Die jüngsten Heiligen der russisch-orthodoxen Kirche

Russia Beyond (A team of iconographers from Saint Tikhon's Orthodox University; Boissonnas & Eggler; Legion Media; H. S. Mendelssohn)
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR hat die wiederauflebende russisch-orthodoxe Kirche auch neue Heilige kanonisiert. Es handelte sich hauptsächlich um Menschen, die wegen ihres Glaubens unter den Kommunisten gelitten hatten, aber nicht nur.

Die Sowjetunion war für ihre rigorose antireligiöse Politik bekannt. Mit Beginn der Perestroika wurde die Kontrolle gelockert, das Interesses der Bürger an Religion lebte allmählich wieder auf. Bereits 1988 ernannte die russisch-orthodoxe Kirche neue Heilige. Überraschenderweise waren darunter viele Menschen aus der fernen und gar nicht so fernen Vergangenheit: der mittelalterliche Fürst Dmitrij Donskoj, der Ikonograph Andrej Rublew, die selige Xenija aus Sankt Petersburg, der alte Mönch Amwrosi von Optina und andere. Dies war ein sehr bedeutender Schritt, denn in den 200 Jahren vor dem Untergang des Russischen Reiches wurden in der russisch-orthodoxen Kirche nur 11 Personen heiliggesprochen. Das Verfahren war stets langwierig und kompliziert. Zwingend erforderlich waren Belegen für vollbrachte Wunder in ausreichender Zahl oder unvergängliche Reliquien. 

Russlands neue Märtyrer und Bekenner

Nach dem Untergang der Sowjetunion erlebte Russland eine wahre religiöse Blütezeit. Viele Kirchen und Klöster wurden rekonstruiert, Gottesdienste fanden wieder statt, und Millionen von Bürgern wurden sich ihres Glaubens bewusst. Zugleich schritt die Aufnahme neuer Heiliger voran. Allein auf dem Bischofskonzil im Jahr 2000 wurden mehr als tausend „Neumärtyrer“ und Bekenner Russlands heiliggesprochen. Hier sind nur einige von ihnen.

Patriarch Tichon

Tichon hatte das „Glück“, während der Revolution von 1917 Patriarch zu sein. Er bekannte sich weiterhin offen zum christlichen Glauben und versuchte sogar, sich den Bolschewiken zu widersetzen (insbesondere leistete er Widerstand gegen die Beschlagnahmung von Kirchenschätzen und forderte andere Priester auf, seinem Beispiel zu folgen). Dem Patriarchen wurde mit Verhaftung und Todesstrafe gedroht, doch die neuen Machthaber wagten es nicht, eine solche Strafe zu verhängen. Tichon starb 1925, offiziell an einem Herzinfarkt, aber es gab Gerüchte, dass er vergiftet worden sein könnte. Zu dieser Zeit führten die Bolschewiki in ganz Russland Massenprozesse gegen Geistliche durch. Tichon wurde 1989 als einer der ersten Heiligen der „neuen Zeit“ kanonisiert, und zwar als Opfer der Bolschewiken. Da er nicht den Märtyrertod für Christus gestorben war, wurde er dafür heiliggesprochen, dass er seinem Glauben treu blieb, für sein rechtschaffenes Leben und für seine Verdienste als Seelsorger.

Johannes von Kronstadt

Die orthodoxe Kirche im Ausland sprach Johannes bereits 1964 heilig, in Russland jedoch erst im Jahr 1990. Johannes war eine außerordentlich charismatische religiöse Figur am Ende des zaristischen Russlands, der praktisch die Unvermeidbarkeit der Katastrophe vorhersah. Er war eine Lichtgestalt für die Armen und Hungrigen, verteilte täglich gewaltige Summen an Almosen (sowohl Reiche als auch weniger Begüterte spendeten ihm), war in ganz Russland bekannt, unternahm „Tourneen“ durch das Land und wurde überall fast wie der Messias begrüßt. Zeitgenossen bezeugten die vielen Wunder, die er zu Lebzeiten bewirkte, und er war es auch, der eingeladen wurde, den sterbenden Alexander III. zu besuchen, den er jedoch nicht mehr heilen konnte. Zugleich war er ein persönlicher Feind und Kritiker von Leo Tolstoi.

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Iwan Kotschurow (Johannes von Zarskoje Selo)

Iwan wurde 1994 heiliggesprochen und gilt als der ersten „Neumärtyrer“, d. h. als einer der ersten, die in Russland für Christus starben. Kotschurows Biografie ist beeindruckend: Viele Jahre lang diente er der orthodoxen Kirche in den USA - in der Diözese der Aleuten und Alaskas. Während seines Aufenthalts in Russland sammelte er Geld für den Bau der Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit in Chicago (ein erheblicher Betrag wurde von Nikolaus II. selbst gespendet). 1907 kehrte Johannes in das Russische Reich zurück und wurde ab 1916 Priester in der Katharinenkathedrale von Zarskoje Selo (wo der Zar und seine Familie zu dieser Zeit lebten). Nach der Revolution von 1917 griff die Rote Armee Zarskoje Selo an, aber Johannes hörte nicht auf, sein Amt auszuüben, sondern unterstützte offen die monarchistisch gesinnten Kosaken und forderte die Menschen auf, sich ebenfalls gegen die Sowjets zu stellen. Es gibt unterschiedliche Quellen, die seinen Tod beschreiben, aber es ist sicher, dass es ein gewaltsamer Tod durch die Rote Armee war. 

Neumärtyrer von Butowo 

Der Truppenübungsplatz von Butowo erlangte durch Massenerschießungen traurige Berühmtheit. In den Jahren 1937/38 wurden bei Moskau mehr als 20.000 Menschen ermordet, darunter über tausend Geistliche verschiedener Konfessionen. Viele von ihnen wurden wegen antisowjetischer Verschwörungen und der Verbreitung verbotener religiöser Lehren angeklagt. Patriarch Alexius II. bezeichnete dieses Ereignis als russisches Golgatha und segnete 2003 das Gedenken an die Neuen Märtyrer von Butowo, d.h. an diejenigen, die in Butowo für Christus den Märtyrertod starben. Die Liste der ermordeten orthodoxen Priester zählt 325 Personen, die alle namentlich bekannt sind. In der Nähe des Ortes befindet sich heute eine Kirche, die den neuen Märtyrern von Butowo gewidmet ist.    

Der Heilige Lukas (Wojno-Jassenetzky)

Die Biographie dieses Heiligen ist erstaunlich. In der Sowjetzeit diente Lukas nicht nur weiterhin in der Kirche, sondern stieg auch in den Rang eines Erzbischofs auf. Daneben war er ein praktizierender Chirurg, der Begründer der Eiterchirurgie und ein angesehener Wissenschaftler. Viele Jahre verbrachte er jedoch im Gefängnis und im Exil, überlebte aber und erhielt den Stalinpreis für seine medizinische und wissenschaftliche Leistung. Biographen finden keine andere Erklärung als die Bedeutung seiner Person als Arzt, die sogar die sowjetische Führung erkannte. Im Jahr 1961 starb Luka im ehrwürdigen Alter von 84 Jahren. Und im Jahr 2000 wurde er in den Kreis der heiligen Bekenner der russisch-orthodoxen Kirche aufgenommen. 

Nikolaus II. und seine Familie

Die Heiligsprechung des letzten russischen Zaren, der 1918 zusammen mit seiner Familie von den Bolschewiken brutal ermordet wurde, löste innerhalb der Kirche selbst und in der Gesellschaft größte Kontroversen und Diskussionen aus. Die russisch-orthodoxe Kirche außerhalb Russlands hatte den Zaren bereits 1981 heiliggesprochen. In den 1990er Jahren prüfte eine spezielle Kommission für die Kanonisierung von Heiligen die Argumente der Befürworter und Gegner einer Heiligsprechung. Im Jahr 2000 schließlich wurden Zar Nikolaus II., Zarin Alexandra, Zarewitsch Alexej und die Großfürstinnen Olga, Tatjana, Maria und Anastasia als Märtyrerinnen heiliggesprochen. 

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Großherzogin Jelisaweta Fjodorowna

Am Tag nach der Hinrichtung der Zarenfamilie wurden mehrere Angehörige des Hauses Romanow lebendig in eine Mine in der Nähe von Jekaterinburg gesperrt, die anschließend mit Granaten gefüllt wurde. Augenzeugenberichten zufolge waren sie noch tagelang am Leben und stöhnten laut vor Schmerzen und beteten. Zu ihnen gehörte auch Jelisaweta Fjodorowna. Ihren Leichnam soll man mit vor der Brust verschränkten Armen, in der Geste des Kreuzzeichens, gefunden haben. Die russische Kirche im Ausland kanonisierte alle „Märtyrer von Alapajewsk“, sprach jedoch im Jahr 1992 nur Jelisaweta Fjodorowna und ihre Schwägerin, die Nonne Barbara, als Märtyrerinnen heilig. 

Jelisaweta war nicht nur eine Märtyrerin. Ihr ganzes rechtschaffenes Leben war der Kirche und der Nächstenliebe gewidmet. In der Familie wurde sie von allen „Ella“ genannt. Sie war die ältere Schwester der letzten russischen Zarin Alexandra und mit dem Onkel von Nikolaus II., Großfürst Sergej Alexandrowitsch, verheiratet. 1905 wurde er, der Generalgouverneur von Moskau, von einer Granate getötet, die ein Terrorist auf ihn geworfen hatte. Nach dem Tod ihres Mannes wurde Jelisaweta seine Nachfolgerin an der Spitze der Kaiserlich-Orthodoxen Palästinensischen Gesellschaft. Sie gründete auch das Martha-Maria-Kloster in Moskau. 

Alexander Schmorell

Zu den ungewöhnlichsten Figuren auf unserer Liste gehört ein antifaschistischer Heiliger. Alexander Schmorell wurde 1917 in Orenburg geboren, zog aber schon in jungen Jahren mit seinem Vater, einem Russlanddeutschen, nach Deutschland. Der Junge war ein aktives Gemeindemitglied der orthodoxen Kirche. Als die Nazis an die Macht kamen, nahm Alexander eine offen antifaschistische Haltung ein, musste sich jedoch zur Wehrmacht melden und Hitler die Treue schwören. Während des Krieges leistete er heimlich medizinische Hilfe für sowjetische Soldaten. Nachdem er von dem Massenmord an den Juden erfahren hatte, gründeten Schmorell und seine Freunde die antifaschistische Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ und verteilten Flugblätter. Im Jahr 1943 wurde der 25-jährige Alexander verhaftet, gefoltert und zum Tod durch das Fallbeil verurteilt.

Die russisch-orthodoxe Kirche im Ausland sprach den jungen Mann 1994 heilig, während das Moskauer Patriarchat ihn 2012 als Heiligen anerkannte und damit zu einem seiner jüngsten Neumärtyrer machte.

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