Vorprogrammierter Kollaps: Wie funktionierte die sowjetische Wirtschaft und warum ging sie unter?

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Früher war die sowjetische Wirtschaft die zweitgrößte der Welt. Doch viele Menschen haben vor allem lange Schlangen vor den Geschäften und leere Regale in Erinnerung.

Die Sowjetunion bestand 69 Jahre lang. Während dieser Zeit gab es dort keine Marktwirtschaft, sondern die Planwirtschaft. Nägel, Unterwäsche, Toilettenpapier bis hin zu Wohngebäuden und Autos - alles wurde nach einem Plan hergestellt. Wie konnte das im größten Land der Welt funktionieren? 

Die Wahrheit ist: Es hat nicht funktioniert. Die Pläne, oft zehntausende Seiten lang für alle Branchen und Gebiete, waren vielfach nicht einmal aufeinander abgestimmt. Und doch überlebte die Sowjetunion mit diesem Wirtschaftssystem länger als manche Experten gedacht hätten.  

Das Schlüsselwort hieß Plan 

Wenn das Konzept der sowjetischen Wirtschaft in einem einzigen Wort erklärt werden müsste, wäre dies Gosplan, das Staatliche Planungskomitee. Gosplan entschied, welche Fabriken und Unternehmen im Land in welcher Menge produzieren mussten. Was bedeutete das in der Praxis? 

Beispielsweise erhielt der Minister für Verkehrstechnik jeden Morgen einen Bericht darüber, wie viele Eisenbahnräder produziert werden mussten, und ergriff die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Plan bis zum Monatsende eingehalten wurde. Fabrik- und Bereichsleiter am unteren Ende der Hierarchie taten es ihm gleich.

Das Problem bei Gosplan war jedoch, dass die Berechnungen nicht auf tatsächlichen Bedürfnissen, sondern auf der Vorstellung der sowjetischen Bürokraten beruhten, erklärt (rus) Nikolai Kulbaka, Ökonom an der Russischen Akademie der Volkswirtschaft. Es wurde auch nicht berücksichtigt, dass sich die Bedürfnisse der Menschen von Zeit zu Zeit ändern. 

Hauptmotor des Wirtschaftswachstums war die Industrie. Die UdSSR war ein System, das in ständiger Erwartung eines neuen Krieges lebte. Schwerindustrie, Rüstungsindustrie und Eisenmetallurgie - alles, was dazu beitrug, einen Krieg zu gewinnen - hatten Priorität und machten einen bedeutenden Teil des BIP des Landes aus. Für die Herstellung von Konsumgütern blieben dabei nicht viele Kapazitäten frei. 

„30 000 Menschen vor den Läden” 

Versuchen Sie doch einmal selbst abzuschätzen, wie viele Socken, Stiefel, Seifenstücke oder Siebe die Sowjetbürger benötigten. Es ist unwahrscheinlich, dass Sie Erfolg haben. So ging es auch den Verantwortlichen in der Sowjetunion. Der Ökonom Ludwig von Mises hat 1920 den Nagel auf den Kopf getroffen: „Wo Planwirtschaft herrscht, herrscht Engpass“. Das marktwirtschaftliche Modell von Angebot und Nachfrage gab es in der UdSSR einfach nicht. 

Waren wurden zu festen Preisen verkauft. Einige Erzeugnisse wurden sogar mit Verlust verkauft, da dies der Preis war, den Gosplan einst für sie festgelegt hatte. Zudem waren sie nicht überall verfügbar. Es gab einen Plan, welche Städte bestimmte Waren zuerst erhielten, welche zuletzt.

In Moskau gab es zwar auch nicht alles, aber doch zumindest einiges. Daher strömten die Sowjetbürger aus allen Teilen des Landes in die Hauptstadt, um dort ihre Einkäufe zu erledigen. Der Staatssicherheitsdienst NKWD berichtete (rus) im Jahr 1939 von tausenden Menschen vor den Kaufhäusern der Hauptstadt: „In den frühen Morgenstunden des 14. April versammelten sich etwa 30 000 Kunden schon vor deren Öffnung vor den Läden. In der Nacht vom  16. auf den 17. April waren es 43 800.”   

Lange Wartezeiten und Subventionen

Die Leute kauften, was verfügbar war, ohne zu überlegen und zu jedem Preis. An Geld mangelte es den Sowjetbürgern nicht. Sie hatten mehr, als sie in der UdSSR jemals ausgeben konnten, da es an frei verfügbaren Waren fehlte.

Nur 14 Prozent aller Waren wurden über Läden vertrieben, der Rest nach Plan. Wer sofort ein Auto haben wollte, dem blieb nur der Schwarzmarkt. Um legal ein Auto zu erwerben, musste man sich auf eine Liste setzen lassen und sieben bis acht Jahre warten. Auf diese Liste kam man nur als Beschäftigter eines Unternehmens. 

Eine Firmenpleite war unmöglich. Schon 1932 wurde das Insolvenzgesetz ausgehebelt. Stattdessen verteilten die Ministerien Gelder von profitablen Unternehmen an unrentable um, also an jene, die ihre Produkte nicht kostendeckend verkauften oder an solche, deren Produkte in den Regalen der Lagerhäuser verstaubten. Diese Praxis untergrub jede Initiative. Doch eine andere Möglichkeit gab es nicht. Niemand wollte sich der Industriesabotage nach Artikel 58-7 des Strafgesetzbuches schuldig machen. Es drohten hohe Strafen, etwa die Inhaftierung, Enteignung, Ausweisung oder gar die Todesstrafe. 

Als alles auseinanderbrach  

War sich die politische Führung des Landes all dieser Mängel bewusst? Nach der Tatsache zu urteilen, dass die UdSSR in den 1930er Jahren anfing, alles, was sich zu Geld machen ließ, darunter Getreide, Pelze, Gemälde, in den Westen (rus) zu verkaufen, oft unter Wert, ja. Das Land brauchte Auslandskredite und Devisen.

Aber die Kommunisten fielen ihrer eigenen Ideologie zum Opfer: Konkurrenz führt laut Marx zu Krisen. Aufgrund begrenzter Ressourcen war kein Wettbewerb möglich. 1987 waren nur 24 Prozent der Produktion im Land Konsumgüter: Alles andere wurde von einer beispiellosen Militarisierung aufgefressen.

Die Erkenntnis, dass das System seine Grenzen erreicht hatte, kam Mitte der 1960er Jahre. Die „Prawda” veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Öffne den Tresor mit Diamanten, der vorschlug, dass die wesentlichen Bewertungskriterien für Unternehmen Profit und Rentabilität sein sollten. Der Vorsitzende des Ministerrates der UdSSR, Alexej Kossygin, initiierte eine Reform, die sich als erfolgreich erwies. Das Nationaleinkommen stieg (rus) um 42 Prozent! Am Ende konnten sich jedoch die Gegner der Marktreform durchsetzen. 

Auch der Prager Frühling von 1968, der die Mitglieder des Politbüros erschreckt hatte, spielte dabei eine Rolle. Also kehrte man zum alten System zurück. „Meine Freunde und ich glaubten an eine bevorstehende Krise und hielten Reformen für notwendig. Doch nichts geschah”, erinnerte sich (rus) der ehemalige Wirtschaftsminister Jewgenij Jassin. 

„1973 wurde die OPEC gegründet, und diese beschloss, die Ölpreise innerhalb eines Jahres zu vervierfachen. Die Sowjetunion begann, Einnahmen aus Öl zu erzielen, und das sowjetische System blieb dank der 1967/1968 in Westsibirien entdeckten Ölfelder bestehen”,  erzählt er.  

Was später passierte, der völlige Zusammenbruch des Systems, nennen Ökonomen „einen perfekten Sturm, eine einzigartige Verkettung von Umständen wie „ein schwaches wirtschaftliches Fundament, negative wirtschaftliche Bedingungen im In- und Ausland und Führer, die bereit waren, das System zu reformieren”, zählt Paul Gregory, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Houston, USA, auf.  „Hätte nur einer der Faktoren gefehlt, wäre die UdSSR erst später oder auch gar nicht untergegangen.” 

>>> Drei Gründe für den Untergang der Sowjetunion

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