Wie Stalin Weihnachtsbäume und Silvester verbot

Kira Lisitskaya (Photo: Public domain; Unsplash)
Von 1929 bis 1935 waren die Bewohner der UdSSR gezwungen, Neujahr und Weihnachten im Geheimen zu feiern – das Land verbot die Feier und sogar den Verkauf von Tannenbäumen.

Das Aufstellen von Weihnachtsbäumen wurde erstmals bereits im zaristischen Russland verboten: Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde beschlossen, mit allem zu brechen, was aus Deutschland kam, auch mit der Tradition, zu Weihnachten und Neujahr einen Tannenbaum zu schmücken. Als die Bolschewiki 1917 an die Macht kamen, erlaubten sie wieder Feiern und organisierten sogar Neujahrsfeiern für Kinder, aber 1929 kam ein neues Verbot, diesmal von Stalin.

Weihnachtsfeiern im Geheimen

Das neue Sowjetregime hatte nichts gegen die Rückkehr der Tannenbäume und Neujahrsfeiern nach dem zaristischen Verbot – vor allem als Symbole der Gleichheit (vor der Revolution waren Tannenbäume ein Privileg reicher Familien). Mehr noch, sie förderte sie: Wladimir Lenin nahm persönlich an Neujahrsfeiern für Kinder teil. Im Jahr 1919 besuchte er die Waldschule im Moskauer Stadtteil Sokolniki, wo die erste Kinder-Neujahrsfeier mit einem Tannenbaum organisiert wurde. Sein Sekretär Wladimir Bontsch-Brujewitsch erinnerte sich später an das Treffen zwischen den Kindern und dem Führer des Proletariats wie folgt: „Sie haben ihn den Erwachsenen entrissen. Sie schleppten ihn mit sich, um Tee zu trinken, ihn zu bewirten, boten ihm Konfitüre an... Und er gab ihnen Nüsse, schenkte Tee ein und beobachtete sie alle, als wären sie alle seine Familie... Gegen die Kinder hatte keiner eine Chance – sie haben Wladimir Iljitsch völlig vereinnahmt.“

Anti-Weihnachts-Demonstration von sowjetischen Kindern, 1929.

Diese liberale Haltung währte jedoch nicht lange. Schon nach Lenins Tod im Jahr 1924 wurde versucht, Weihnachten in ein Komsomolzen-Fest zu verwandeln. Es wurden anprangernde Berichte über die wirtschaftlichen Hintergründe der „bürgerlichen“ oder „päpstlichen“ Weihnachts- und Neujahrsfeste verlesen und Theaterstücke und politische Sketche aufgeführt. Später wurde diese Komsomol-Version von Weihnachten für ihre Ineffektivität im Kampf gegen die Religion kritisiert, und 1927 hielt Stalin eine Rede, in der er auf die Unzulänglichkeiten der Kommunistischen Partei hinwies: „Wir haben immer noch ein solches Manko wie die Schwächung des antireligiösen Kampfes.“ Der Kampf wurde deshalb verschärft: 1929 erließ die Regierung ein Dekret, das Silvester und den ersten Weihnachtstag zu Arbeitstagen erklärte und galten nicht mehr länger als Feiertag. Gleichzeitig war es verboten, Tannenbäume zu fällen und zu verkaufen. Die Einhaltung der Verordnung wurde von Freiwilligen überwacht, die von Tür zu Tür gingen und kontrollierten, ob die Leute heimlich Weihnachtsbäume aufstellten.

Trotz aller Verbote feierten traditionsbewusste Familien weiterhin Weihnachten und Neujahr. Die sowjetische Schriftstellerin Irina Tokmakowa erinnerte sich: „Das helle Fest der Weihnacht war verboten, und wer daran dachte, es zu feiern, konnte mit dem Job oder sogar der Freiheit bezahlen und im Gefängnis landen.“

Wie aus dem Weihnachtsbaum ein Neujahrsbaum wurde

Neujahrsfeierlichkeiten in der Säulenhalle des Hauses der Gewerkschaften. 1948.

Sechs Jahre lang feierte das Land Silvester und Weihnachten im Untergrund, aus Angst vor Kontrollen durch Ordnungshüter und Denunziationen durch Nachbarn. Doch 1935 veröffentlichte die Zeitung Prawda eine Glosse des Parteimitglieds und Stalin-Freundes Pawel Postyschew, in der er eine Neujahrsfeier mit Tannenbaum für Kinder forderte: „In Schulen, Waisenhäusern, Pionierpalästen ... – überall sollte ein Tannenbaum für Kinder stehen! Es sollte keine einzige Kolchose geben, in der der Vorstand nicht gemeinsam mit dem Komsomol einen Silvesterbaum für die Kinder aufstellt.“

Kinder, Ded Moroz (Väterchen Frost) und Snegurka (Schneemädchen) tanzen bei den Neujahrsfeierlichkeiten im Kreml-Kongresspalast, Moskau, UdSSR.

Dies geschah mit Stalins Erlaubnis: Außenminister Nikita Chruschtschow beschrieb in seinen Memoiren, dass Postyschew die Frage über die Rückkehr der Neujahrsfeier in einem persönlichen Gespräch mit Stalin aufgeworfen hat. Der antwortete: „Ergreife die Initiative, geh mit dem Vorschlag, den Kindern den Tannenbaum zurückzugeben an die Presse, und wir werden ihn unterstützen.“ Warum Stalin eine solche Entscheidung traf, ist bis heute unbekannt. Doch was bis vor kurzem noch verboten war, wurde zur Pflicht – Neujahrsfeiern mit Tannenbaum für Schüler und Kindergärten sollten organisiert werden, selbst in den entlegensten Winkeln des Landes.

Die Postyschew-Initiative machte aus der Weihnachtstradition eine Neujahrstradition – vor der Revolution war der Tannenbaum nur ein Symbol für Weihnachten gewesen, aber der Kampf gegen die Religion in der UdSSR hatte die religiösen Feste abgeschafft.

Der erste erlaubte Weihnachtsbaum in der Schule Nr. 1 in Namangan, Usbekische SSR. 1936.

1937 wurde zum ersten Mal das Kreml-Tannenbaumfest durchgeführt – das wichtigste Neujahrsfest für Kinder des Landes. Pioniere, Schulabgänger und Kinder von Bestarbeitern und der Nomenklatura wurden dazu eingeladen – es war eine große Ehre, zu diesem Fest zu fahren. Hier tauchte die Snegurotschka, die Enkelin des Djed Moros, zum ersten Mal auf und ist seither ein fester Bestandteil der Kinderneujahrsfeste.

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