König für zehn Tage: Wie ein russischer Abenteurer europäischer König wurde

Russia Beyond (Photo: Public Domain)
Im Juli 1934 wählte der zwischen Spanien und Frankreich gelegene Zwergstaat Andorra zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte einen König. Gekrönt wurde unerwartet der in Russland geborene Boris Skossyrew, ein Emigrant und Falschspieler.

In seinem politischen Programm trat Skossyrew für eine Modernisierung des Landes, die Abschaffung der Steuern, die Anwerbung ausländischen Kapitals, die Eröffnung von Banken und Kasinos, die Entwicklung des Tourismus und des Sports ein, präsentierte der Öffentlichkeit eine neue andorranische Zeitung und eine neue Flagge, erarbeitete eine neue Verfassung und ließ sie in einer Auflage von 10.000 Exemplaren drucken.

Seine Vorschläge waren ihrer Zeit voraus. Sie wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Andorra in groben Zügen umgesetzt. Seitdem hat Andorra sich zu einem Land entwickelt, dessen BIP maßgeblich auf den Tourismus zurückgeht, in dem Banken erhebliche Steuervorteile und Vertraulichkeit genießen und dessen erwerbstätige Bevölkerung in den Genuss einer in Europa fast unschlagbar niedrigen Einkommenssteuer kommt. 

Für ein Fürstentum, das seit 1278 formell sowohl dem französischen Staatsoberhaupt als auch dem spanischen Bischof von Urgell unterstellt war, sahen Skossyrews Versprechen sehr verlockend aus. Erst recht im letzten Jahr seines Bestehens: Die Bevölkerung war unzufrieden mit den Einschränkungen des Wahlrechts. So bestätigte die lokale Selbstverwaltung von Andorra - der Generalrat der Täler - zweimal das Programm des Herausforderers Skossyrew und erklärte ihn zum König Boris I.

Skossyreff schreibt Verfassung

Boris verbrachte weniger als zwei Wochen auf dem Thron. Der Bischof von Urgell war verärgert über die Entscheidung, in Andorra ein Kasino zu eröffnen, und kritisierte Skossyrew dafür öffentlich. Der neue König antwortete mit einer Proklamation, in der er „dem Bischof den Krieg erklärte“, obwohl Andorra abgesehen von einigen Wachsoldaten über keine eigene reguläre Armee verfügte. Am 20. Juli verhaftete die katalanische Garde Skossyrew unter dem Vorwand, gegen die Einwanderungsgesetze verstoßen zu haben, und zwar bereits 1933, als er nach Andorra eingereist war, aber ausgewiesen wurde. Diesmal wurde er nach Barcelona und danach nach Madrid gebracht.

Dort geriet Boris I. ins Rampenlicht der Medien. In einem Interview sagte er, er habe sich „von dem Wunsch leiten lassen, die Bevölkerung des Fürstentums vor der Ausbeutung durch Frankreich zu schützen“. Skossyrew begründete seinen Anspruch auf den Thron damit, dass der letzte legitime Erbe der französische König und nicht der Präsident sei. Der Nachfahre des französischen Königs, Jean d' Orléans, Herzog von Guise, hatte angeblich seine Rechte an Andorra an Skossyrew persönlich übertragen, und Skossyrew besaß sogar ein entsprechendes Schriftstück. 

Wer war der Mann, dem ein solch dreister Betrug gelang?

Halbblütiger Graf

Das Abenteurer-Gen hatte Boris anscheinend von seiner Mutter Elisabeth, geborene Gräfin Mawrusow, geerbt. Er ging aus ihrer ersten Ehe - unter dem Familiennamen Simonitsch - am 12. Januar 1896 hervor. Sein Vater war der 11 Jahre jüngere pensionierte Kornett Michail Skossyrew, schreibt der weißrussische Historiker Leonid Lawresch.

Ihre erste Ehe schloss Elisabeth aus Liebe mit ihrem eigenen Cousin - obwohl solche Ehen verboten waren. Ihre zweite Ehe jedoch war für damalige Verhältnisse eine Mesalliance. Michail Skossyrew war der Sohn eines St. Petersburger Kaufmanns der 1. Gilde, eines erblichen Lieferanten des kaiserlichen Hofes, aber er besaß keinen Adelstitel und konnte ihn daher nicht an Boris vererben, so dass der Sohn sich später ungerechtfertigt als Adeliger bezeichnete.

Ab 1900 lebte die Familie in Vilnius und in der Nähe von Lida (heutiges Weißrussland), wo Boris seine Kindheit verbrachte. Im Herbst 1915 wurde die Region von deutschen Truppen besetzt und die Familie zog in den Osten. Boris ging wahrscheinlich als Freiwilliger an die Front und kämpfte als Mitglied einer britischen Panzerdivision an der russischen Front. Dies geht zumindest aus dem Referenzschreiben hervor, das Oliver Locker-Lampson, der Kommandeur der Division, 1924 für Skossyrew ausstellte, schreibt Alexander Kaffka, ein russischer Skossyrews-Biograph. Höchstwahrscheinlich wurde er der Division als Militärdolmetscher zugeteilt. Nach der Revolution suchte Skossyrew politisches Asyl in Großbritannien und trat für zwei Jahre in die britische Armee ein.

„Patensohn“ eines englischen Kommandanten

Nach dem Ersten Weltkrieg zog Skossyrew ins Ausland und versuchte, in der Gesellschaft der Reichen und Mächtigen Fuß zu fassen. Eine Zeit lang verbreitete er unterschiedliche Gerüchte, zum Beispiel in Bezug auf seine vermeintlichen Verbindungen zu Mitgliedern der russischen Zarenfamilie, seinen Besuch der renommierten Eliteschule Lycée Louis le Grand in Paris und des Magdalen College der Universität Oxford. Er behauptete auch, mit dem Prinzen von Wales befreundet zu sein und am Hof der Königin der Niederlande gedient zu haben, wofür er von ihr zum Grafen von Oranien ernannt worden sei, schildert Kaffka. 

In Wirklichkeit stimmte nichts von alledem. Skossyrew stand lediglich im Kontakt zu Locker-Lampson und über ihn zum britischen Geheimdienst, für den er wahrscheinlich tätig war. Diese Verbindung könnte zumindest erklären, warum Skossyrew in den 1920er Jahren den durch seine Betrügereien mit Bankschecks und Bagatelldiebstählen ausgelösten Schwierigkeiten mit der Justiz leicht entgehen konnte. Darüber hinaus behaupten verschiedene Quellen, Boris sei Anfang der 1930er Jahre auf Mallorca von der spanischen Polizei im Zusammenhang mit dem Besitz von Kokain „in Gewahrsam“ genommen worden.

Skossyreffs niederländischer Reisepass

In den 1920er Jahren besorgte sich Boris kurzzeitig einen niederländischen Reisepass. Um sich in Frankreich zu legalisieren, heiratete er 1931 eine Frau, die 11 Jahre älter war als er, doch die Behörden verweigerten ihm aufgrund seines schlechten Rufs weiterhin die Staatsbürgerschaft. Die Tatsache seiner Ehe hinderte ihn jedoch nicht daran, wohlhabende Geliebte in verschiedenen Ländern zu haben und sich von ihnen aushalten zu lassen. Gleichzeitig verfolgte er verschiedene dubiose Bereicherungspläne und beobachtete die politische Lage in Europa genau. 

Agent mehrerer Geheimdienste

Was das andorranische Abenteuer von Boris Skossyrew betrifft, so wurde es laut Gerhard Lang, Autor des Buchs „Boris von Skossyreff - Agent der Deutschen, König von Andorra“, vom Dritten Reich finanziert, das daran interessiert war, die Lage auf der Iberischen Halbinsel zu destabilisieren, bei den Andorianern den Gedanken der Unabhängigkeit von Frankreich und Spanien zu fördern und Paris zu untergraben.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Spanier Skossyrews Verbindungen zu den Deutschen aufdeckten: Sie verurteilten ihn im Jahr 1934 nach dem „Gesetz über Landstreicher und Rechtsbrecher“ zu einer einjährigen Freiheitsstrafe, behielten ihn aber nur einen Monat im Gefängnis, um dann den ersten und letzten andorranischen König nach Portugal zu deportieren.

Die nächsten Jahre verbrachte er in Portugal, Spanien und Frankreich, wo er sich wieder auf seine Ehefrau besann.

Boris I., König von Andorra

1939 internierten die Franzosen Skossyrew im Camp de Rieucros in Mande und verlegten ihn anschließend in das nationalsozialistische Konzentrationslager für Ausländer in Le Vernet (Camp du Vernet). Im Jahr 1942 wurde er von den Deutschen in ein Arbeitslager in der Nähe von Berlin gebracht. Nach Langs Darstellung erhielt er nach einiger Zeit eine Stelle als Dolmetscher bei der 6. Panzerdivision der Wehrmacht und wurde zum Offizier befördert.

Der Krieg endete für Boris in amerikanischer Gefangenschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ er sich in Westdeutschland nieder, wurde aber 1948 in Ostdeutschland von den sowjetischen Sicherheitsdiensten verhaftet: Er war „aus geschäftlichen Gründen“ (wie der Schmuggel damals auch genannt wurde) in die sowjetische Besatzungszone gefahren. Bis 1956 war er in sowjetischen Lagern inhaftiert, dann kehrte er nach Boppard zurück, wo er den Rest seines Lebens verbrachte und 1989 starb.

„Seltsamerweise waren die deutschen Behörden sofort an ihm interessiert, weil er Verbindungen zum sowjetischen Geheimdienst hatte. Sie verstanden offensichtlich nicht, wie die Tschekisten einen Mann mit einer so bewegten Biografie wie Skossyrew gehen lassen konnten. Aber die Ermittlungen verliefen ergebnislos“, bemerkt Gerhard Lang.

Die Liebe zum Schwindel blieb Boris offenbar bis ins hohe Alter erhalten. 1982 erschien das Buch „Der Mann in Jalta: Hitlers geheimer Auftrag an Boris von Skossyrew“, in dem behauptet wird, Skossyrew habe auf der Konferenz von Jalta die Alliierten davon überzeugt, keine Atombombe über Deutschland abzuwerfen. Aber auch dies ist nach Überzeugung von Lang eine Lüge.

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