7 wenig bekannte Fakten über den Nürnberger Prozess gegen die Nazis

Kira Lisitskaya (Photo: AP; Raymond D'Addario/The National Archives and Records Administration)
Der Internationale Militärgerichtshof, der berühmteste in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, tagte vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 in Deutschland.

Im Saal 600 des Justizpalastes in Nürnberg saßen neben den Angeklagten und der Verteidigung auch Richter und Ankläger aus allen vier alliierten Siegermächten — der UdSSR, Frankreich, Großbritannien und den USA. Während der fast einjährigen Arbeit des Tribunals spielten sich in seinem Umfeld verschiedene Ereignisse ab: sowohl die heute bekannten Fakten als auch die Episoden, die hinter den Kulissen blieben. 

1. Der Sitz des Internationalen Militärgerichtshofs befand sich nicht in Nürnberg, sondern in Berlin

Das ehemalige Kammergericht im Kleistpark, Sitz des Alliierten Kontrollrates, 1953.

Die sowjetische Führung bestand darauf, den Prozess in Berlin abzuhalten, wo die Siegermächte den Alliierten Kontrollrat eingerichtet hatten, das oberste Organ der Sieger im besetzten Deutschland.

Die westlichen Alliierten bestanden jedoch auf Nürnberg, das in der amerikanischen Besatzungszone lag. Dort blieb der Justizpalast erhalten, der durch einen unterirdischen Gang mit dem Gefängnis verbunden war, was in Berlin nicht der Fall war. Der Ort galt auch als symbolisch — hier fanden seit 1927 alle Kongresse der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands statt.

Der Sitz des Internationalen Militärtribunals war jedoch weiterhin Berlin, wo das Tribunal Anfang Oktober 1945 im Gebäude des Kontrollrats mehrere organisatorische Sitzungen abhielt. Der erste Prozesstag fand am 20. November 1945 in Nürnberg im Justizpalast statt.

2. Sieben Angeklagte konnten der Strafe entgehen

Von links nach rechts: Wilhelm Keitel, Hermann Göring, Adolf Hitler und Martin Bormann. Göring und Bormann konnten der Strafe entgehen.

Gegen 24 Hauptkriegsverbrecher wurde eine Anklage erhoben. Zwölf Angeklagte wurden zur Todesstrafe verurteilt, zwei konnten dieser jedoch entgehen.

Hermann Göring, SA-Gruppenführer, General der SS, Reichsluftfahrtminister und Hitlers Nachfolger, schluckte kurz vor seiner Hinrichtung eine Zyankalikapsel und entging so dem Galgen.

Martin Bormann, Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP und persönlicher Sekretär des Führers, wurde in Abwesenheit zum Tod durch den Strang verurteilt, weil er nicht zum Prozess teilnahm — sein Aufenthaltsort war unbekannt. 

Robert Ley, Leiter des Einheitsverbands Deutsche Arbeitsfront, erhängte sich vor dem Beginn des Prozesses in seiner Gefängniszelle am 25. Oktober 1945, wenige Tage nach der Anklageerhebung.

Gustav Krupp von Bohlen, Chef des Friedrich-Krupp-Konzerns, der die NS-Bewegung aktiv finanzierte, wurde als todkrank eingestuft. Das Verfahren gegen den Geschäftsmann wurde auf der vorläufigen Gerichtsanhörung am 15. November 1945 ausgesetzt.

Drei weitere Angeklagte – Vizekanzler Franz von Papen, Leiter der Rundfunkabteilung des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda Hans Fritzsche und Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht – wurden freigesprochen.

3. Einige der Prozessteilnehmer trugen im Gerichtssaal eine Sonnenbrille

Hermann Göring (links) und Rudolf Heß (rechts), 30. September 1946.

Auf den Archivfotos und -videos des Tribunals sind Teilnehmer mit Sonnenbrillen zu sehen. Der Grund dafür war die Beleuchtung im Saal. So beschreibt Boris Polewoj in seinem Buch Nürnberger Tagebuch, ein Sonderkorrespondent der Zeitung Prawda beim Tribunal: „Dieses fahle, gleichmäßige, etwas gleichgültige, bedrückende Licht, in dem alles ringsum einen grünlichen, morbiden Farbton annimmt“. Alle Fenster waren verdunkelt. Der Gefängnisdirektor, Oberst Burton Andrus soll laut Polewoj einmal vor Journalisten „gewitzelt haben: Ich werde dafür sorgen, dass sie alle die Sonne nicht sehen.“

Wegen des künstlichen Lichts begannen viele der Anwesenden, darunter auch den Angeklagten, die Augen zu schmerzen, so dass sie manchmal mit Sonnenbrillen dasaßen.

4. Es gab eine besondere Regel für die geschlossenen Sitzungen während des Prozesses

Die Reporter eilen davon mit der Nachricht von den Urteilen, die am Ende des „größten Prozesses der Geschichte“ im Justizpalast in Nürnberg gefällt wurden.

Die Öffentlichkeit durfte nicht an den geschlossenen Sitzungen teilnehmen, auch keine Journalisten. Um herauszufinden, was im Gerichtssaal vor sich ging, wurde die folgende Regel aufgestellt, wie Boris Polewoj schreibt: „Wenn im Laufe der Verhandlung etwas Interessantes vor sich ging, ertönte in allen Räumen des Justizpalastes ein Signal; wenn es etwas gab, das besondere Aufmerksamkeit verdiente, gab es ein doppeltes Signal, und wenn es eine Sensation gab, gab es ein dreifaches Signal“.

Polewoj zufolge glichen die Signale ungeduldigen Knurrgeräuschen, die von irgendwo unter der Decke kamen und sich viele Male wiederholten.

5. Die USA schrieben, der sowjetische Staatsanwalt habe Göring erschossen 

Der sowjetische Hauptankläger Roman Rudenko.

Am 10. April 1946 veröffentlichte die amerikanische Armeezeitung Stars and Stripes einen Artikel, in dem es hieß, der sowjetische Hauptankläger Roman Rudenko sei während der Sitzung so wütend auf Göring geworden, dass er seine Dienstwaffe zog und den ehemaligen Reichsmarschall erschoss.

Der deutsche Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der Luftwaffe Hermann Göring während des Kreuzverhörs im Gerichtssaal 600 des Justizpalastes, Nürnberg, 1946.

Die Zeitung veröffentlichte jedoch später einen Widerruf: „Die Meldung, dass der sowjetische Hauptankläger Göring in einem Wutanfall während des Prozesses erschossen hat, hat sich nicht bestätigt. Einem Korrespondenten aus Nürnberg zufolge ist Göring gesund und munter und bereit, dem Ankläger Rede und Antwort zu stehen. Die Meldung, er sei auf tragische Weise zu Tode gekommen, ist jedoch darauf zurückzuführen, dass die Redaktion den Satz des Korrespondenten, der berichtete, General Rudenko habe Göring moralisch erschossen, falsch aufgefasst hat.“

6. Eine sowjetische Dolmetscherin wurde die „letzte Frau in Görings Armen”

Dolmetscherin Tatjana Stupnikowa.

An einem Prozesstag eilte die 24-jährige Übersetzerin Tatjana Stupnikowa zu ihrem Arbeitsplatz im Gerichtssaal. Sie lief den Korridor entlang, rutschte aber plötzlich aus und wäre beinahe gestürzt.

„Als ich die Fassung wieder erlangt hatte und zu meinem Retter aufblickte, sah ich das lächelnde Gesicht von Hermann Göring vor mir, der mir ins Ohr flüsterte: Vorsicht, mein Kind!“, erinnerte sich Stupnikowa an diese Begegnung.

Als Tatjana den Saal betrat, kam ein französischer Korrespondent auf sie zu und sagte auf Deutsch, dass sie nun die erlesenste Frau der Welt sei: „Sie sind die letzte Frau in Görings Armen”.

7. Ein Feldmarschall der Wehrmacht trat als Zeuge der sowjetischen Anklage auf

Friedrich Paulus beim Nürnberger Prozess.

Zum Herbst 1946 geriet der Prozess ins Stocken. Auf Seiten der Verteidigung und der Angeklagten selbst kamen Ideen auf, dass der deutsche Angriff auf die UdSSR eine Präventivmaßnahme gewesen sei. Die sowjetische Delegation musste überzeugende Argumente für einen geplanten Angriff des Dritten Reiches auf die UdSSR vorlegen.

Ein solcher „Trumpf” wurde unerwartet Friedrich Paulus, der am 31. Januar 1943 in der Nähe von Stalingrad gefangen genommen wurde. Die sowjetische Führung brachte den Generalfeldmarschall heimlich in den Justizpalast, damit er dort aussagen konnte. Bei seiner Vernehmung in Nürnberg erklärte er, dass „alle Vorbereitungen für den Angriff auf die UdSSR, der am 22. Juni stattfand, bereits im Herbst 1940 getroffen worden waren“.

Lesen Sie mehr über die Rolle von Friedrich Paulus beim Nürnberger Prozess und über das Leben des ehemaligen Generalfeldmarschalls der Wehrmacht in der UdSSR nach dem Krieg in unseren Artikeln.

>>> Nazis vor Gericht: Was waren die Herausforderungen sowjetischer Dolmetscher beim Nürnberger Prozess?

>>> Goebbels: Wie der Chefideologe der NSDAP in seiner Jugend Russland lobte

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