Ist Russland schuld an den hohen Flüchtlingszahlen?

Syrische Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze.

Syrische Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze.

Reuters
Nato-Oberbefehlshaber Philip Breedlove wirft Russland und Syriens Präsident Assad vor, absichtlich Fluchtbewegungen in Syrien zu erzeugen. Ziel sei es, den Westen zu schwächen. Russische Experten widersprechen: Mehr Flüchtlinge seien keineswegs im russischen Interesse.

Der Nato-Oberbefehlshaber in Europa, General Philip Breedlove, hat Russland und dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad vorgeworfen, die Flüchtlingskrise in Syrien zu verschärfen. Russland und Assad setzten Migration bewusst als Waffe ein, um die europäischen Strukturen ins Wanken zu bringen und die Entschlossenheit Europas zu brechen, sagte er vergangene Woche Dienstag vor einem Ausschuss des US-Senats.

Breedlove äußerte Befürchtungen, dass sich unter die Flüchtlinge auch Kriminelle, Terroristen und ausländische Kämpfer mischten. Dies erhöhe die Gefahr terroristischer Anschläge.

Wird ein Schuldiger gesucht? 

Breedlove ist nicht der Erste, der diesen Vorwurf erhebt. Ähnliche Anschuldigungen wurden bereits im September vergangenen Jahres laut, noch bevor Russland seine Militäroffensive in Syrien startete.

Durch die Unterstützung des Assad-Regimes trage Russland dazu bei, dass noch mehr Menschen aus Syrien Richtung Europa flöhen, scheint die westliche Logik zu sein. Beobachter vermuten jedoch, dass die Erfolge der russischen Luftwaffe und der syrischen Armee zu Kritik an Russlands Beteiligung führen. Schließlich stabilisiert das militärische Vorgehen das Regime. Die Regierungstruppen meldeten auch kurz vor der vereinbarten Waffenruhe weitere Erfolge. 

Experten betonen, dass es Flüchtlingsströme aus Syrien nach Europa bereits vor Beginn des russischen Militäreinsatzes gegeben habe. Aleksandr Zyganok, Leiter des Zentrums für Militärprognosen, erklärte, dass die Flucht aus dem Nahen Osten und Nordafrika bereits nach dem zweiten Irakkrieg begann und sich nach den Konflikten in Libyen und Syrien verschärfte. 

Der Anteil der Syrer an den Flüchtlingen liege bei rund 30 Prozent, sagt Michail Aleksandrow vom Zentrum für Militärpolitische Studien am Institut für internationale Beziehungen in Moskau. Die übrigen Migranten stammten vor allem aus Libyen, dem Irak, Afghanistan, dem Jemen und Mali.  

Aleksandrow wirft dem Nato-Oberbefehlshaber eine bewusste Täuschung der Bevölkerung vor: „Das ist Propaganda. Hier wird ein Informationskrieg geführt.“ Die steigenden Flüchtlingszahlen seien eine große politische Herausforderung für den Westen geworden, nun suche man nach einem Sündenbock, um von der eigenen Verantwortung für die Krise abzulenken, vermutet Aleksander Konowalow, Leiter des Instituts für strategische Bewertungen.   

Auch Russland hat ein Flüchtlingsproblem

Sachlich betrachtet kann eine Verschärfung der europäischen Flüchtlingskrise nicht im russischen Interesse liegen. Denn auch Russland verzeichnet eine wachsende Zahl von Migranten. Wer in Europa keine Bleibe findet, könnte nach Russland weiterziehen. Schon jetzt belegt die Russische Föderation nach Angaben der Vereinten Nationen den zweiten Platz als Einwanderungszielland, nach den USA. Allein als Folge des Konflikts in der Ukraine flohen mehr als eine Millionen Menschen von dort nach Russland.  

Russland ist zudem Transitland für viele Flüchtlinge auf dem Weg in Richtung Skandinavien. Davon sind vor allem die nördlichen Regionen des Landes betroffen. Der Nachbarstaat Finnland plant laut Medienberichten, die Grenze zu Russland zu schließen, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen. Auch für die Russische Föderation ist das Thema Flüchtlinge daher ein großes.

Eine Schwächung Europas durch Migranten sei ebenfalls nicht im Interesse der Russen, meint Aleksandr Konowalow. Es gebe Probleme, die nur mit der Unterstützung eines stabilen Europas gelöst werden könnten.

Auch in Syrien sei Stabilität die Voraussetzung für eine langfristige Lösung der Flüchtlingskrise. Diese Stabilität könne nur erreicht werden, wenn das Assad-Regime gestärkt werde. Damit schaffe man die Basis für Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und der Opposition. Das könnte zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes beitragen, resümieren die von RBTH befragten Experten. 

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