Die heilige Xenija: Wie eine Petersburger närrische Asketin zur Nationalheiligen wurde

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Obwohl Xenija von St. Petersburg zu Lebzeiten die Liebe, Autorität und den Respekt der russischen Hauptstadt genoss, wurde sie erst 1988 heiliggesprochen.

1757, nach dem Tod des Obersten der Leibgarde Andrej Petrow vom Preobraschenski-Regiment, zog seine Frau Xenija seine Tracht an - einen grünen Umhang und rote Hosen -, verkündete allen, dass „Xenija Grigorjewna gestorben“ sei, und ordnete an „Andrej Fjodorowitsch“ genannt zu werden.

Tatsächlich starb ihr Mann plötzlich und fand keine Zeit für die Kommunion. Um für das Seelenheil ihres Mannes zu sorgen, nahm Xenija ein asketisches Dasein als eine „Närrin in Christo“ auf sich. So wurde sie von ihren Zeitgenossen in Erinnerung behalten, in der rot-grünen Preobraschenski-Tracht, und so wird sie auch auf zeitgenössischen Bildnissen dargestellt.

Eine Rekonstruktion des Aussehens der angeblichen Xenija- aus dem Museum der Heiligen Xenija von St. Petersburg.

Als die 26-jährige verwitwete Frau aus einer adligen Familie in die Erbfolge eintrat, verzichtete sie auf weltliche Güter: Sie verteilte ihren Besitz an die Armen, vermachte ihr Haus der Witwe Paraskewa Antonowa, die ein Zimmer von ihr mietete, und stiftete ihr Vermögen der Kirche „damit Xenijas Seele Frieden finde“.

Die Verwandten des Ehemanns hielten Xenija für wahnsinnig und beantragten beim Vorgesetzten ihres verstorbenen Mannes das Sorgerecht für ihre Verwandte. Man wollte verhindern, dass sie in ihrer geistigen Umnachtung allen Besitz verschenkt. Die Beamten, die die Witwe zu einem Gespräch vorluden, kamen zu dem Schluss, dass sie bei klarem Verstand und geschäftsfähig sei und daher über ihr Vermögen nach Belieben verfügen könne. Es darf nicht vergessen werden, dass es für die Behandlung christlicher „närrischer“ Asketen strenge Gesetze gab: Peter I. schuf eine gesetzliche Grundlage für die Bekämpfung scheingläubiger christlicher Asketen, um der Versuchung vorzubeugen, sich als solche auszugeben. Abgesehen von jenen „Jurodiwy“, die tatsächlich verrückt waren oder sich der Askese hingaben, gab es in Russland auch genug vorgetäuschte Narren, die sich über gesellschaftliche Konventionen, Gesetze und Anstand hinwegsetzen wollten, Provokateure, die ihren gesellschaftlichen oder politischen Protest unter dem Deckmantel des Wahnsinns zum Ausdruck brachten, sowie solche, die sich durch Betteln persönlich bereichern wollten. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde das Narrentum mit Folter und Gefängnis bestraft. In Xenijas Handlungen wurden aufgrund ihrer adligen Herkunft und ihrer karitativen Tätigkeit offensichtlich kein „Straftatbestand“ festgestellt.

Verzicht auf weltliche Güter

Xenija erbat keine Barmherzigkeit, lehnte milde Gaben oft ab und gab die Kopeke, die man ihr spendete, sofort an die Armen weiter. Sie war fromm und bescheiden und führte keine für Geisteskranke typische sinnlose Handlungen aus. Tagsüber wanderte sie durch die Straßen, besuchte Bekannte und ging nachts, wie die Polizei, die sie verfolgte, feststellte, auf die Felder außerhalb der Stadt, um dort stundenlang zu beten. Von Zeit zu Zeit übernachtete sie bei einigen Bekannten zu Hause.

Ein angebliches Porträt von Xenija.

Mit der Zeit bemerkten die Einwohner von St. Petersburg, dass sich im Leben derjenigen, denen sie ihre Aufmerksamkeit schenkte, manches zum Besseren wendete. Die Händler auf dem Markt baten sie, bei ihnen am Stand vorbeizuschauen, und Mütter mit Kindern eilten ihr entgegen, um sie zu bitten, ihren Kindern einen Segen zu geben oder ihnen einfach den Kopf zu streicheln, in dem Glauben, dass dies das Kind heilen und ihnen Glück bringen würde.

Vorhersage des Todes der Romanows

Am Weihnachtsabend des Jahres 1761 rannte Xenija aufgeregt durch die Straßen und rief: „Backt Pfannkuchen, backt Pfannkuchen, bald wird ganz Russland Pfannkuchen backen!“ Die Bürger ahnten, dass etwas nicht stimmte, denn in der orthodoxen Tradition sind Pfannkuchen ein Gericht, das für Beerdigungen vorgeschrieben ist. Und am 25. Dezember starb Zarin Jelisaweta Petrowna, die Tochter von Peter I.

Ikone der heiligen Xenija von St. Petersburg.

Im Jahr 1764 sah die Närrin den Tod des Thronfolgers Iwan VI. Antonowitsch voraus, der seit seinem zweiten Lebensjahr in Gefangenschaft lebte und mit 16 Jahren in der Festung Schlüsselburg eingekerkert wurde. Am Vorabend des Todes des jungen Mannes weinte Xenija, und auf Fragen antwortete sie: „Blut, Blut, Blut... Die Flüsse sind blutüberströmt, die Kanäle sind blutig, es gibt Blut, Blut...“ Einige Wochen später wurde Iwan erstochen, als Verschwörer versuchten, ihn aus seiner Gefangenschaft zu befreien. 

Sie lenkte Schicksale

Manchmal gab Xenija unvermittelt rätselhafte Ratschläge, die das Leben derer, mit denen sie sprach, veränderten. So erschien sie an der Türschwelle ihres früheren Hauses und sagte der neuen Hausherrin Paraskewa Antonovw, dass „Gott ihr einen Sohn geschickt habe" und sie sofort zum Smolensker Friedhof gehen müsse. Die Frau eilte dorthin, wie ihr aufgetragen worden war, und auf dem Friedhof sah sie die Menschenmenge und erfuhr, dass ein Kutscher eine hochschwangere Frau überfahren hatte, die dort entbunden hatte und auf der Stelle starb. Paraskewa nahm das Kind an sich, und da sie wusste, dass keine Verwandten nach ihm fragen würden, nannte sie den Waisenjungen Andrej und adoptierte ihn.

I. Gansenko. Beweise für die Wunder der heiligen Xenija von Petersburg, 2021.

Ein anderes Mal erzählte Xenija einer bekannten jungen Frau, dass „ihr Ehemann seine Frau in Ochta“ (einem Stadtteil von St. Petersburg) beerdigen würde. Sie ging zur Beerdigung und traf dort einen untröstlichen Witwer, der seine Frau verloren hatte, die bei der Geburt gestorben war. Ein Jahr später heiratete sie ihn und lebte mit ihm in Frieden und Harmonie bis ins hohe Alter.

Einem anderen Mann, der Xenia um ein Gebet bat, gab sie eine Münze und sagte: „Halte das Pferd! Du wirst es weit reiten!" (Auf der Rückseite der Ein- und Zwei-Pfennig-Münzen war der Heilige Georg zu Pferd abgebildet). Und bald wurde er reich. 

Sie errichtete eine Kirche

Im Jahr 1786 wurde auf dem Smolensker Friedhof mit dem Bau einer Steinkirche begonnen. Den Arbeitern fiel bald auf, dass am Morgen Ziegelsteine auf das Gerüst gelangt waren. Es stellte sich heraus, dass die alte Frau Xenija die Ziegel nach Sonnenuntergang und vor Sonnenaufgang auf die Spitze der zu errichtenden Wände hob. „Wann schläfst du, Andrej Fjodorowitsch?“ - fragten die Baumeister sie. „Zum Schlafen haben wir unter der Erde noch Zeit genugt“, antwortete sie.

Die heilige Xenija hebt Ziegelsteine auf dem Glockenturm der Kirche Unserer Lieben Frau von Smolensk. Aus dem Buch von E. Rachmanin

Ksenia war besorgt, ob das Mauerwerk auch stabil sei: „Es wird viel aushalten müssen, aber es wird halten …“. 1824 wurde der Friedhof durch eine Überschwemmung zerstört: viele Kreuze und Gräber wurden abgetragen und die Friedhofsbücher vernichtet, die Kirche aber blieb erhalten. In der Nähe dieser Kirche wurde Xenija, die im Alter von 71 Jahren starb, begraben.

Half noch über ihren Tod hinaus

Xenijas Grab wurde zu einem Wallfahrtsort. Menschen, die mit Bitten um Hilfe kamen, nahmen sich eine Handvoll Erde mit, weshalb der Grabhügel zweimal aufgeschüttet werden musste.

Der Legende nach wandte sich Anfang der 1870er Jahre sogar die Zarentochter Maria Fjodorowna an Xenija mit der Bitte um Genesung ihres an Typhus erkrankten Mannes, des späteren Zaren Alexander III. Ihr Diener soll ihr Sand aus Xenijas Grab mitgegeben haben, und die Großfürstin legte ihn unter das Kopfkissen des Patienten. In dieser Nacht hatte sie eine Vision von einer alten Frau, die Alexanders Genesung und die Geburt einer Tochter vorhersagte, die den Namen Xenija erhalten sollte. Das Paar erfüllte ihren Wunsch. 

Die Kapelle der heiligen Xenija von Petersburg wurde 1902 erbaut.

Im Jahr 1902 wurde auf ihrem Grab eine Kapelle mit einer Ikonostase aus Marmor und einem Grabstein errichtet. Am 24. September 1978 wurde Xenija von St. Petersburg von der Russischen Orthodoxen Kirche außerhalb Russlands und am 6. Juni 1988 vom Landeskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche heiliggesprochen.

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