Fürst Wladimir selbst, unter dessen Herrschaft die Rus das Christentum annahm, eröffnete im Jahr 988 eine Hofschule für Kinder aus adligen Familien. Sie wurden in den „Künsten' unterrichtet – verschiedenen Disziplinen, zu denen auch Fremdsprachen gehörten, darunter Latein – die Sprache der europäischen Diplomatie. Unter den Schülern befanden sich auch die Nachkommen ausländischer Familien, die am Hof des Fürsten lebten – die Kommunikation erfolgte definitiv in verschiedenen Sprachen. Und Wladimirs Sohn, Jaroslaw der Weise, gründete die erste Übersetzerschule in der Sophienkathedrale in Kiew.
„Buch“-Sprachen – Griechisch, Latein und andere geschriebene Fremdsprachen – wurden in der Regel an kirchlichen Einrichtungen gelehrt. Im 13. Jahrhundert entwickelten sich die politischen und Handelsbeziehungen zwischen Russland und Europa rasant, was beweist, dass Latein tatsächlich von vielen gelernt wurde. Es gab sogar eine weltliche Lateinschule in Smolensk.
Aber die Kaufleute, Söldner, Kutscher und Handwerker lernten natürlich nicht in Kirchen und Klöstern, sondern auf eigene Faust, im Laufe ihres Lebens und im Rahmen ihrer Arbeit. Wie heutzutage wurde ein Tutor – ein Mönch, ein Schreiber, ein gebildeter Krieger-Söldner oder ein erfahrener Kaufmann – regelmäßig besucht und für seinen Unterricht bezahlt.
Wie der Forscher Roman Schanara schreibt, „sind Informationen über die Unterrichtsmethoden sehr rar“. Wenn die Sprache im Ausland gelehrt wurde, lernte man sie nach der direkten Methode, d.h. man lernte Wörter und Ausdrücke direkt von den Muttersprachlern im Prozess des Lebens und der Kommunikation. Wenn sie zu Hause gelehrt wurde, lernte man sie durch Übersetzen und Auswendiglernen von Texten.
Damals waren die Anforderungen an die Fremdsprachenkenntnisse jedoch geringer – so achtete man beim Übersetzen in der Regel nicht auf den Stil und den Aufbau der Originalsätze, sondern gab nur den Sinn des Gesagten wieder. Eine große Anzahl von Menschen kannte nur mündlich in einer Fremdsprache kommunizieren – sie vermochten sich frei erklären, ohne lesen und schreiben zu können.
Welche Sprachen wurden in Russland erlernt und zu welchem Zweck?
Die päpstlichen Gesandten bei Iwan dem Schrecklichen von Michail Nesterow, 1884
GemeinfreiDie wichtigste Sprache der internationalen offiziellen Diplomatie bis zum 18. Jahrhundert. Verträge, Chartas, Handelsabkommen zwischen russischen Ländern und europäischen Fürstentümern und Staaten wurden in Latein verfasst. Es wurde auch von Diplomaten und ihren Mitarbeitern im offiziellen Rahmen verwendet.
Auch die katholischen Gottesdienste wurden in Latein abgehalten. Diese Sprache war allen russisch-orthodoxen Kirchenmännern bekannt, die mit ihren europäischen Kollegen kommunizierten.
Auch an den Universitäten in Böhmen und den deutschen Ländern war Latein bis in die 1780er Jahre die Hauptunterrichtssprache. Fast alle russischen jungen Männer, die in Europa Wissenschaft studierten, mussten Latein sprechen und schreiben. Latein war bis zum 18. Jahrhundert die internationale Sprache der Wissenschaft.
Die Kirche des Heiligen Mandylion im Saikonospasskij-Kloster in Moskau. Links von der Kirche sind die ehemaligen Räume der Slawisch-Griechisch-Lateinischen Akademie zu sehen. Dies ist einer der Orte, an denen in Moskau Griechisch gelehrt wurde.
Ludvig14 (CC BY-SA 3.0)Die Bevölkerung der russischen Länder stand seit dem Altertum in Kontakt mit Byzanz – und musste sich daher auf Griechisch verständigen. Bevor sie die slawische Sprache beherrschten, hielten die ersten orthodoxen Priester, die in die Rus kamen, ihre Gottesdienste auf Griechisch ab. Im 9. Jahrhundert wurde die Bibel jedoch ins Kirchenslawische übersetzt, und die Gottesdienste in den russischen Gebieten wurden bald in dieser Sprache abgehalten. Griechisch wurde jedoch weiterhin verwendet, um mit den „Griechen“, wie die Einwohner von Byzanz in Russland genannt wurden, zu kommunizieren.
Kaufleute, Mönche, Söldner, Diplomaten und Schreiber – das ist der Kreis der Menschen, die von der Rus nach Byzanz und zurück reisten. Sie konnten kein klassisches schriftliches und mündliches Griechisch, sondern verständigten sich mündlich auf umgangssprachlichem Niveau – dimotica. Im 10. und 11. Jahrhundert konnte die gebildete Oberschicht der der Rus entweder Griechisch oder hatte Übersetzer, da die Kommunikation mit Byzanz sehr intensiv war.
In der Folgezeit war das geschriebene Griechisch die erste Fremdsprache, die alle, die in den Klerus eintraten, lernten. Mit dem Aufkommen der klassischen Bildung in Russland (Ende des 18. Jahrhunderts) wurde Griechisch zur Pflicht für Philologen, Linguisten und Historiker. Im Allgemeinen war Griechisch in der russischen Bevölkerung nie sehr verbreitet.
Das deutsche Viertel in Moskau, von Alexander Benois
Alexander BenoisNowgoroder Posadniks (Stadtoberhäupter) und Kaufleute sprachen Deutsch, Schwedisch und Polnisch – sie waren in ständigem Kontakt mit Sprechern dieser Sprachen. Es ist bekannt, dass schwedische und deutsche Kaufleute ihre Söhne nach Nowgorod schickten, um dort zu leben und die Weisheit des Handels zu erlernen – nachdem sie gelernt hatten, setzten sie den Handel in vollem Umfang fort. Es wird vermutet, dass junge russische Kaufleute und Beamte zur Ausbildung im Ausland lebten.
Die deutsche Sprache wurde von Handwerkern gesprochen, die aus den Fürstentümern Mitteldeutschlands stammten – Waffenschmiede, Zivil- und Militäringenieure sowie einfache Militärs – sie waren im 15. und 16. Jahrhundert in großem Umfang im Dienst der russischen Fürsten und Zaren beschäftigt. Die alt- und neudeutsche Sloboda in Moskau, die der junge Zar Peter oft besuchte, war eine Art eigenständige deutsche Stadt am Fluss Jausa, in der man auf den Straßen Deutsch hörte (allerdings auch Englisch und Niederländisch, wenn auch in geringerem Ausmaß).
Im 18. Jahrhundert war Deutsch zudem in den wissenschaftlichen und militärischen Kreisen noch weit verbreitet, da diese ständig durch Deutsche aufgefüllt wurden, die nach Russland kamen, um dort zu dienen oder zu arbeiten – aber schon in der zweiten oder dritten Generation begannen sie Russisch zu sprechen. Erst im 19. Jahrhundert begannen die Russen mit neuem Elan Deutsch zu lernen – es verbreitete sich unter der Intelligenzia, die Kant, Fichte, Marx und Hegel im Original lesen wollte. Viele russische Revolutionäre, die Verbindungen zu den Sozialisten in Deutschland und der Schweiz hatten, sprachen Deutsch.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!