Wie die UdSSR unter Stalin die Lebensmittelpreise senkte

Geschichte
MARIA BUNINA
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der UdSSR die Preise für Konsumgüter und Lebensmittel sechs Mal gesenkt. Wie haben die Behörden das geschafft?

Während die gesamte kapitalistische Welt daran gewöhnt war, mit steigenden Preisen zu leben und diese als Zeichen des Wirtschaftswachstums betrachtete, behauptete die UdSSR mit ihrer Planwirtschaft, Wohlstandswachstum nicht nur mit nicht steigenden, sondern sogar mit fallenden Preisen zu erreichen. Was war das: ein Propagandatrick oder ein echtes Wirtschaftswunder?

Das Leben auf Karten

Bereits 1929 sagte der Führer der UdSSR Joseph Stalin: „Wir haben kein freies Spiel der Preise auf dem Markt, wie es in kapitalistischen Ländern üblich ist. Wir bestimmen vor allem den Preis für Brot. Wir bestimmen die Preise für Industriegüter. Wir versuchen, eine Politik der Senkung der Produktionskosten und der Senkung der Preise von Industriegütern zu verfolgen und bemühen uns, die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse stabil zu halten.“

In den frühen 1930er Jahren befürwortete Stalin die Abschaffung der damals gültigen Lebensmittelkarten. Ihre Preise waren hoch, und sie wurden vor allem von Bauern benutzt, die ihre Produkte auf Märkten verkauften. Die Abschaffung der Karten im Jahr 1935 führte zu einer vorübergehenden Senkung der Preise, aber während der Kriegsjahre kehrte man zum Kartensystem für die Verteilung von Lebensmitteln und Industriegütern zurück. Es blieb bis 1947 in Kraft.

Im Jahr 1947 war mehr als ein Drittel der Bevölkerung der UdSSR (62,8 Millionen Menschen) von der staatlichen Brotversorgung abhängig. Das Kartensystem war vorherrschend, aber es gab auch einen freien Markt. Das Land hatte also ein staatlich festgelegtes Preisniveau, das durch die Karten bestimmt wurde, sowie Marktpreise. Irgendwann beschlossen die Behörden, dass es an der Zeit war, die Karten abzuschaffen und einheitliche Preise festzulegen.

Währungsreform von 1947 gegen Spekulanten

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich ein Geldüberschuss sowohl bei den Dorfbewohnern, die ihre Produkte auf dem Markt verkauften, als auch bei den Spekulanten angesammelt. Nach Angaben aus den Jahren 1943-1944 betrug der Anteil des Einkommens aus dem Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen Bevölkerungsgruppen am Gesamteinkommen der Bevölkerung 56 Prozent. Der Staat erkannte, dass ein bestimmter Teil der Bevölkerung eine beträchtliche Menge an Geld angehäuft hatte, und dieser wohlhabende Teil der Bevölkerung war nicht die „arbeitende Mehrheit“, um deren Wohlergehen sich der Staat kümmerte. Daher dachten die Behörden über einen Weg nach, die Lebenshaltungskosten für andere auf Kosten der Ersparnisse einiger zu senken.

Im Dezember 1947 begann gleichzeitig mit der Abschaffung der Karten, dem Übergang zu einheitlichen Preisen und der Ausgabe von neuem Geld eine Währungsreform. Der Staat gab einen neuen Rubel aus, der zum Kurs von einem neuen Rubel für zehn alte Rubel umgetauscht wurde.

Einlagen in Sparkassen bis zu 3.000 Rubel, über die mehr als 80 % der Bürger verfügten, wurden im gleichen Wert umgetauscht, Beträge von 3.000 Rubel bis zu 10.000 Rubel im Verhältnis von drei alten Rubeln zu zwei neuen Rubeln, Beträge über 10.000 Rubel im Verhältnis von zwei alten Rubeln zu einem neuen Rubeln. Die wohlhabenden Bürger litten also am meisten.

„Um die unvermeidlichen negativen Emotionen der Sowjetbürger im Zusammenhang mit dem Verlust eines Teils ihrer Ersparnisse zu verringern, ging dem Geldumtausch die Abschaffung der Lebensmittelkarten und eine massive Senkung der Einzelhandelspreise voraus“, so das Fazit des Autorenteams der Monographie Die Währungsreform 1947 und ihre Rolle bei der Wiederherstellung der Volkswirtschaft der UdSSR (herausgegeben von R. M. Nurejew und M. A. Eksindarow, Moskau, KNORUS-Verlag, 2019).

Nach der Abschaffung der Karten wurden einheitliche Preise für Waren festgelegt – als Durchschnittspreis zwischen staatlichen und kommerziellen Preisen. Die Preise für Brot, Mehl, Graupen und Nudeln wurden um 10-12 Prozent gesenkt (im Vergleich zu den staatlichen Preisen), weil sie für die Bevölkerung von primärer Bedeutung waren. Die Preise für viele andere Waren waren höher als die früheren staatlichen Preise.

Infolgedessen blieben die Preise in den Geschäften für Lebensmittel und Industriegüter, mit Ausnahme einer begrenzten Gruppe von Lebensmitteln, hoch und höher als die Vorkriegspreise.

Industrielle Güter verstaubten in den Lagerhäusern. Um die Situation zu ändern, senkte die Regierung im April 1948 die Preise für Autos, Motorräder, Nähmaschinen, Uhren, Musikgeräte und andere Waren um 10-20 Prozent.

Selbst nach dieser Senkung blieben die Preise für die einfachen Leute hoch, so dass sie im März 1949 erneut gesenkt wurden. Von da an wurden die Preise in jedem Frühjahr gesenkt – die letzte Senkung erfolgte im Frühjahr 1953 nach Stalins Tod. In den verschiedenen Jahren betrafen die Preissenkungen unterschiedliche Gruppen von Waren. Im April 1953 gab es zum Beispiel eine für den Normalbürger sehr spürbare Preissenkung – die Preise für Obst und Gemüse fielen auf die Hälfte, für Fleisch um 15 %, für Industriegüter um 5 bis 30 %.

War die Preissenkung ein „Wirtschaftswunder“?

Die sowjetischen Zeitungen widmeten der Preissenkung ganze Seiten und berichteten den Bürgern von der wirtschaftlichen Prosperität und der Verfügbarkeit verschiedener Waren. Am 2. April 1953 war der sechsten Preissenkung ein Leitartikel in der Prawda gewidmet: „Die jetzige Preissenkung ist, wie alle vorangegangenen, das Ergebnis der Erfolge, die unser Volk unter der Führung der Partei bei der Entwicklung der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion erzielt hat, das Ergebnis einer systematischen Steigerung der Arbeitsproduktivität und einer Senkung der Produktionskosten. Das sowjetische Volk hat ein unmittelbares Interesse an der Steigerung seiner Arbeitsproduktivität, weil es weiß, dass dies die Wirtschaftskraft der UdSSR stärkt und den Lebensstandard der Arbeiter erhöht.“

In der Tat kann als einer der Gründe für eine solche mehrjährige Deflation die Wiederherstellung der Industrie in der Nachkriegszeit, die Steigerung der Produktion und die Senkung der Erzeugungskosten, die von den sowjetischen Arbeitern erreicht wurde, bezeichnet werden. Zu dieser Zeit gab es in dem Land ein System von Prämien für Mitarbeiter und Teams für hohe Leistungen und niedrigere Produktionskosten.

Die Arbeitsproduktivität in der Industrie stieg von 1940 bis 1953 um das 1,7-fache, im Bauwesen um das 1,5-fache. Die Kosten für Waren sanken und so schien logisch, die Preise zu senken.

Nach Ansicht von Jakow Mirkin, Doktor der Wirtschaftswissenschaften, waren die Hauptgründe für die Senkung jedoch die überhöhten Vorkriegspreise, wie auch der Abzug von Geld aus der Bevölkerung durch den Umtausch der alten Rubel in neue, vor allem Dank der ungünstigen Bedingungen für den Umtausch von Rubeln bei der Auflösung von Einlagen.

„Die Bevölkerung ging aus der Währungsreform mit einheitlichen staatlichen Preisen hervor, die um das 2,56-fache über den Vorkriegspreisen lagen, wobei mehr als 90 % der Ersparnisse in Bargeld, 16 % der Einlagen und mehr als 60 % der Ersparnisse in Anleihen aufgelöst wurden“, sagt Mirkin.

Außerdem, so stellt er fest, übertraf das Wachstum der Realeinkommen zu dieser Zeit entgegen den Gesetzen der Ökonomie das Wachstum der Industrie um das Dreifache. Aber nach der Währungsreform zu ihren Gunsten hatte die Regierung die Möglichkeit, das Einkommenswachstum „von oben durch Lohnerhöhungen oder durch direkte Senkungen der Einzelhandelspreise zu erhöhen“. Nikita Chruschtschow, der 1953 nach Stalin an die Macht kam, leitete neue Wirtschaftsreformen ein und bereitete Stalins Praxis der Preissenkungen ein Ende.

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