Wie der Briefwechsel zwischen Chruschtschow und Kennedy die Welt vor der Nuklearkatastrophe bewahrte

Geschichte
ALEXANDER JEGOROW
Die Welt stand am Rande der nuklearen Katastrophe, als der Konflikt zwischen der UdSSR und den USA während der Kubakrise seinen Höhepunkt erreichte. Und nur die Menschlichkeit von Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy sowie ihre Kompromissbereitschaft ermöglichten eine friedliche Lösung.

Die persönliche Bekanntschaft von Chruschtschow und Kennedy begann mit dem Gipfeltreffen in Wien — einem der erfolglosesten Treffen in der Geschichte der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen, das am 4. Juni 1961 stattfand. Vor dem Gipfel bezeichneten Chruschtschows Berater die Kennedy-Brüder als willensschwache Jungs in kurzen Hosen, die ein leichtes Ziel für verbale Angriffe seien. Auch Kennedys Helfer waren nicht in der Lage, dem Präsidenten eine positive Verhandlungstaktik anzubieten, da sie alle glühende Gegner der Kommunisten waren.

Die Anführer der beiden verfeindeten Blöcke führten eine lange und ziemlich aggressive abstrakte Debatte über Ideologien und das Schicksal der Welt, ohne zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Als Ergebnis des Gipfeltreffens in Wien wurde kein einziges offizielles Papier unterzeichnet. Das Treffen, das den Kalten Krieg beenden sollte, belastete, ganz im Gegenteil, die Beziehungen zwischen der UdSSR und den USA weiter.

Der geheime Briefwechsel

Trotz des Scheiterns des Gipfeltreffens in Wien wollte keine der beiden Seiten einen neuen Weltkrieg. Schon im September 1961 schickte Chruschtschow an Kennedy einen 26-seitigen Brief, mit dessen Hilfe er die bilateralen Beziehungen wiederbeleben wollte.

„In meinen Gedanken bin ich mehrmals zu unserem Treffen in Wien zurückgekehrt. Ich erinnere mich, dass Sie betonten, Sie wollten keinen Krieg und bevorzugen, mit unserem Land in Frieden zu leben und auf friedlichem Gebiet zu konkurrieren. Obwohl sich die nachfolgenden Ereignisse nicht in die gewünschte Richtung entwickelt haben, hielt ich es für nützlich, mich informell an Sie zu wenden und Ihnen einige meiner Ideen mitzuteilen.“

Chruschtschow schrieb auch, dass er die Korrespondenz nicht in öffentlichen Erklärungen verwenden würde, wenn Kennedy mit ihm nicht übereinstimme.

John F. Kennedy gefiel Chruschtschows Idee eines informellen Briefwechsels. Er stimmte zu, ihn geheim zu halten.

Chruschtschow und Kennedy zogen es vor, unter Umgehung der offiziellen Kommunikationskanäle zu kommunizieren, damit möglichst wenige Personen im Kreml und im Weißen Haus von ihrer Korrespondenz erfuhren. Der sowjetische Generalsekretär hatte seinen eigenen Vertrauten in Washington, der als Verbindungsmann zwischen den beiden Führern fungieren konnte.

„Es gab einen russischen Spion, der oft in unser Haus kam. Sein Name war Georgij Bolschakow. Meine Eltern lernten ihn zum ersten Mal in der sowjetischen Botschaft kennen. Sie mochten ihn sehr, er sah gut aus, lachte und scherzte immer, wetteiferte mit meinem Vater bei Liegestützen, tanzte russische Tänze und brachte sie uns bei. Und wir alle wussten, dass er ein GRU-Agent war. Damals kamen gerade die ersten James-Bond-Filme in den Verleih, und zu wissen, dass ein russischer Spion zu uns nach Hause kam, war sehr aufregend.... Chruschtschow übergab diesen langen Brief an Bolschakow, und dieser hatte ihn bereits an Pierre Salinger (Kennedys Pressesprecher – Anm. d. Autors) weitergegeben, verpackt in der New York Times“ (aus den Memoiren von Robert F. Kennedy, Jr.)

Bolschakow traf in der Folgezeit noch mehrmals mit Robert Kennedy und Salinger zusammen, um mündliche und schriftliche Botschaften von Chruschtschow zu überbringen. Außerdem vereinbarten die Staatsoberhäupter der beiden Supermächte die Einrichtung einer Hotline. Im Haus des US-Präsidenten wurde ein rotes Telefon aufgestellt, über das er direkt mit dem sowjetischen Generalsekretär Kontakt aufnehmen konnte.

Die Welt am Rande einer Katastrophe

Doch der gegenseitige Respekt von Chruschtschow und Kennedy reichte nicht aus, um die Kubakrise zu verhindern. 1961 wurden amerikanische PGM-19 Jupiter-Atomraketen in der Türkei stationiert. Mit ihnen konnten die wichtigsten Industriezentren im europäischen Teil der UdSSR in nur 15 Minuten zerstört werden. Die sowjetische Führung und Chruschtschow persönlich empfanden diese Raketen als eine Beleidigung.

Die sowjetische Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Bereits im August 1962 trafen die ersten sowjetischen Schiffe mit ballistischen Raketen im kommunistischen Kuba ein. Mitte Oktober befanden sich bereits 40 Atomsprengköpfe und 40.000 Soldaten und Offiziere der sowjetischen Armee auf Kuba. Die Situation war bis zum Äußersten angeheizt – nie zuvor war die Welt einer nuklearen Katastrophe so nahe gewesen.

„Ich denke, Sie erkennen an, dass der erste Schritt, der die gegenwärtige Kette von Ereignissen auslöste, die Aktion Ihrer Regierung war, Kuba heimlich mit Angriffswaffen zu versorgen“ (aus Kennedys Botschaft an Chruschtschow vom 23.10.1962)

„Sie sind besorgt über Kuba. Sie sagen, Sie seien besorgt, weil es 90 Seemeilen vor der Küste der Vereinigten Staaten von Amerika liegt. Aber die Türkei liegt direkt neben uns. Glauben Sie, dass Sie das Recht haben, Sicherheit für Ihr Land und den Abzug dieser Waffen, die Sie als offensiv bezeichnen, zu fordern, und Sie erkennen dieses Recht für uns nicht an?“ (aus der Rede Chruschtschows an Kennedy vom 27.10.1962)

Chruschtschow und Kennedy versuchten bis zuletzt, eine Katastrophe zu verhindern, weil sie aus Erfahrung wussten, wie schrecklich ein Weltkrieg sein konnte. Kennedy ist der einzige US-Präsident, der die Purple Heart-Medaille erhalten hat. Er kämpfte persönlich gegen Hitlers Koalition im Pazifik. Chruschtschow hingegen nahm an der Schlacht von Stalingrad teil, der vielleicht schlimmsten militärischen Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts, die mehr als 2,6 Millionen Menschen das Leben kostete.

Und obwohl die Generäle in Washington und Moskau darauf erpicht waren, ihre Armeen gegeneinander antreten zu lassen, blieben die Staatschefs standhaft – es musste eine friedliche Lösung gefunden werden.

„Wir schätzen den Frieden, vielleicht sogar mehr als andere Nationen, weil wir einen schrecklichen Krieg mit Hitler überlebt haben. Aber unser Volk wird vor keiner Prüfung zittern... Wir sind überzeugt, dass die Vernunft siegen wird, dass der Krieg nicht entfesselt werden wird und dass der Frieden und die Sicherheit der Völker gewährleistet sein werden.“ (aus Chruschtschows Ansprache an Kennedy vom 28.10.1962)

Einen Ausweg aus der Krise finden

In der Nacht des 28. Oktober traf der amerikanische Justizminister Robert Kennedy heimlich mit dem sowjetischen Botschafter Anatolij Dobrynin zusammen, um ein Friedensabkommen zu folgenden Bedingungen vorzuschlagen: Chruschtschow ordnet den Abzug der Atomwaffen aus Kuba an, während sich Präsident Kennedy verpflichtet, das Embargo gegen Kuba aufzuheben und die Raketen in der Türkei innerhalb von sechs Monaten abzubauen.

Es handelte sich um eine mündliche Vereinbarung, ohne Unterschriften oder Garantien. Aber beide Seiten hielten sich an die Bedingungen. Bereits am 20. November befanden sich keine sowjetischen Atomsprengköpfe mehr auf Kuba, und Kennedy ordnete die Aufhebung der Blockade der Insel an. Einige Monate später wurden die amerikanischen Jupiter-Raketen aus der Türkei abgezogen.

Chruschtschow und Kennedy erkannten, dass sie miteinander in Kontakt bleiben mussten. Nur so konnten sie gegenseitigen Hass und unüberlegte Entscheidungen vermeiden, die zu einer irreparablen Katastrophe führen würden.

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