Wie funktionierte der Wohnungstausch in der Sowjetunion?

Bewohner der Stadt Dschambul an Tafeln mit Anzeigen zum Wohnungsverkauf.

Bewohner der Stadt Dschambul an Tafeln mit Anzeigen zum Wohnungsverkauf.

Alexander Kositsin/TASS
In der Sowjetunion gab es keinen Immobilienmarkt im klassischen Sinne - praktisch der gesamte Wohnraum gehörte dem Staat. Doch selbst unter diesen Bedingungen lernten die Menschen, Wohnungen nicht nur zu kaufen, sondern auch nach eigenem Ermessen zu tauschen. Das erforderte freilich besondere Raffinesse.

Wie und warum Wohnungen getauscht wurden

In der Sowjetunion war der größte Teil der Immobilien im Besitz des Staates, der entschied, wer eine Wohnung bekam und wer nicht. Es gab keinen Markt im üblichen Sinne des Wortes.

Um an eine Wohnung zu kommen, konnte man sich auf eine Warteliste für bessere Wohnverhältnisse setzen lassen: Jeder hatte das Recht dazu, wenn ihm in einer Familie weniger als neun Quadratmeter zur Verfügung standen. Die Wartezeit auf eine Wohnung betrug jedoch im Durchschnitt sechs bis sieben Jahre.

Es war auch möglich, eine Sozialwohnung auf Lebenszeit zu mieten. Man konnte sie kostenlos bewohnen, aber sie war nicht Eigentum des Mieters. Eine solche Wohnung konnte nicht verkauft, verschenkt oder vererbt werden.

Die erste Phase der Liberalisierung des „Immobilienmarktes“ in der Sowjetunion geht in das Jahr 1958 zurück. Damals entstanden überall im Lande Wohnbaugenossenschaften, in denen man eine Wohnung kaufen konnte. Der Preis für einen Quadratmeter einer solchen Wohnung war festgelegt und betrug sechs bis acht Tausend Rubel – ein Betrag, der für einen einfachen Sowjetbürger unerschwinglich war. Diese Summe wurde in mehrere Teile aufgeteilt (analog zur modernen Hypothek), aber die erste Rate war für die meisten Bürger immer noch zu hoch, sodass der Anteil solcher Wohnungen in der UdSSR nicht mehr als 10 % betrug. Und wenn jemand eine Genossenschaftswohnung verkaufen wollte, musste er die Zustimmung aller Mitglieder der Genossenschaft einholen und sie zu einem festen Preis verkaufen.

Unter diesen Bedingungen des Verbots des freien Grundstücksverkehrs suchte die Bevölkerung nach Möglichkeiten, dieses Verbot zu umgehen. Zum Beispiel tauschten die Menschen Wohnungen. Die am häufigsten vorkommenden Transaktionen konnten als ungleicher Tausch mit zusätzlicher Zahlung betrachtet werden - solche Transaktionen ließen sich sehr schwer nachvollziehen.

Bewohner der Stadt Dschambul an Ständen mit Anzeigen für Wohnungsverkauf.

„Jeden Sonntag konnte man auf dem Markt eine Menschenmenge mit Papierplakaten sehen, auf denen stand: ‚Ich tausche eine Drei-Zimmer-Wohnung gegen eine 1+1-Wohnung', die sich sofort auflöste, als die Polizei auftauchte“, erinnert sich Tatjana, deren enge Freundin Irina es schaffte, sich als Vermittlerin solcher Immobiliengeschäfte zu etablieren. Menschen wie Irina wurden „Makler“ genannt, und sie waren die einzigen Menschen in der Sowjetunion, die bei einem Immobilientausch helfen konnten.

Wer den Tausch ermöglichte

Makler waren halblegale Spezialisten für den Immobilientausch. Allein sie konnten in der Sowjetunion erfolgreich mehrstufige Wohnungstauschgeschäfte abwickeln: Es kam nicht oft vor, dass eine Person auf Anhieb eine passende Option für sich selbst fand; in der Regel waren mehrere Familien, manchmal mehr als zehn, an der Tauschkette beteiligt, und jeder bekam am Ende, was er brauchte. 

Aber solche komplexen Systeme mussten von jemandem kontrolliert werden, der als eine Art Garant für das Geschäft fungierte: damit das aufgebaute Tauschsystem nicht irgendwann zusammenbrach und diejenigen, die daran teilnahmen, ohne Geld und ohne ihr eigenes Zuhause dastanden. Obwohl es sich nicht um einen gewöhnlichen Kauf- und Verkaufsvorgang, sondern um einen Immobilientausch handelte, war diese schwierige Arbeit praktisch verboten.

„Im Grunde genommen konnte man seine Wohnung durch eine Scheinehe verkaufen“, erinnert sich Gennadi Meschutkin, der seit Anfang der 1980er Jahre als Makler tätig war und heute als Immobilienmakler arbeitet. „Die in der Wohnung lebende Person heiratete, meldete ihren Ehepartner an, ließ sich dann scheiden, und der so genannte Verkäufer meldete sich nach Erhalt des Geldes ab“. Aber der Prozess des Wohnungstauschs durch Heirat war langwierig, und die Umstände konnten sich sowohl für die verkaufende als auch für die kaufende Familie ändern, sodass nicht jeder das Risiko einging, dies zu tun.

Die Anzeigen, dass man eine Stadt gegen eine andere Stadt tauschen wollte.

Ein guter Makler war hoch angesehen und versuchte, seinen Ruf zu wahren, da alle Verbindungen in diesem halblegalen Bereich nur auf Empfehlungen von Kunden und anderen Maklern beruhten. Allerdings verlangten die Makler für ihre Dienste nach sowjetischen Maßstäben viel Geld - zwischen 200 und 800 Rubel pro Transaktion, und nicht jeder hatte so viel Geld. Die Preise waren in erster Linie auf die Gefährlichkeit der Arbeit zurückzuführen: Auf derartige Tätigkeiten standen bis zu drei Jahre Gefängnis und die Beschlagnahmung des gesamten Vermögens.

Wohnungstauschbüros

Anfänglich gaben Leute, die an einem Immobilientausch teilnehmen wollten, in Zeitungen Anzeigen auf, in denen sie schrieben, dass sie Norilsk gegen Moskau oder eine Wohnung in ihrer Stadt gegen eine andere tauschen wollten. Man musste in hohem Maße verdeckt arbeiten, um die Verfolgung zu erschweren. Diese Art von Betrug wurde mit einer Gefängnisstrafe geahndet. Erst mit der Entwicklung des Maklermarktes begann sich die Situation zum Besseren zu wenden, und später verlagerten sich die Tauschgeschäfte von den Zeitungsseiten ins wirkliche Leben.

Es gab Treffpunkte für Makler, an denen sie verfügbare Informationen austauschten, z. B. darüber, wo sich ein potenzieller Kunde befand, in welchen Zeitungen Anzeigen für Immobilienbörsen geschaltet waren und so weiter. Manchmal kamen die Kunden persönlich zu diesen Orten, um die Einzelheiten des Geschäfts zu besprechen, einen potenziellen Teilnehmer in der Tauschkette zu finden, den Maklern zuzuhören und sich mit ihnen über die Besichtigung der künftigen Wohnung zu einigen. Der beliebteste Treffpunkt für Makler (und ihre Kunden) war „Bannyj Pereulok“ in Moskau - dort befand sich das erste Wohnungs-Tauschbüro.

Um dem Makler nicht zu viel zu zahlen, gingen viele Leute zum Tauschbüro wie zur Arbeit und verbrachten den ganzen Tag damit, selbstgebastelte Stände mit Inseraten durchzusehen. „Eine Bekannte von mir, Irina, tauschte die Dreizimmerwohnung ihrer Eltern gegen zwei Einzimmerwohnungen - für sich und ihre Eltern. Doch nach der Geburt ihres Sohnes wurde ihr klar, dass sie und ihr Mann in Betrieben arbeiteten, in denen ihnen keine Wohnung verschafft wurde, und dass keine Aussicht auf Besserung der Lage bestand. Obwohl ihr Mann gut verdiente, konnten sie sich eine Genossenschaftswohnung nicht leisten. Dann beschlossen sie und ihr Mann, ihre „Drei-Zimmer-Wohnung“ in Tauschgeschäften anzubieten. 

Zuerst vermittelte sie Tauschgeschäfte anderer Leute, manchmal waren mehr als 20 Familien in ihrer Kette. Bei diesen Tauschgeschäften verloren viele Leute einige Quadratmeter, und Ira schloss ihre Wohnung mit ein. Zwar tauschte sie eine Einzimmerwohnung gegen eine andere Einzimmerwohnung, sie gewann aber ein paar Quadratmeter hinzu. Dann reichte sie eine fiktive Scheidung von ihrem Mann ein, und die große Einzimmerwohnung wurde in zwei kleine Zimmer aufgeteilt, es folgte eine weitere Erhöhung der Quadratmeterzahl und so weiter. Nach zehn Jahren besaß sie eine eigene große Vier-Zimmer-Wohnung und hatte drei Dutzend Umzüge hinter sich“, erinnert sich Tatjana an die Geschichte ihrer alten Bekannten.

Bei der Suche auf eigene Faust konnte man jedoch an unehrliche Leute geraten:

„Sechs Monate lang habe ich mich wie ein Specht verhalten“, erinnert sich die Schriftstellerin Maria Arbatowa. „In dieser Zeit haben wir uns natürlich eine Menge Wohnungen angesehen, mit vielen Schicksalen. Und es gab so ein Kontingent, vor allem ältere Menschen, die umzogen, weil es für sie eine unterhaltsame Erfahrung war. Man kommt zu einem Menschen, man beginnt mit ihm zu verhandeln. Man einigt sich auf alles, und dann ruft er am nächsten Tag an und sagt: ‚Ich habe es mir anders überlegt“.

Was ist aus den Vermittlern geworden?

Die goldene Ära des Immobilientauschs mit Hilfe von Zwischenhändlern endete mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Jahr 1991 wurde das Gesetz „Über die Privatisierung des Wohnungsfonds“ verabschiedet, das den Übergang zum Privateigentum einleitete. Die Bürgerinnen und Bürger, die noch nie etwas vollständig besessen hatten, erhielten das Recht, über Immobilien zu verfügen. Zum Beispiel das Recht, die staatliche Wohnung, in der sie die ganze Zeit gelebt hatten, zu privatisieren (obwohl einige Leute bis heute noch auf der Warteliste für die Privatisierung stehen). Andere Bürger konnten auf eigene Faust eine neue Wohnung kaufen, da es dafür legale Möglichkeiten gab.

Der Markt der sowjetischen „Makler“ ging schnell unter, da die Menschen allmählich begannen, die Marktbeziehungen selbst zu meistern. Viele von ihnen verschwanden jedoch nicht vom Markt, sondern ließen sich einfach zum Immobilienmakler ausbilden.

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