Im zweiten Teil des Textes berichten wir über die Situation der Juden in der UdSSR und im modernen Russland. Den ersten Teil können Sie hier nachlesen.
Die jüdische Revolution
Die russische Revolution selbst gilt als größtenteils von jungen und ehrgeizigen Juden getragen, die nach sozialem Aufstieg strebten. Unter den Anführern und wichtigen Köpfen der Revolution waren viele Personen jüdischer Abstammung: Leo Trotzki (eigentlicher Nachname Bronstein), Grigori Sinowjew (Apfelbaum), Lew Kamenjew (Rosenfeld) und Jakow Swerdlow.
Die große Zahl jüdischer Revolutionäre nährte die Theorie einer kommunistischen Verschwörung der Juden, der sich später die Nazi-Propagandisten, die den Bolschewismus und den Kommunismus mit den Juden gleichsetzten, bedienten.
Nach der Revolution von 1917 und der Regierungsübernahme durch die Sowjets war es den Juden nicht nur erlaubt, sich niederzulassen, wo immer sie wollten, sondern auch zum ersten Mal, wichtige Regierungspositionen zu besetzen, Bildung zu erhalten und jeden Beruf auszuüben. Gleichzeitig löste dies auch eine gewisse Welle des Antisemitismus aus, unter anderem bei den Gegnern der Revolution. So ist beispielsweise die glühende Judenfeindlichkeit des weißen Generals Anton Denikin, der sogar Pogrome in Südrussland befürwortete, bekannt. Während der Antisemitismus früher eher religiöser Natur war, wurden die „Juden“ nun auch im alltagsweltlichen Leben angefeindet (man glaubte, dass sie auf Kosten anderer besser lebten).
Joseph Stalin verfolgte eine strenge nationale Politik, siedelte die Völker um, auch die Juden. Er plante, im Fernen Osten sein eigenes sowjetisches „gelobtes Land“ zu schaffen, und so entstand die Jüdische Autonome Region, die heute eine Region Russlands ist. Das Projekt scheiterte jedoch: Nur wenige Menschen wollten freiwillig in eine so abgelegene und raue Region ziehen.
Es gilt als gesichert, dass unter Stalin auch eine neue Welle des staatlichen Antisemitismus einsetzte - der „Fall der Ärzte“ (die wegen angeblich vorsätzlicher Vergiftung angeklagt wurden) wird oft als „die letzte jüdische Verschwörung“ bezeichnet.
Sowjetische Juden
In der Sowjetunion wurde das Judentum ebenso erbittert bekämpft wie andere Religionen, Synagogen wurden geschlossen und die Räumlichkeiten in Lagerhäuser oder bestenfalls in Kulturzentren umgewandelt.
Als Nazi-Deutschland angriff, lebten in der Sowjetunion immer noch die meisten Juden der Welt - fast fünf Millionen ständige Einwohner und bis zu einer halben Million Flüchtlinge. Nach dem Krieg blieb aus verschiedenen Gründen weniger als die Hälfte von ihnen. Einige starben, einige zogen in andere Gebiete, andere wurden repatriiert.
Viele sowjetische Juden wurden zu Atheisten und brachen mit der Tradition. Mit Beginn des Tauwetters in den 1960er Jahren erfuhren viele Juden in der Sowjetunion Diskriminierung verschiedener Art. Das Wort „Jude“ in der Spalte „Nationalität“ eines sowjetischen Passes war fast ein Stigma, es war beschämend, es auszusprechen, und viele Juden wurden stillschweigend von der höheren Bildung und vom beruflichen Aufstieg ausgeschlossen. Hinzu kam der alltägliche Antisemitismus. Viele begannen, ihre Herkunft zu verbergen und sogar Dokumente zu fälschen (vor allem deshalb hatten viele in der Zukunft Probleme mit der Repatriierung und dem Fehlen geeigneter Dokumente zum Nachweis ihrer Herkunft).
Dies führte ab den 1970er Jahren und insbesondere während der Perestroika zu einem Massenexodus von Juden nach Israel. Etwa 600.000 Juden wanderten damals aus der Sowjetunion aus oder kehrten zurück. Übrigens besteht die Bevölkerung des heutigen Israel zu mehr als einem Viertel aus Menschen aus der UdSSR und spricht Russisch.
Jüdisches Leben in Russland heute
Laut der gesamtrussischen Volkszählung von 2020 leben heute in Russland mehr als 82 000 Menschen, die sich als Juden bezeichnen (da die Nationalitätsspalte im Reisepass gestrichen wurde, ist es jedoch nicht möglich, diese Zahl zu überprüfen).
Nach Angabendes Verbandes der jüdischen Gemeinden Russlands gibt es in mehr als 100 Städten in Russland jüdische Gemeinden, 45 Städte haben einen eigenen Rabbiner. Außerdem gibt es landesweit mehr als 30 koschere Restaurants und Geschäfte sowie zahlreiche Kinderschulen, Fachverlage, Medien und Buchhandlungen.