Johannes von Kronstadt: Heiliger Erzfeind Tolstois

Getty Images; Franz Protasewitsch/Russsches Institut für Literatur der Russischen Akademie der Wissenschaften
Russlands berühmtester Priester war im ganzen Land bekannt und wurde bereits zu Lebzeiten von vielen als Heiliger verehrt. Er war zugleich auch ein Zeitgenosse und leidenschaftlicher Gegner von Leo Tolstoi.

Ein Priester aus Kronstadt 

Johannes wurde 1829 in der Region Archangelsk in eine sehr arme Familie geboren. Er studierte an einem örtlichen theologischen Seminar und erhielt später ein Stipendium für die theologische Akademie von St. Petersburg. 

1855 diente Johannes in der St.-Andreas-Kathedrale in Kronstadt unweit von St. Petersburg und sicherte sich durch die Heirat mit der Tochter eines örtlichen Kirchenoberen eine geistliche Position. Obwohl orthodoxe Priester normalerweise große Familien hatten, teilte Johannes seiner Frau nach ihrer Hochzeit mit, dass sie wie Bruder und Schwester leben würden.

St.-Andreas-Kathedrale in Kronstadt

Kronstadt war damals eine Hafenstadt, in der Armut, Laster und Verdorbenheit an der Tagesordnung waren. Jeden Tag hielt Johannes in der Kirche eine Messe und verteilte anschließend Almosen. 

Dann besuchte er die Häuser und Hütten, in denen sich kranke Frauen und Kinder drängten, während ihre Ehemänner arbeiteten, tranken oder plünderten. Er saß bei den Kindern, sprach mit den Frauen und gab ihnen alles, was er hatte.

Wunderheiler  

1859 machte Johannes seinen ersten Tagebucheintrag über eine Heilung - oder sogar Wiedererweckung - eines Babys. Er hielt den winzigen, bereits kalten Körper in seinen Armen, betete und vollzog das Sakrament der Taufe. Plötzlich wurde das Kind wieder lebendig. In den 1860er Jahren zeichnete Johannes mehrere Fälle auf, in denen er Kranken geheilt habe und schrieb, dass er „gebetet habe, dass die Betroffenen geheilt werden, und der Herr seine Barmherzigkeit gezeigt habe.“ Dies wurde mehr als einmal wiederholt und gelegentlich heilte er sogar ganze Gruppen von Menschen.

Johannes von Kronstadt mit einem seiner Patensöhne

Bald bekam die Presse Wind davon. 1883 erschien ein Artikel, in dem 16 Personen behaupteten, Johannes habe sie geheilt. Von diesem Moment an verbreitete sich sein Ruhm landesweit. Eine nicht unerhebliche Rolle für die wachsende Popularität des Priesters spielte die „fromme Frau“ Paraskewa Krapiwina. Sie wurde eine Art Beraterin für „irdische Angelegenheiten und glaubte, dass Johannes Wirken sich nicht auf die bescheidene Gemeinde Kronstadt begrenzen sollte. Heute würde man sie als Johannes‘ PR-Beraterin bezeichnen.

Insbesondere organisierte sie Spenden. Später begannen die reichsten Menschen in Russland, riesige Geldsummen zu spenden. Johannes verteilte dieses Geld weiter an Kranke und Leidende. Auch gab er große Summen für den Bau etwa eines Tierheims, einer Schule oder eines Krankenhauses. Üppige Geschenke und große Spenden kamen auch von der kaiserlichen Familie.

Berühmt wie Michael Jackson 

In den 1880er Jahren machten Johannes wundersame Heilungen und leidenschaftliche Predigten ihn in Russland zu einem sehr bekannten Mann. Auf Krapiwinas Vorschlag hin unternahm er Reisen durch das Land, traf Gläubige und hielt Messen in örtlichen Kirchen und Klöstern. Tausende von Gläubigen strömten herbei, um den großen Prediger zu berühren oder zumindest einmal zu sehen. Obwohl seine Aufenthalte immer nur kurz waren, versuchte er, so viele Menschen wie möglich zu heilen oder zumindest zu trösten und zu segnen.

Er hinterließ großen Eindruck bei jedem, den er traf. Viele schrieben, dass er „wie ein sanftmütiger Einfältiger wirkte, der nicht von dieser Welt war und zufällig auf dieser sündigen Erde erschienen war“.

Selbst auf dem Höhepunkt seiner Popularität hielt Johannes weiterhin jeden Tag eine heilige Messe ab, verteilte die heilige Kommunion und entsagte nahezu vollständig persönlichem Besitz. Alle Einnahmen aus den großzügigen Spenden verteilte er an die Bedürftigen und behielt nichts für sich. Seine Frau, die Johannes‘ Großzügigkeit sehr ablehnend gegenüberstand, beklagte sich oft bei den kirchlichen Behörden, dass ihr nichts zum Leben bliebe, weil ihr Mann alles weggab.

Die letzte Hoffnung des Zaren 

1894 wurde Johannes von Kronstadt auf die Krim gerufen, wo Kaiser Alexander III. schwer erkrankt war. Der Zar hatte natürlich seinen persönlichen Beichtvater, aber aus Verzweiflung wurde der „Volkspriester“ wegen seiner berühmten Heilkünste gerufen. Er war die einzige Hoffnung für die kaiserliche Familie. Johannes war in den letzten Stunden seines Lebens beim Zaren, sprach Gebete und führte Rituale durch.

Die Trauerfeier für den verstorbenen Alexander III. im Liwadia-Palast am 21. Oktober 1894

Der große Heiler hatte es nicht geschafft, den Kaiser zu retten. Dies war der Höhepunkt seines priesterlichen Ruhmes. Seine letzte Aufgabe für die kaiserliche Familie bestand darin, nach der Krönung Nikolaus II. am Gottesdienst teilzunehmen. Danach gehörte er nicht mehr zum inneren Zirkel.  

Erzfeind Tolstois 

Leo Tolstoi und Johannes von Kronstadt waren die führenden Köpfe des Russlands im späten 19. Jahrhunderts und unversöhnliche Feinde.

Tolstoi hatte eine eigene Sicht der Religion. Er hörte auf, kirchliche Riten zu befolgen und lehnte sie sogar ab, da er glaubte, dass Vermittler wie Priester und die Kirche für den wahren Glauben nicht erforderlich seien. Schließlich leugnete er den göttlichen Ursprung Christi. Der sonst so sanfte Priester schimpfte Tolstoi „einen Ketzer, der alle Ketzer übertrifft“ und sagte voraus, dass er „den wilden Tod eines Sünders“ erleiden würde.

Im späten 19. Jahrhundert verlor die orthodoxe Kirche, eine der Säulen Russlands, ihren Einfluss, und die Gesellschaft befand sich in einer Glaubenskrise. „Die Tragödie des Streits war, dass beide Männer nach Wegen suchten, den Glauben vor seiner eigenen Krise zu retten, schreibt Pawel Basinski in seinem Buch „Johannes von Kronstadt und Leo Tolstoi: Geschichte einer Feindschaft“. Tolstoi glaubte, dass der Glaube vor der Kirche selbst gerettet werden müsse, und forderte die Menschen auf, selbst zu beten. Johannes seinerseits verteidigte die Kirche, „indem er durch seinen einzigartigen Dienst das Vertrauen in sie stärken und vermehren wollte, schreibt Basinski.

Zwei zutiefst spirituelle Individuen wurden zu Feinden aufgrund ihrer unterschiedlichen Ansichten darüber, wie man die spirituelle Kluft in Russland heilen könne, aber keiner war letztlich erfolgreich. Schließlich war es auch dieses Schisma in der Gesellschaft, das zum Blutvergießen der Revolution und zum Bürgerkrieg führte.

1990 wurde Johannes von Kronstadt in Russland heiliggesprochen.

>>> Gegen Staat, Kirche und Shakespeare: Tolstois drei „heilige Kriege"

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