Die Oktoberrevolution von 1917 wurde nicht von Lenin durchgeführt. Aber von wem dann?

Geschichte
SOFIA POLJAKOWA
Dank dieses Mannes haben die Bolschewiki nicht nur die Macht in Russland übernommen, sondern auch den Bürgerkrieg gewonnen. In den sowjetischen Geschichtslehrbüchern wird er kaum erwähnt. Warum?

Leo Trotzki war einer der treuesten Diener der russischen Revolution. Er musste vieles ertragen: Verbannung und Verhaftung, erbitterte innerparteiliche Kämpfe und den Verlust hoher Ämter, schließlich Exil, Tod und Vergessenheit. 

Der beste Bolschewik

Trotzki begann seine revolutionäre Arbeit früh. Bereits im Alter von 17 Jahren (1896) wurde er Mitglied eines revolutionären Zirkels und führte Propaganda unter den Arbeitern durch. Es folgten zwei Jahre Gefängnis, eine Verbannung nach Sibirien und die Flucht ins Ausland. Im Jahr 1902 traf Trotzki in London mit Lenin und anderen prominenten Revolutionären zusammen. Später erinnerte sich Anatoli Lunatscharski, Trotzkis Parteifreund: „Trotzki beeindruckte die Öffentlichkeit im Ausland durch seine Eloquenz, seine für einen jungen Mann beachtliche Bildung und seine Souveränität... Er wurde wegen seines jugendlichen Alters nicht sehr ernst genommen, aber alle erkannten sein herausragendes rednerisches Talent und waren natürlich der Meinung, dass er kein Küken, sondern ein Adler war.“

Trotzki setzte sein herausragendes rednerisches Talent zum Wohle der Revolution ein: Er publizierte aktiv in den revolutionären Zeitungen Iskra und Prawda und engagierte sich in der mündlichen Agitation. Seine feurigen Reden wurden zitiert und aufgezeichnet. Später, während der Revolution, war es Trotzki, dem es gelang, die letzten schwankenden Militäreinheiten davon zu überzeugen, sich auf die Seite der Bolschewiki zu stellen.

Lenins Einfluss und Autorität hinderten Trotzki daran, an Popularität zu gewinnen. Man nannte ihn Lenins „Schlagstock“ und unterstellte ihm damit, dass er nur dessen Anordnungen ausführte. Mit der Zeit erwarb Trotzki jedoch den Respekt seiner Parteifreunde, gewann an Glaubwürdigkeit und kritisierte manchmal sogar Lenin. 

Anführer des bewaffneten Aufstandes 

Dank der Mythenbildung der sowjetischen Behörden taucht immer noch das Bild von Lenin auf einem Panzerwagen auf, wenn von der Oktoberrevolution die Rede ist. Zum Zeitpunkt dieses Ereignisses befand sich Lenin jedoch gar nicht in Russland. Er war im Ausland und nahm von dort aus an den Entscheidungen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Aufstand teil, führte diese aber nicht direkt an. Das war Trotzki. Er war es, der am 9. Oktober 1917 (nach dem gregorianischen Kalender) die Gründung des Militärischen Revolutionskomitees initiierte, das zur treibenden Kraft des Umsturzes wurde. 

Die Aufgabe des Komitees bestand darin, die revolutionären Kräfte für einen bewaffneten Aufstand zu vereinen, alle Kampfeinheiten mit Waffen zu versorgen und die Operation zur Einnahme der Hauptstadt zu leiten. Damit der Aufstand erfolgreich sein konnte, musste das Revolutionäre Militärkomitee die Petrograder Garnison, die wichtigste in der Hauptstadt stationierte Militäreinheit, auf seine Seite ziehen. Dank Trotzkis agitatorischem Talent schloss sich die Garnison den Revolutionären an. Unter Trotzkis Führung sollte sie die Post, die Bahnhöfe, die Staatsbank, die Telefonzentralen und andere strategische Einrichtungen besetzen, darunter auch den Winterpalast, in dem die Provisorische Regierung saß. Am 25. Oktober (dem 7. November nach dem gregorianischen Kalender) wurde dieser Plan erfolgreich umgesetzt.

„Wäre ich 1917 nicht in Petrograd gewesen, hätte die Oktoberrevolution trotzdem stattgefunden – vorausgesetzt, Lenin wäre anwesend gewesen und hätte sie geführt. Aber wenn weder ich noch Lenin in Petrograd gewesen wären, hätte es keine Oktoberrevolution gegeben“, erinnerte sich Trotzki später.

Lenin traf im bolschewistischen Hauptquartier im Smolny-Palast ein, als bereits alles entschieden war. Am Abend des 25. Oktober, unmittelbar nach der Einnahme des Winterpalasts und dem Sturz der provisorischen Regierung, wurde der Sowjetkongress eröffnet, die Versammlung, die über die wichtigsten Fragen des neuen Staates entschied.

Lenin bat Trotzki, das neue Machtorgan, den Rat der Volkskommissare, zu leiten, doch dieser lehnte ab und überließ Lenin den Vortritt, während er selbst Kommissar (d.h. Minister) für auswärtige Angelegenheiten wurde.

Der Untergang

Als erster Außenminister des neuen Russlands musste Trotzki die Veröffentlichung der Geheimverträge der zaristischen Regierung veranlassen (die Beamten des alten Ministeriums hatten diesen Prozess sabotiert), was ihm auch gelang. Trotzki (und seinen Anhängern) gelang es jedoch nicht, die kapitalistischen Mächte dazu zu bewegen, die Bedingungen für den Friedensschluss im Ersten Weltkrieg und der Anerkennung Russlands anzuerkennen.

Er stimmte dem Vertrag von Brest nicht zu, der auf Befehl Lenins mit Deutschland geschlossen wurde und den Rückzug des Landes aus dem Krieg ermöglichte. Er legte sein Amt als Kommissar für auswärtige Angelegenheiten nieder und wurde zum Kommissar für militärische und maritime Angelegenheiten, sprich zum Verteidigungsminister, ernannt. Unter seiner Führung wurde die unorganisierte Rote Armee zu einer Kriegsmaschine und erreichte einen Wendepunkt im Bürgerkrieg. Trotzkis Methoden waren ziemlich unmenschlich: Wenn eines der Regimenter seine Stellung aufgab, wurde nicht nur der Kommandeur, sondern auch jeder zehnte Kämpfer hingerichtet. 

„Ohne Repression kann man keine Armee aufbauen. Man kann keine Massen von Menschen in den Tod führen, ohne die Todesstrafe im Arsenal des Kommandos zu haben“, schrieb Trotzki später selbst. Seine Mitstreiter waren bereit zuzugeben, dass Trotzkis Methoden zur Führung der Armee unter den Bedingungen des Krieges und der Instabilität gerechtfertigt waren, aber in Staatsangelegenheiten begann sein Radikalismus sogar seine ehemaligen Verbündeten zu verschrecken.

Die Situation für Trotzki wurde durch Lenins Krankheit noch verschärft – seine Meinung war unbestritten und er schätzte Trotzki sehr, aber es war allen klar, dass der Kopf der Partei im Sterben lag. Innerhalb der Partei entbrannte ein heftiger Machtkampf zwischen Stalin und Trotzki. Als Generalsekretär der Partei gelang es Stalin, die von ihm benötigten Personen in Schlüsselpositionen zu bringen. Bald bildete sich eine große „Koalition“ um ihn herum, die bereit war, jede seiner Entscheidungen zu unterstützen, und alle Anhänger Trotzkis wurden aus ihren Positionen entfernt. Trotzki verlor diese Konfrontation, und schon bald wurde er an alle Fehler der Vergangenheit erinnert, öffentlich diskreditiert und beschuldigt, von der Parteipolitik abzuweichen. 1927 wurde dieser enge Mitarbeiter Lenins und Führer der Oktoberrevolution aus der Partei ausgeschlossen und 1929 des Landes verwiesen.

Dank Stalin gerieten nicht nur alle revolutionären Verdienste Trotzkis in Vergessenheit, sondern er wurde zum „Volksfeind“ und das Wort „Trotzkist“ zu einer gefährlichen Bezeichnung – unter dem Vorwurf des Trotzkismus konnte man ins Gefängnis gesteckt oder erschossen werden. 

Im Jahr 1940 wurde Trotzki, der damals in Mexiko lebte, von einem sowjetischen Geheimdienstagenten auf Befehl Stalins mit einem Eispickel ermordet.