Zeitreise ins 16. Jahrhundert: Mit einem Österreicher durch die Rus

Sigismund von Herberstein bereiste das mittelalterliche Russland.

Sigismund von Herberstein bereiste das mittelalterliche Russland.

Alena Repkina
Ein Botschafter aus Österreich machte auf seiner Reise durch das Russland des 16. Jahrhunderts Notizen über Land und Leute. Daraus entstand ein Ratgeber für neugierige Europäer. Mit diesem Reiseführer nimmt RBTH Sie mit auf eine Zeitreise in das mittelalterliche Moskowien.

Die mittelalterliche Rus, auch Moskowien genannt, war bei Europäern als Reiseziel eher unbeliebt. Nur wenige hatten den Mut, in ein Land zu reisen, das für die meisten wie ein pechfinsterer Ort wirkte. Erst der österreichische Botschafter Sigismund von Herberstein brachte Licht ins Dunkel: Anfang des 16. Jahrhunderts verfasste er die „Notizen zu Moscovia“ – eine Art Reiseführer, mit dem er den Weg in und durch das Großfürstentum Moskau ebnete.

Seine Landsleute warnte der Botschafter mit Nachdruck: Die Rus unterscheide sich von anderen Völkern durch Habitus, Religion und strengsten Gehorsam. Wenn Sie aber vor Unbekanntem nicht zurückschrecken, kann es losgehen. Auf nach Moskowien!

Architektur

Anfang des 16. Jahrhunderts wartet Moskau mit kunstvoll eleganten und zugleich wuchtigen Holzbauten auf. In von Herbersteins Ratgeber finden Sie eine Stadtkarte aus der Feder des Botschafters. Die Hauptstadt des Großfürstentums beschreibt er so:

„Die Stadt ist ganz aus Holz erbaut und recht groß. Aus der Ferne erscheint sie noch größer, weil weitläufige Gärten und Höfe die Stadt größer machen. Unweit der Stadt, hinter Wiesen und Feldern, erstrecken sich die Handwerkersiedlungen und kleinere Klöster, die, aus der Ferne betrachtet, wie eine weitere Stadt aussehen.“

Wetter

Bild: Alena RepkinaBild: Alena Repkina

Wenn Sie Wetterumschwünge nur schwer vertragen, ist Ihnen von einer Reise nach Moskowien eher abzuraten. Das Klima in der Rus sei über alle Maßen rau, schreibt von Herberstein:

„Oft ist hier der Frost so stark, dass die Erde Risse bekommt, ähnlich wie bei uns bei starker Hitze. Dann gefriert sogar das Wasser oder die Spucke an der Luft, noch bevor sie zu Boden fällt. Wiederum kommt auch so unermessliche Hitze vor – wie etwa im Jahr 1525 –, dass die Saat ausdörrt.“

Kleidung

Um als Einheimischer durchzugehen und in der Menschenmenge keine neugierigen Blicke auf sich zu ziehen, sollten Sie Ihr ausländisches Gewand gegen die lokale Tracht tauschen. In der Rus trägt man lange Kaftans ohne Falten mit engen Ärmeln. Die Stiefel sind meist rot, die Sohlen mit kleinen Eisennägeln beschlagen. Die Hemdkrägen werden mit Blumenstickereien geschmückt und mit Silber- oder Messingkügelchen zugeknöpft, die wiederum mit Perlen verziert werden.

Gleich nach der Ankunft

Bild: Alena RepkinaBild: Alena Repkina

Im Moskowien des 16. Jahrhunderts angekommen, sind Sie in der Pflicht, den Großfürsten – so hießen die Herrscher der Rus bevor es Zaren gab – aufzusuchen. Um dabei nicht ins Fettnäpfchen zu treten, werden Sie gründliche Kenntnisse der altrussischen Etikette benötigen. Hier ein Schnellkurs nach von Herberstein: Sie bekunden Ihren Dank für eine erwiesene Gefälligkeit, indem Sie sich verbeugen und mit der Hand den Boden berühren. Wollen Sie dem Großfürsten für eine große Gabe danken, muss Ihre Stirn zu Boden. Da könnten sich Yogastunden bezahlt machen.

Sehen Sie eine Waschschüssel mit zwei Wasserkrügen neben dem Großfürsten, dann wundern Sie sich nicht. Der altrussische Herrscher hält Sie schlicht für unrein, weil Sie aus dem katholischen Europa kommen. Deshalb muss er sich nach der Begrüßung unverzüglich die Hände waschen. So erklärt es der österreichische Botschafter.

Religion

Für die Moskowiter ist kaum etwas so bedeutsam wie ihr Glaube. Religiöse Riten praktizieren sie mit großem Eifer. Als Ausländer müssen Sie hier besonders aufpassen: Die Altrussen bekreuzigen sich, indem sie das Kreuz mit der rechten Hand erst über die Stirn, dann die Brust, die rechte und die linke Schulter schlagen – und zwar genau in dieser Reihenfolge. Weichen Sie davon ab, dann geben Sie sich sofort als Andersgläubiger zu erkennen.

Lokale Spezialitäten

Bild: Alena RepkinaBild: Alena Repkina

Sind Sie bei Moskowitern zu Gast, bekommen Sie zuerst Brot und Salz geboten. Ein Zeichen für die Knausrigkeit des Gastgebers ist das nicht. Im Gegenteil: Eine reichgedeckte Tafel wartet bereits auf Sie. Mit dem Brot aber will der Hausherr sein Wohlwollen Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen, mit dem Salz gar seine Liebe. Schickt Ihnen der Großfürst bei einem Festmahl Salz von seinem Tisch, erweist er Ihnen seine größte Gunst.

Überhaupt ist die gemeinsame Mahlzeit in Moskowien ein feierlicher Prozess. So hält der österreichische Botschafter fest:

„Wie sie bei wichtigen Fragen nicht auseinandergehen und so lange tagen, bis sie sich vollends beraten und die Sache entschieden haben, so verbringen sie auch bei Festmahlen den ganzen Tag und gehen erst bei Dunkelheitseinbruch auseinander.“

Nur bei einem altrussischen Festessen kommen Sie in den Genuss gebratener Kraniche – und natürlich hochprozentiger Getränke. Die Moskowiter sind große Meister darin, ihren Gästen einen Drink nach dem anderen einzuschenken. Denn ein Festmahl in Moskowien ist erst gelungen, wenn die Gäste gut betrunken sind.

Freizeit

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Der größte Freizeitspaß in Moskowien ist die Jagd: Ein Großereignis mit vielen Bojaren zu Pferde und noch mehr Knechten, Hunden und Falken, die die Tiere hetzen. Held des Tages ist derjenige, dessen Hund den Jägern die meiste Beute in die Hände treibt. Von Herberstein war Zeuge einer prachtvollen Hasenjagd, nach deren Ende an die 400 Trophäen gezählt wurden.

Und dann gibt es noch eine Freude, die sich die Moskowiter hin und wieder gönnen. Es ist wie die spanische Corrida, nur etwas gefährlicher: Sie füttern einen Bären, der in einem eigens für ihn gebauten Haus untergebracht ist. Auf Befehl des Großfürsten gehen die Knechte mit hölzernen Heugabeln auf das Tier los. Nicht immer gewinnen bei diesem Kampf die Knechte.

Souvenirs

Bild: Alena RepkinaBild: Alena Repkina

Auf dem lokalen Jahrmarkt finden Sie allerlei Andenken: Barren aus echtem russischem Silber, goldbestickte Seidentücher, Perlen, Edelsteine. Auch schneeweiße Walrosszähne werden dort gehandelt. Bei den Türken sind sie als Messerknäufe sehr beliebt. Aber Vorsicht! Einem Ausländer verkaufen die Moskowiter auf dem Basar alles zum dreifachen Preis. Lassen Sie sich nicht übers Ohr hauen: Wofür fünf, zehn oder 20 Taler verlangt werden, ist meist nur einen Taler wert.

Kurz vor der Abreise

Bei Pelzen aller Größen und Muster sind die Moskowiter Exportweltmeister. Deshalb dürfen Sie Moskowien ohne einen Pelzmantel – ob aus Fuchs oder Zobel – nicht verlassen. Da Sie eine längere Reise vor sich haben, nehmen Sie den Pelz des Polarfuchses. Dieser wärmt am besten. Übrigens: Katzenfelle werden in der Rus nur für Frauenmäntel verwendet.

Abschied

Ob Sie wollen oder nicht: Ohne Geschenke werden Sie Moskowien nicht verlassen. Von Herberstein bekam vom Großfürsten etwas Besonderes:

„Einen Schlitten mit hervorragendem Pferd, einem weißen Bärenfell und einem guten Überzug.“

Na dann, gute Reise und auf Wiedersehen! 

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