Fremd in der Fremde: Syrische Flüchtlinge in Russland

Ramil Sitdikov/RIA Novosti
Unter den Flüchtlingen, die aus Syrien nach Russland kommen, sind auch viele, die russische Wurzeln haben. Dennoch ist der Anfang in der neuen Heimat nicht immer leicht. Katja, Fadi und Mariam erzählen, wie sie wieder bei null anfangen mussten.

Die 31-jährige Katja Toama unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von vielen anderen jungen Moskowiterinnen. Sie ist Studentin, arbeitet nebenbei, treibt Sport und geht abends aus. Sie gibt außerdem Unterricht in Englisch und Arabisch. Arabisch ist Katjas Muttersprache – die junge Frau lebt erst seit drei Jahren in der russischen Hauptstadt.

Katja stammt aus einer russisch-syrischen Familie und ist in Damaskus aufgewachsen. Der Krieg holte auch sie ein und sie musste sich entscheiden: Gehen oder bleiben. Katja ist gegangen, auch auf Druck der Familie. Wie viele andere Emigranten aus russisch-syrischen Familien musste sie in Russland bei null anfangen: die Sprache und einen neuen Beruf erlernen und sich an die andere Kultur gewöhnen.

„Ich beklage mich nicht“

Zu Beginn des Bürgerkrieges in Syrien war Katja noch zuversichtlich. Sie dachte, das Blatt würde sich bald wieder wenden und alles noch gut ausgehen. Der Krieg kam schleichend in die syrische Hauptstadt: Zuerst gab es keinen Strom mehr, dann wurde Benzin knapp. Immer öfter erschütterten Explosionen die Stadt, die Feuergefechte rückten Tag für Tag näher, durch die Straßen zogen immer mehr Menschen, die auf der Flucht waren.

Katja Toama. Foto: PressebildKatja Toama. Foto: Pressebild

Ihr Vater drängte sie, das Land zu verlassen, doch Katja beeindruckte das alles zunächst nicht: Sie ging weiter zur Universität, zur Arbeit, mit ihrem Hund spazieren und traf sich mit Freunden im Café. Eines Tages schlug direkt im Hof ihres Hauses eine Mörsergranate ein. Endlich gab Katja nach: Sie beschloss, Syrien zu verlassen, Richtung Russland.

Der Anfang in Russland war nicht leicht. Da waren die sprachliche Herausforderung und das Problem, eine Arbeit zu finden.  „Ich hatte zehn Jahre Berufserfahrung, aber das zählte nicht, denn mir fehlte die formale Qualifikation. Ich war chancenlos auf dem russischen Arbeitsmarkt“, sagt Katja. Doch das war nicht die einzige Hürde, wie sie hinzufügt: „Zuhause haben wir nur Arabisch gesprochen, daher hatte ich einen starken Akzent. Das hat viele Menschen verunsichert.“

Misstrauen schlug ihr entgegen, sobald sie erzählte, dass sie aus Syrien käme. „Mir wurden Löcher in den Bauch gefragt. Immer wieder musste ich erklären, dass ich Christin bin und in Syrien ein ganz normales Leben geführt habe.“ Zudem musste Katja versichern, dass sie als Geflüchtete keinerlei Vergünstigungen in Anspruch nahm, sondern vom Staat genau wie alle anderen russischen Bürger behandelt wurde. „Viele dachten, ich könnte mir hier auf Kosten der russischen Steuerzahler ein schönes Leben machen“, begründet Katja.

Inzwischen ist die Syrerin in ihrem russischen Leben angekommen. Sechs Monate hat es gedauert, bis sie eine Zulassung zum Universitätsstudium bekommen und Arbeit gefunden hat. „Ich musste ganz von vorne anfangen, aber ich beklage mich nicht“, gibt sich die junge Frau zufrieden. Sie freut sich, dass sie viel Unterstützung von Dozenten und Arbeitskollegen bekommt.

Träumt sie davon, irgendwann nach Syrien zurückzukehren? „Nein, noch einmal ganz von vorne anzufangen, das schaffe ich nicht“, bekennt Katja.

„Die bürokratischen Hürden waren sehr hoch“

Fadi Salech, 29 Jahre, Journalist beim russischen Fernsehsender RT, kann sich eine Rückkehr nach Syrien dagegen durchaus vorstellen. Er hatte immer schon vor, in Russland zu studieren, diesen Schritt aber nie gewagt. Der Krieg machte ihm die Entscheidung leichter.

Fadi Salech. Foto: PressebildFadi Salech. Foto: Pressebild

Doch zunächst galt es, bürokratische Hürden zu meistern. Da seine Eltern nie die russische Staatsbürgerschaft für ihn beantragt hatten, fehlten ihm nun wichtige Dokumente. Nach zwei Jahren erhielt Fadi eine Aufenthaltsgenehmigung. Die russische Staatsbürgerschaft kann er erst nach fünf Jahren in Russland beantragen. „Es ist sehr bedauerlich, dass uns Halbrussen kein leichteres Verfahren zugestanden wird“, sagt Fadi.

Etwa anderthalb Jahre hat der junge Mann gebraucht, um sich an die russische Mentalität zu gewöhnen. Er ist zwar zur Hälfte russisch, aber eben in Syrien aufgewachsen. Doch inzwischen fühlt sich auch Fadi wohl in der neuen Heimat. Gerade macht er einen Master-Abschluss an der renommierten Higher School of Economics in Moskau und feilt an seiner Karriere als Journalist, die er schon in Syrien begonnen hatte. Mittlerweile hat er auch Freunde gefunden und damit in Russland erst einmal alles, was er braucht.

„Wer hätte gedacht, dass der Krieg uns dazu bringt, unser Zuhause schätzen zu lernen?“

Doch es gibt auch andere Geschichten. Die von Mariam Hassan (Name geändert) zum Beispiel. Die Halbrussin ist 45 Jahre alt und kam 2013 mit ihren zwei Kindern nach Russland: „Ich dachte, ich würde dem herzlichen Russland wiederbegegnen, das ich in den Achtzigerjahren kennengelernt hatte. Aber die Gesellschaft und die Sitten haben sich geändert. Die Menschen sind verbittert“, bedauert sie.

Die Kinder hatten weniger Probleme. Sie sprechen die Sprache und haben die russische Staatsbürgerschaft, deshalb konnten sie auch gleich zur Schule gehen. Aber Mariam hatte es schwer: „Ich bin Ärztin, und Sie wissen ja selbst, wie schwer es ein Arzt mit ausländischem Abschluss hat, diesen anerkannt zu bekommen. Das dauerte mehrere Monate – ich sollte Dokumente liefern, die es in Syrien gar nicht gibt.“ Doch auch Mariam fand schließlich Arbeit. Ihre Kinder hatten sich da bereits gut eingelebt.

Dennoch packte sie nach zweieinhalb Jahren in Russland wieder die Koffer und machte sich auf den Weg zurück nach Syrien, mitten im Krieg und mit den Kindern. Warum? „Ich bin vor allem wegen meines Mannes zurück. Er ist kein russischer Staatsbürger und spricht kein Russisch. Er hätte in Russland nichts tun können. Hier nur herumsitzen, das wollte er nicht“, erzählt Mariam. Es sei zudem schwer gewesen, eine passende Wohnung in Russland zu finden. Zwei Jahre lang hat sich Mariam um eine Sozialwohnung bemüht, erfolglos. Von der Migrationsbehörde gab es keinerlei Unterstützung.

Mariam hat Syrien ohnehin nur wegen der Kinder verlassen: „Wenn sie nicht gewesen wären, hätte ich nicht daran gedacht wegzugehen und wäre in Syrien geblieben. Wer hätte gedacht, dass der Krieg uns dazu bringt, unser Zuhause erst schätzen zu lernen?“

Box

Im März 2011 begann der Konflikt in Syrien, der nach UN-Angaben mehr als 250 000 Menschen das Leben gekostet und mehrere Millionen aus ihren Häusern vertrieben hat. Allein die Zahl der offiziell gemeldeten Flüchtlinge aus Syrien liegt bei derzeit 4,8 Millionen.

Zu Beginn des Kriegs lebten mehr als 100 000 russische Staatsbürger in Syrien. Weitere mehrere Zehntausend hatten russische Wurzeln, in der Regel mütterlicherseits. Die genaue Zahl der russisch-syrischen Familien ist nicht bekannt.

Wie die Stiftung Russki Mir zur Förderung der russischen Sprache und Kultur im Ausland und Rossotrudnitschestwo, die Föderalagentur für Angelegenheiten der GUS, für Fragen der im Ausland lebenden Mitbürger und für internationale humanitäre Zusammenarbeit, auf Anfrage von RBTH mitteilten, lassen sich exakte Zahlen kaum benennen.

Denn meist seien die Mitglieder solcher Familien syrische Staatsbürger, während in Syrien russischsprachige Auswanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion oft für Russen gehalten würden. Vor Beginn des Krieges lebten die russisch-syrischen Familien vor allem in den syrischen Großstädten wie Damaskus, Aleppo, Homs, Tartus und Latakia.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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