Propiska: Die kurze Leine für sowjetische Bürger

Juri Abramotschkin/Sputnik; gemeinfrei; Russia Beyond
Die Propiska war eine Art Meldebescheinigung, die die Freizügigkeit der Sowjetbürger massiv einschränkte.

In der UdSSR war die Propiska Voraussetzung dafür, sich im Land niederlassen zu können. Dieser Stempel im Pass war ein Registrierungsinstrument. Auch heutzutage erhalten russische Bürger noch eine Propiska, sie ist jedoch keine Aufenthaltserlaubnis mehr, sondern nur die Bestätigung der Anmeldung am Wohnort. Bei einem Umzug muss die neue Adresse innerhalb von drei Monaten dem Meldeamt mitgeteilt werden. Doch nicht jeder hält sich an diese Vorgabe. 

Während des Lebensmittelmangels in den 1980er Jahren in Moskau wurden Produkte nur an Personen verkauft, die eine Moskauer Propiska vorlegen konnten.

In der Sowjetzeit musste man die Behörden jedoch innerhalb von drei Tagen über jeden Ortswechsel informieren, auch, wenn es nur für einen Kurzurlaub ans Meer ging. 

Nicht jeder bekam eine Propiska 

Die Polizisten kontrollieren die Propiskas bei den Bürgern.

Ab 1960 war es eine Straftat, den Ortswechsel nicht innerhalb der Drei-Tage-Frist zu melden. Es drohten eine Geldstrafe von 100 Rubel (was damals dem Monatsgehalt eines Ingenieurs entsprach) oder sogar ein Jahr Haft. Offizielle Zahlen zeigen jedoch, dass 37 Prozent aller Sowjetbürger 1967 gar keinen Pass hatten. Nach den sowjetischen Gesetzen wurden diese nur an Menschen vergeben, die in Städten und städtischen Siedlungen lebten.

Die Landbevölkerung blieb ohne Pass, um „das Wachstum der städtischen Bevölkerung einzudämmen“. Die Situation verursachte der ländlichen Bevölkerung mehrere Schwierigkeiten. Sie hatten Probleme bei der Arbeitssuche, bei Heirat, Einschreibung an Universitäten und technischen Hochschulen und sogar beim Empfangen und Versenden von Briefen und Paketen per Post. Sie konnten ohne die Propiska nicht einmal innerhalb der UdSSR verreisen. Daher blieben die meisten Landbewohner einfach dort, wo sie waren und arbeiteten auf ihren Kolchosen.

Bauer auf dem Kasanski-Bahnhof in Moskau

1974 beschloss die Sowjetregierung schließlich, Pässe an alle Bürger auszugeben. Dieser Prozess begann 1976 und wurde erst Anfang der 1980er Jahre abgeschlossen. Aber auch mit Pässen waren die Sowjetbürger auf ihren Wohnort beschränkt. Schauen wir uns näher an, wie das System der Propiska funktionierte. 

Abschaffung und Wiedereinführung von Pässen 

Registrierung von Binnenmigranten im Russischen Reich

Im russischen Reich wurden im 18. Jahrhundert Pässe eingeführt. Ab 1724 wurden Dokumente, die als Pässe bezeichnet wurden, an Bauern mit handwerklichen Fähigkeiten ausgegeben. Sie wurden in die Städte geholt, um dort Bauarbeiten auszuführen. Die Pässe der Bauern enthielten eine Beschreibung ihres Aussehens. 1803 wurden sie durch von der Polizei verwaltete „Adresskarten“ ersetzt. Mit diesen Dokumenten kontrollierte das Innenministerium die Bewegungen der Bauern im ganzen Land - und überwachte deren Rückkehr zu den jeweiligen Lehnsherren. 

Ein Pass aus der Zeit des Russischen Reiches

Nachdem die Bolschewiki die Macht übernommen hatten, wurde das zaristische Pass-System verboten. Sie führten stattdessen die „Beschäftigungsbücher“ ein, um die Bevölkerung zu kontrollieren und diejenigen aufzuspüren, die nicht arbeiteten. 

1925 wurde der Begriff Propiska erstmals offiziell in der Sowjetunion eingeführt. In die Ausweise der sowjetischen Bürger wurde der ständige Wohnort eingetragen. 1932 wurde das Passsystem wieder eingeführt, wobei die Propiska ein wichtiges Instrument war, das einem Bürger ermöglichte, an seinem Wohnort Zugang zu staatlichen Leistungen, einschließlich medizinischer Versorgung, zu erhalten. Die sowjetischen Bauern hatten, wie bereits erwähnt, in den 1930er Jahren meist keine Pässe. Bis in die 1980er Jahre mussten die Dorfbewohner eine Sondergenehmigung beantragen, um ihr Dorf verlassen und in der Stadt studieren oder arbeiten zu können. 

Scheidung für eine Wohnung 

Eine Einweihungsparty im Moskauer Stadtteil Orechowo-Borisowo

Da es in der UdSSR formal kein Privateigentum gab, gehörten die Wohnungen, in denen die Bürger lebten, dem Staat, der sie unter der Bevölkerung „verteilte“. Laut der Behörden war das der eigentliche Zweck der Propiska: die Möglichkeit, die Bevölkerungsdichte und Hygienestandards zu kontrollieren. Die Propiska (ein Stempel im Pass) war die Berechtigung, in einer Wohnung zu leben. Ohne Propiska hatte man kein Dach über dem Kopf. 

Alla Dowlatowa, eine russische Schauspielerin, berichtete dem „Kommersant“ diese Geschichte zur Propiska: „Nach der Heirat zog meine Mutter zu meinem Vater, nachdem sie sich in seinem Zimmer in einer Gemeinschaftswohnung angemeldet hatte. Zwei Jahre später konnten die Eltern meiner Mutter in eine eigene Wohnung ziehen. Sie versuchten, ihr Gemeinschaftszimmer meiner Mutter zu überlassen. Das wurde jedoch von den Behörden abgelehnt. Die Tochter war bereits dort abgemeldet, weil sie bei ihrem Ehemann lebte. Das Zimmer übernahm der Staat. Also mussten sich meine Eltern scheiden lassen, damit meine Mutter das Zimmer in der Gemeinschaftswohnung übernehmen konnte. Sechs Monate später haben sie wieder geheiratet.“ 

Offensichtlich war die Propiska in großen Städten schwerer zu bekommen - besonders in Moskau. Viele Menschen haben große Anstrengungen unternommen, um sie zu erhalten. Manchmal gingen die Menschen Zweckehen ein, um eine zu bekommen. Aber selbst in aus Liebe geschlossenen Ehen registrierten Menschen aus Städten wie St. Petersburg oder Moskau ihre von anderswoher stammenden Frauen oder Männer in ihren Wohnungen. Dadurch hatten sie keine Probleme in Moskau zu bleiben, selbst wenn die Ehen geschieden wurden.

1990 gab der Ausschuss für konstitutionelle Überwachung der UdSSR zu, dass „das Propiska-Gesetz, das die Bürger dazu verpflichtet, die Erlaubnis zu erhalten, sich an Orten auf dem Territorium der UdSSR aufzuhalten, das Recht der Bürger auf Freizügigkeit und Freizügigkeit und Wahl ihres Wohnortes einschränkt. Diese [...] Beschränkungen müssen aufgehoben werden.“

Dennoch war die Propiska in den 1990er und 2000er Jahren teils immer noch ein großes Problem. In Moskau und St. Petersburg gab es sogar halb legale Heiratsagenturen, die einen fiktiven, in Moskau geborenen Ehemann oder eine fiktive Ehefrau mit einer Moskauer Propiska vermittelten, um ihre Kunden in der Hauptstadt registrieren zu können. Heutzutage droht bei nicht fristgerechter Ummeldung lediglich eine Geldbuße von 2000 bis 3000 Rubel (etwa 22 bis 33 Euro). Der Registrierungsprozess ist zudem viel einfacher geworden als zu Sowjetzeiten.

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