„In der UdSSR gab es keinen Sex“ und andere große Mythen über die Sowjetunion werden entlarvt

Boris Jelschin/Sputnik
Stimmt es, dass es kaum Sex zum Vergnügen gab? Oder dass alle Sowjetbürger im wahrsten Sinne des Wortes „gleich“ waren? Wir räumen mit diesen und anderen populären Irrtümern über die sowjetische Gesellschaft auf.

1. In der UdSSR gab es keine Religion

Vor dem Festgottesdienst in der Dorfkirche zum Heiligen Kreuz, Mai 1950.

Die sowjetische Regierung führte eine entschiedene Antireligionskampagne. „Wir müssen die Religion bekämpfen“, pflegte Lenin zu sagen – und das war in den darauf folgenden Jahren das Ziel der atheistischen Propaganda. Unmittelbar nach der Revolution, im Jahr 1918, wurde die Russisch-Orthodoxe Kirche vom Staat „getrennt“ – Eheschließungen, Geburten und Todesfälle wurden nicht mehr von der Kirche, sondern von den jeweiligen zivilen Behörden der Sowjetrepubliken registriert. Währenddessen wurden die Gotteshäuser in der UdSSR entweder zerstört oder umfunktioniert, und fast alle Moscheen wurden ebenfalls geschlossen.

Trotz alledem war die Religion in der UdSSR nie formell verboten. In der sowjetischen Verfassung hieß es: „Den Bürgern der UdSSR wird die Glaubensfreiheit garantiert, d. h. das Recht, sich zu einer beliebigen Religion zu bekennen oder nicht zu bekennen, [und] an religiösen Kulten teilzunehmen oder atheistische Propaganda zu betreiben.“

1943 wurde das Moskauer Patriarchat wiederhergestellt und auf Initiative von Joseph Stalin der Rat für die Angelegenheiten der Russisch-Orthodoxen Kirche gegründet. Der Staat erkannte die Existenz orthodoxer Gläubiger tatsächlich an. Obwohl die atheistische Propaganda allgegenwärtig war, wurde den Gläubigen der Besuch von Kirchen nicht verboten – es wurde nur sehr schwierig.

2. Die UdSSR war das Land der totalen Gleichheit

Im Geschäft, 1949, Gebiet Archangelsk, Narjan-Mar.

„Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ war eine Losung von Karl Marx, die besonders in den Anfangsjahren der UdSSR propagiert wurde. Die soziale Ungleichheit war jedoch von Anfang an sehr groß. Das Wohnungsproblem war akut spürbar. Der massenhafte Bau von Wohnungen begann jedoch erst unter Nikita Chruschtschow, also nach dem Krieg. Aber selbst danach lebten die meisten Arbeiter in eher bescheidenen Verhältnissen, und selbst solcher Wohnraum waren schwer zu bekommen: Die Wohnungen konnten nicht gekauft werden, sie wurden vom Staat vergeben. Selbst für den Kauf eines Autos oder eines Möbelstücks musste man sich auf eine Warteliste setzen lassen und jahrelang warten – vorausgesetzt, man hatte das notwendige Geld. Nur hochrangige Parteifunktionäre genossen ein gewisses Maß an Luxus.

3. Die UdSSR hatte die beste kostenlose Gesundheitsversorgung für alle

UdSSR. Orenburg. 13. August 1988: Patienten in einer Schlange in der Kinderpoliklinik Nr. 2 im Leninsky Bezirk von Orenburg.

Die UdSSR verfügte tatsächlich über ein Gesundheitssystem, das für alle Bürger kostenlos war, und rühmte sich sogar mit der höchsten Zahl von Ärzten pro Bürger (1975 kamen in der UdSSR 32 Mediziner auf 10.000 Bürger, während es in den USA nur 21 waren). Den meisten dieser Ärzte fehlte es jedoch an Erfahrung und sie wurden in der Regel unter schlecht bezahlten Krankenschwestern und Sanitätern rekrutiert.

Es gibt zwei unbestreitbare Wahrheiten, die das sowjetische Gesundheitssystem charakterisieren:

Erstens war es in der UdSSR durchaus üblich, dass man wochen- oder sogar monatelang im Krankenhaus auf eine Operation warten musste. Die Krankenhäuser waren meist überbelegt, und die Patienten lagen auf Pritschen in den Fluren. Und Operationen wurden aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal nur schleppend durchgeführt.

Zweitens gab es betriebliche Gesundheitsfürsorgesysteme, z. B. spezielle Krankenhäuser und Sanatorien für Mitarbeiter der Ministerien und anderer Behörden sowie für hochrangige Funktionäre der Kommunistischen Partei, was beweist, dass das öffentliche Gesundheitswesen alles andere als ideal war. Bestechung und Korruption waren in sowjetischen Krankenhäusern an der Tagesordnung – um eine angemessene medizinische Versorgung zu erhalten, mussten die Patienten die Mediziner oft mit Geld oder teuren Geschenken bestechen.

4. „In der UdSSR gab es keinen Sex“

Die Frischvermählten Ljubow und Alexej Tatarinow während ihrer Hochzeit, 1974.

Der berühmte Satz „In der UdSSR gibt es keinen Sex“ wurde 1986 in einer Fernsehsendung geprägt und spielte auf die Vorstellung an, dass die politisch sehr bewussten Sowjetbürger einen entsprechend hohen moralischen Anspruch hatten, der Sex als Zeitvertreib nicht einschloss. Den klassischen sowjetischen Filmen nach zu urteilen, liebten die Sowjetbürger nur platonisch, wie es sich für „wahre Kommunisten“ gehört.

Doch auch in der UdSSR gab es Sexskandale, in die oft hochrangige Beamte und Sportler verwickelt waren. Und ganz am Anfang des kommunistischen Systems – noch vor Gründung der UdSSR – gab es sogar eine kurze, aber unglaublich lebendige sexuelle Revolution, die einen Keil zwischen die alte, zaristische Welt und die neue trieb. In den 1960er Jahren tauchte in der UdSSR die Hippie-Bewegung mit ihren Idealen der sexuellen Freiheit auf. Obwohl offiziell nicht anerkannt, diente das Sexualleben in der UdSSR nicht nur dazu, Kinder zu zeugen, sondern auch als Zeitvertreib.

Andererseits gab es kaum Verhütungsmittel – Kondome waren in den meisten Drogerien nicht erhältlich. Außerdem galt männliche Homosexualität in der UdSSR die meiste Zeit über als Straftat, so dass die Sowjetbürger auch in ihrem Sexualleben unterdrückt wurden.

5. Sowjetische Waren waren von höchster Qualität

Eine

„Nachdem wir den Krieg überlebt hatten, hatten wir keine Angst vor dem Verhungern, und es herrschte ein gewisses Vertrauen in die Zukunft“, sagte Vera Iwanowna, ehemalige Leiterin der Planungsabteilung eines sowjetischen Luft- und Raumfahrtunternehmens. Doch obwohl die Menschen in der Sowjetunion (meistens) nicht hungerten, waren die Waren, die ihnen der Staat anbot, von mäßiger Qualität. So stellte die Staatliche Gewerbeinspektion 1963 fest, dass 68 Prozent aller produzierten Fahrräder und 34,7 Prozent der Möbel nicht den Qualitätsstandards entsprachen. Noch 1965 diskutierten hohe Parteifunktionäre, darunter Ministerpräsident Alexej Kossygin, die Notwendigkeit einer staatlichen Qualitätskontrolle für alle produzierten Waren.

Engpässe waren für die sowjetische Bevölkerung an der Tagesordnung. „Ein Mangel an einfachen Käsesorten, Wurst, Fleisch und Kaugummi sowie an Kinderschuhen und farbenfrohen Kleidern war ein heikles Thema“, sagt Oleg, der seine Kindheit in der UdSSR verbracht hat. Während teure und ausländische Waren in Moskau und St. Petersburg leichter zu bekommen waren, gab es in den meisten Provinzstädten erst nach dem Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 und dem damit verbundenen Anstieg des Außenhandels und der Importe ausreichend viele Qualitätswaren.

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