„Beim Tee“, Konstantin Makovskij.
Regionales Kunstmuseum Uljanowsk„Die arme Lisa“, Orest Kiprenskij, 1827.
Die Staatliche Tretjakow-GalerieIn der vorpetrinischen Zeit war die körperliche Fülle der Frau ein Synonym für ihre Gesundheit. Die Ehefrauen der Bojaren und Strelizen waren, wie wir heute sagen würden, Verfechterinnen der Körperlichkeit, was von Ausländern ganz unverblümt festgestellt wurde: „Sie betrachten die Beleibtheit als Schönheit einer Frau. [...] Kleine Füße und eine schlanke Figur werden als hässlich angesehen. [...] Dünne Frauen gelten als ungesund“, schrieb der Hofarzt Samuel Collins mit Erstaunen. Gleichzeitig stellen alle Ausländer fest, dass russische Frauen körperlich sehr schön sind: „Frauen von mittlerer Größe, im Allgemeinen schön gebaut, mit feinem Gesicht und Körper“, schrieb in den 1630er Jahren der Reisende Adam Olearius. „Die Frauen in Moskowien haben eine schlanke Statur und ein schönes Gesicht“, so der Diplomat Jacob Reutenfels.
"Russisches Mädchen", K. Wenig, 1889.
Das Russische MuseumDiese Einstellung zur weiblichen Schönheit war in Russland in allen Schichten verbreitet. Das Leben einer Bäuerin auf dem Lande war von harter körperlicher Arbeit geprägt, die große Kraft erforderte. Als Schönheitsideal galt die „Stämmigkeit“, d.h. die Fähigkeit zur Fortpflanzung. Und auch wenn sich dieses Schönheitsideal im Adel im 18. und 19. Jahrhundert dem „europäischen“ Ideal näherte, blieb es im Volk lange Zeit aktuell. „Der Standard für die Schönheit eines Mädchens ist ein geschmeidiger Gang, ein bescheidener Blick, eine hohe Statur, dichtes Haar, Fülle, Rundheit und Röte“, schrieb Anfang des 20. Jahrhunderts Fürst Tenischew über die Bäuerinnen der Provinz Wladimir.
Die russischen Mädchen selbst wünschten sich, stämmig zu sein. So priesen sich viele von ihnen mit Selbstbeschreibungen an, wie Ich bin größer als alle Gräser, reifer als azurblaue Blumen, weißer und runder als alle oder Stramme Schultern, volle Brüste, rundes Gesicht und rosa Wangen.
„Eine Hütte in der Provinz Wologda“, Nikolai Terpsichorow, 1925.
Public DomainDer tschechische Jesuit Jiri David, der in den 1680er Jahren in Moskau lebte, schrieb, dass russische Frauen „ruhig in hohen Holzschuhen gehen, weswegen sie nicht schnell laufen oder gehen können“. Sanftheit in den Manieren und im Gang wurde als eine der Qualitäten einer adligen Frau hoch geschätzt. Adelige Mädchen wurden von Kindheit an gelehrt, auf diese Weise zu gehen. Gleichzeitig wird in den Quellen nicht erwähnt, dass die Russen Müßiggang bei Frauen schätzten. Im Gegenteil, Quellen zur Geschichte der Kaufleute zeigen zum Beispiel, dass Frauen oft selbst das Geld und den Betrieb verwalteten, auch in vorpetrinischer Zeit. In den Dorfgemeinschaften waren die Bolschuchi, ältere weibliche Familienoberhäupter, vollwertige Teilnehmerinnen an der Dorfversammlung.
Wie Natalija Puschkarjówa, die sich mit der Geschichte der russischen Frauen beschäftigt, schreibt, „orientierte sich das Ideal einer Ehefrau an einer Frau, die nicht beruflich tätig war, die zu Hause hart arbeitete, die Kinder und das Gesinde beköstigte, das Wohlleben regelte und dem Haus viel Nutzen brachte“.
Bescheidenheit und Religiosität („Gelindigkeit“) wurden als unverzichtbare Eigenschaften einer echten Frau geschätzt. Wie Puschkarjówa schreibt, „war mit einer guten Ehefrau eine Frau gemeint, die unterwürfig, demütig, ruhig war“. Sowohl Adels- als auch Kaufmannsfrauen in der Zeit des Russischen Reiches versuchten, diesem Ideal treu zu bleiben: Junge Adelsfrauen wurden zu Bescheidenheit, Anmut und ungezwungenem Auftreten erzogen, während Töchter und Ehefrauen von Kaufleuten betont religiös waren.
„Selbstporträt“, Sinaida Serebrjakowa, 1909.
Die Staatliche Tretjakow-GalerieAlle russischen Frauen, ohne Unterschied des Reichtums, pflegten ihr Gesicht und ihren Körper – nur die Mittel waren unterschiedlich. Jede Familie, selbst die ärmste, hatte eine Banja (Badehaus). Mehrere Personen oder die ganze Familie gingen ein- bis zweimal pro Woche in die Banja, außerdem konnte man sich in der warmen Jahreszeit einfach darin waschen. In den kalten Monaten konnte man sich, ohne das Badehaus zu heizen, im abkühlenden Ofen waschen, zumal die im Wasser enthaltene Asche eine Lauge ergab, die sich hervorragend zum Waschen von Kleidung und Körper eignete.
Wirksame Volksheilmittel wurden verwendet, um Gesicht und Körper zu straffen und zu bleichen: Milchmolke, Gurkenlake, Kräutersud. Eines der besten Volksheilmittel für natürliche Röte war laut Zarin Katharina II. das Einreiben des Gesichts mit Eis. Wie ihr Kabinettssekretär Adrian Gribowskij schrieb, ordnete sie an, ihr Gesicht jeden Tag beim Aufsetzen der Haube mit Eis einzureiben. Die Irin Martha Wilmot, die zu Katharinas Zeiten Russland besuchte, schrieb: „Jeden Morgen bringe ich mir einen Teller Eis mit, der so dick wie ein Glas ist, und ich reibe mir, wie eine echte Russin, die Wangen ein, woraus, wie mir versichert wird, ein guter Teint entsteht.“
„Mädchen mit Zöpfen. Porträt von A. A. Dobrinskaja“, Wassilij Surikow, 1910.
Krasnojarsker Surikow Kunstmuseum, Krasnojarsk.Ein Holz- oder Knochenkamm für ein Mädchen war genauso wertvoll wie ein Bartkamm für einen Mann. Die Kämme waren mit Sonnensymbolen verziert, und man versuchte, das Haar so lang wie möglich wachsen zu lassen, es jeden Tag ausgiebig zu kämmen und zu Zöpfen zu flechten. Es war eines der wichtigsten weiblichen Symbole – Mädchen flochten es zu einem Zopf, verheiratete Frauen zu zwei Zöpfen. Wenn der Ehepartner unerwartet starb, wurden diese Zöpfe als Zeichen der Trauer abgeschnitten. Der Ritus des Flechtens zweier Zöpfe für eine Braut durch deren Freundinnen war einer der alten Initiationsriten für Frauen.
Die Haare wurden gepflegt, mit Sauermilch oder gekochtem Kwas gewaschen und mit einem Sud aus Brennnessel oder Kamille ausgespült. Es war wichtig, dass das Haar der adligen Frauen unter dem Kopfschmuck nicht zu sehen war. Nur der Ehemann hatte das Recht, sich an der Schönheit der Haare seiner Frau zu erfreuen und sie sogar zu kämmen.
Moskauer Mädchen aus dem XVII. Jahrhundert, Andrej Rjabuschkin, 1903.
Das Russische MuseumDas alte Russland kannte kaum Puder, Lippenstift, Gesichtswasser und andere Kosmetika. Sie wurden bei den russischen Frauen ab dem 15. bis 16. Jahrhundert populär, erst nachdem die russische Mode von der Mode der Fürstinnen der Horde und der Schönheiten des Nahen Ostens beeinflusst worden war.
„Es ist die Pflicht des Ehemannes, seiner Frau Kosmetik zu geben, denn die Russen haben den Brauch, sich zu schminken; es ist bei ihnen so üblich, dass es nicht im Geringsten als schändlich angesehen wird“, schrieb der Engländer Anthony Jenkinson im 16. Jahrhundert. Und Jacob Reutenfels bemerkte in den 1670er Jahren: „Das von ihnen verwendete Rouge ist so grob, dass man nicht nah herankommen muss, um es zu bemerken. Sie verschmieren ihre Gesichter so, dass man die aufgetragenen Farben fast auf Schussentfernung sehen kann; am besten vergleicht man sie mit den Frauen von Müllern, denn sie sehen aus, als hätte man Mehlsäcke in ihr Gesicht ausgeklopft.“
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