Trotz einiger reißerischer Klischees über die Russen (ohne die man offensichtlich nicht auskommt) hat die Netflix-Serie The Queen's Gambit aus dem Jahre 2020 über eine brillante Schachspielerin und ihr Duell mit den sowjetischen Großmeistern, nicht im Geringsten übertrieben.
Diese Aufnahmen zeigen die Heldin, die US-Meisterin Beth Harmon, wie sie durch einen gewöhnlichen Moskauer Park geht und Dutzende älterer Männer sieht, die über die Bretter gebeugt sind und über ihren nächsten Zug nachdenken. Man könnte meinen, dass es sich auch hier um eine weitere Kljúwa handelt, oder nur um einen Regieeinfall, um die unglaublichen Fähigkeiten der sowjetischen Großmeister zu rechtfertigen. Es heißt, dass nur Kleinkinder in der Sowjetunion nicht Schach gespielt haben. Aber sehen Sie sich diese Bilder an!
Sie entsprechen der Realität.
Schach war ein Lieblingsspiel in fast jeder sowjetischen Familie. In Schulen und Pionierpalästen wurden Schachsektionen eingerichtet, in den Parks Schachtische aufgestellt. Abends versammelten sich oft mehrere Dutzend Spieler um sie herum.
Schach wurde in Höfen, Hauseingängen und sogar an Stränden gespielt.
Selbst der kalte Winter konnte die Menschen in der Sowjetunion nicht vom Schachspielen abhalten – die Tische wurden dann in speziell für diesen Zweck entworfene Schachpavillons verlegt. Es war die absolute Vorherrschaft des Schachs über jede andere Sportart. So ist es nicht verwunderlich, dass die besten Schachspieler der Welt aus der UdSSR kamen. Aber warum gerade Schach?
Die Massenbegeisterung für Schach begann unmittelbar nach der bolschewistischen Revolution. Davor war das Schachspiel das Hobby einiger weniger. Peter I. nahm nicht nur ein Schachspiel mit auf seine Reisen, sondern sogar seine gewohnten Spielgegner. Auch Katharina II. und die anderen Romanows liebten das Schachspiel. Doch die Kommunisten beschlossen, auch hier das Image des Elitären zu bekämpfen – Wladimir Lenin gab die Mode für das Schachspiel vor.
Schach für die Massen hieß die neue Losung. Außerdem war es nicht nur ein Hobby, das eines Kommunisten würdig war. Nikolai Krylenko, Oberbefehlshaber der sowjetischen Armee, erklärte 1924 auf dem Allunions-Schachkongress unverblümt, dass er „die Schachkunst als politisches Mittel“ betrachte.
Er begründete dies damit, dass Schach der einzige Sport sei, der strategisches Denken lehre. Eine Eigenschaft, die für einen Kämpfer äußerst wichtig ist. Genau aus diesem Grund wurden keine Kosten für das Schachspiel gescheut, es wurde aktiv beworben und auch den „Eisernen Vorhang“ gab es für die Schachspieler nicht. Sie waren die ersten sowjetischen Sportler, denen Stalin Mitte der 1930er Jahre die Teilnahme an internationalen Turnieren erlaubte. Nicht einmal den Fußballern gewährte man diese Möglichkeit.
Das Schachspiel erreichte seinen Höhepunkt in den Jahren des Kalten Krieges, einer Zeit, in der es für die UdSSR von entscheidender Bedeutung war, ihre Vormachtstellung in allen Bereichen zu behaupten – vor allem intellektuell. Die Sowjetunion wurde im Westen als sozialistische Schachschmiede bezeichnet. Der US-Amerikaner Bobby Fischer lernte sogar Russisch, um professionelle sowjetische Schachliteratur zu lesen.
Für den durchschnittlichen Sowjetmenschen war der Kampf um den Weltschachtitel so aufregend wie für uns heute das Endspiel in einer Fußball-WM. Bezeichnenderweise begann das Interesse daran mit der Perestroika zu schwinden – im gleichen Maße, wie die politische Konfrontation mit dem Westen abnahm.
Mit dem Zusammenbruch der UdSSR erlosch dieses Interesse fast völlig. In russischen Familien wissen viele immer noch, wie man Schach spielt und bringen es ihren Kindern bei, aber es ist nichts mehr von der früheren Besessenheit zu spüren.