, galt damals als Zeichen eines hohen sozialen Status. Die Rede ist von schwarzen Zähnen. Dieser Brauch war in Russland seit dem 17. Jahrhundert während der Herrschaft von Alexej Michailowitsch, dem zweiten Zaren der Romanow-Dynastie, bekannt. Und er wurde bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts praktiziert. Adlige, Kaufleute und reiche Bauern schwärzten ihre Zähne absichtlich mit Holzkohle, während die weniger wohlhabenden Schichten versuchten, es ihnen gleichzutun. Dieser Trend existierte gleichzeitig mit der Mode der schwarzen, zobelartigen Augenbrauen, des blassen Gesichts und der rötlichen Wangen. „Ihre Gesichter waren jedoch durch den Gebrauch von Schminkweiß und Rouge verunstaltet, und ihre Zähne waren sehr schwarz, in Nachahmung der städtischen Kauffrauen, bei denen dies damals in Mode war“, so Saltykow-Stschedrin in seinem Werk Provinz Poschechonien (1888).
Eine Version besagt, dass damit der Unterschied zwischen gesunden und ungesunden Zähnen verschleiert werden sollte. Damals war es unmöglich, die Zähne aufzuhellen, da die im Laufe der Zeit verwendeten quecksilberhaltigen Bleichmittel den Zahnschmelz zerstörten (was zu geschwärzten Zähnen führte). Also war es einfacher, einfach alle Zähne zu schwärzen und zu verkünden, dass dies die neue Mode sei!
Morosko, 1964, Reg. Alexander Rou.
M. Gorki FilmstudioDie zweite Version: Schwarze Zähne waren ein direkter Indikator für Reichtum. Diejenigen, die sich extrem teuren Zucker leisten konnten, hatten natürlich schwarze Zähne, da diese durch Karies ruiniert waren. Alle anderen färbten sich absichtlich die Zähne mit Holzkohle, damit es so aussah, als könnten auch sie es sich leisten, Tee mit Zucker zu trinken.
Die Banja, das russische Dampfbad, war für das russische Volk ein heiliger Ort: Neben der Körperreinigung wurden dort bis zur Annahme des Christentums Kinder getauft, Eheschließungen vorgenommen, Krankheiten geheilt, heidnische Zeremonien durchgeführt usw. Selbst in einer so wichtigen Angelegenheit wie einem Handelsgeschäft lief nichts ohne ein Bad im Dampfbad. Der Besitz einer Banja war ein wichtiger Bestandteil des Grundbesitzes eines Kaufmanns.
Kaufleute knüpften Geschäftsbeziehungen an anderen Orten – bei Teegesellschaften, auf Reisen, in Kirchen (in den Kellern der Kirchen wurden oft diverse Utensilien verkauft), im Theater usw. Der Banja war jedoch die letzte Etappe der Transaktion vorbehalten, denn es handelte sich nun um eine neue Ebene der Geschäftsbeziehung. In der Endphase des Vertragsabschlusses wurde der Geschäftspartner in das Dampfbad eingeladen, um in ungezwungener Atmosphäre Einzelheiten zu vereinbaren oder einfach nur, um die persönliche Beziehung zu festigen. Es gab noch einen weiteren Aspekt: Es war eine Möglichkeit, die Stärke und Widerstandsfähigkeit des Partners zu testen, seinen Charakter zu „erforschen“. Der Brauch, einen Geschäftspartner in die Banja einzuladen, ist auch heute noch üblich.
Mädchen kämmt ihr Haar, 1840, Pawel Desjatow.
Die Staatliche Tretjakow-Galerie / Public domainIn den heiligen Schriften oder orthodoxen religiösen Quellen steht nichts darüber, dass Haare und Fingernägel sicher versteckt und niemals weggeworfen werden sollten. In Russland gab es jedoch viele Aberglauben, die damit verbunden waren. Die Menschen glaubten, dass Zauberer mit Hilfe von Haaren oder Fingernägeln einen Fluch auf ihren Besitzer legen konnten. Deshalb hatten sie Angst, sie wegzuwerfen. Man mwinte, dass Haare und Fingernägel „Träger“ der Energie eines Menschen waren und diesen mit der Unterwelt verbanden.
Nach dem Abschneiden der Haare und Fingernägel wurden diese entweder an einem abgelegenen Ort versteckt oder in der Erde vergraben.
Das Hochzeitsfest der Bojaren im 17. Jahrhundert, 1883, Konstantin Makowskij.
Hillwood Museum, Washington, die USA / Public DomainIn Russland gab es eine Art „Gäste-Knigge“, der die Beziehungen zwischen Gastgebern und Gästen, die Reihenfolge der Mahlzeiten und die Sitzordnung der Gäste streng regelte.
So wurden beispielsweise vornehme und wohlhabende Gäste an der Außentreppe des Hauses empfangen, während die Gäste mit einem einfacheren sozialen Status an den Tisch gebeten und dort bewirtet wurden. Die Mahlzeiten wurden anders serviert als heute: Zuerst gab es Pasteten, dann Fleisch- oder Fischgerichte, Wild und zum Schluss die Suppe. Nach einer Pause wurden die Gäste zu Tee mit Süßigkeiten in Form von Trockenfrüchten, Beeren oder Honig eingeladen. Der Gast durfte das Essen nicht ablehnen – dies wurde als Beleidigung empfunden. Interessanterweise kamen auch diejenigen, die eingeladen waren, aber nicht kommen konnten, in den Genuss der Speisen. Gemäß der Gästeetikette wurde einem solchen Gast das Essen nach Hause geschickt, um ihn nicht zu beleidigen.
Für kranke oder schwache Kinder wurde ein altes Ritual durchgeführt, bei dem das Kind an eine Schaufel gebunden und dreimal in einen warmen Ofen geschoben wurde. Das „Überbacken“ der Kinder wurde mit der heidnischen Reinigung durch Feuer in Verbindung gebracht und man glaubte, dass das Feuer alle Krankheiten aus dem Körper vertreiben würde. Dabei wurde das Kind oft vorher mit Teig beschmiert.
Der Ethnograph Wassilij Magnizkij beschreibt das Ritual in seinem Werk Materialien zur Erklärung des alten tschuwaschischen Glaubens: „So hat man zum Beispiel Kinder mit Kachexie (starker Abmagerung) behandelt. Ein krankes Kind wurde auf eine Schaufel gelegt, die mit einer Teigschicht versehen war, und man bedeckte es sodann mit Teig, so dass nur eine Öffnung für den Mund blieb. Danach steckte der Quacksalber das Kind dreimal in den Ofen über glühende Kohlen.“
Nach den Untersuchungen eines anderen Ethnographen, Pjotr Denisow, wurde das Kind „mit einer Schaufel durch ein Halfter auf die Türschwelle geworfen, wo ein Hund den Teig fraß, der das Kind bedeckte.“ Während der gesamten Prozedur wurden Beschwörungsformeln vorgetragen.
Mancherorts konnte sogar ein gesundes Kind „gebacken“ werden, um es zu stärken. Aber in der Regel wurde dies bei Kindern praktiziert, die kurz vor dem Tod standen. Manchmal starb ein Kind während des Rituals, aber auch ohne das Ritual, so glaubte man, hätte das Kind keine Überlebenschance gehabt.
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