An einem warmen Tag vor hundert Jahren hörte eine kleine Gruppe von Freunden das allererste Stück eines sowjetischen Dramatikers. Der Dichter Wladimir Majakowski las dem Volkskommissar für Aufklärung, Anatoli Lunatscharski, und dem berühmten Theaterregisseur, Wsewolod Meyerhold, sein Werk „Mysterium Buffo“ vor.
Bei dem Theaterstück handelte es sich um ein aggressives Stück bolschewistischer Propaganda, das im Jahre 1918 am Petrograder Konservatorium drei Aufführungen mit Bühnendekorationen und Kostümen, die von Kasimir Malewitsch entworfen wurden, hatte. Doch auch wenn das erste sowjetische Theaterstück der drei radikalen Künstler, die den ersten Jahrestag der Revolution feierten, brillant zu sein schien, nahm es keinen guten Lauft.
Ominöser Start
Nicht nur der kreative Prozess des „Mysterium Buffo“ wurde sabotiert, auch das Publikum zeigte dem Werk gegenüber keinerlei Reaktion. Lenin nannte das Stück sogar „Hooligan-Kommunismus“. Doch warum wurde dieses zeitgemäße Werk dermaßen kritisiert?
Alles begann auf ominöse Art und Weise. Wenige Tage nach der Oktoberrevolution berief Lunatscharski als Volkskommissar für Aufklärung ein Treffen ein, um revolutionäre Zugänge zur Kunst in der neuen Ära zu diskutieren. Hunderte von Künstlern wurden eingeladen, doch nur fünf kamen: Darunter befanden sich Majakowski und Meyerhold.
Der Grund, warum nur so wenige Künstler erschienen, war zu dem Zeitpunkt die Tatsache, dass die politische Lage immer noch zutiefst unsicher war und, obwohl sich alle Theater unter Lunatscharskis Kontrolle befanden, sich die Künstler größtenteils unsicher waren, ob sie sich den Bolschewiki anschließen sollten. Meyerholds Biograf Edward Braun nannte diesen Schritt „einen gefährlichen Akt des Glaubens“.
Bei „Mysterium Buffo“ handelt es sich um ein merkwürdiges Stück, das in Majakowskis typisch energischen und taumelnden Strophen verfasst ist. Die Handlung findet im Industriezeitalter statt und ist eine biblische Parabel von Noahs Arche. Die Revolution ist die Flut, die die Welt von der Bourgeoisie reinigt und der „neue einfache Mann“ führt das Proletariat zu einem mechanisierten Paradies, in dem Werkzeuge und sogar die Nahrung den Menschen gehorchen.
Die Besetzung war mit über 70 Charakteren, die in einem deklaratorischen und rhetorischen Stil agierten, äußerst umfangreich. Die konservative Schauspielervereinigung bezeichnete das Werk als „futuristisch“, was laut Majakowskis Biografen Ann und Samuel Charters das „Wort ist, das sie allem gaben, was sie nicht verstanden“.
Mit Sicherheit ist das Stück sehr weit von den damals beliebten Theateraufführungen Anton Tschechows entfernt. Majakowski erklärt im Prolog, was er von ihnen hält:
„Onkel Wanja
Und Tante Manja
Sitzen auf einem Sofa
Aber sie sind uns egal
Die Onkel oder Tanten:
Du kannst sie zu Hause finden – oder überall!“
Majakowski lehnte es demnach explizit ab, mit seinem Theaterstück die beobachtbare Realität nachzuahmen. Ähnlich war auch Malewitschs Ansatz in der Malerei: „Ich sah meine Aufgabe nicht in der Schaffung einer assoziativen Verbindung mit der Realität jenseits der Bühne, sondern in der Schaffung einer neuen Realität.“
Das Stück begann mit dem Auftritt der Schauspieler, die mit Plakaten populärer Aufführungen der damaligen Zeit auf die Bühne kommen und eine Art Kriegserklärung an das Theater der Zarenzeit symbolisieren.
Misslungene Inszenierung
Das Petrograder Konservatorium war nicht sonderlich kooperativ und weigerte sich, die Kopien des Drehbuchs zu verkaufen. Die Türen zu den Proberäumen wurden zugenagelt, die Nägel für den Bühnenaufbau unter Verschluss gehalten. Die Schauspieler standen dem Projekt sehr misstrauisch gegenüber und lehnten es größtenteils ab, sich daran zu beteiligen. In der Zeitung wurde sogar eine Anzeige mit folgendem Aufruf inseriert: „Genossen! Es ist eure Pflicht, den großen Tag der Revolution mit einer revolutionären Aufführung zu feiern.“ Doch am Ende mussten Studenten engagiert und mehrere Hauptrollen von Majakowski persönlich gespielt werden.
Bezeichnenderweise hielten die meisten Kritiker das Stück für unangemessen. Später schrieb der Theaterregisseur Wladimir Solowjow: „Es kam beim Publikum nicht gut an. Die geistreichen satirischen Passagen... wurden mit eiserner Stille begrüßt.“
Eine Aufführung im Freien wurde daraufhin abgesagt und den Futuristen die Teilnahme an bevorstehenden Feierlichkeiten zum 1. Mai verboten. Die Bolschewiki befürchteten, dass ihr Duktus das Proletariat abschrecken würde.
Tragische Schicksale
Im Rückblick wirkte sich diese Theateraufführung auf das Leben von Majakowski, Malewitsch und Meyerhold äußerst negativ aus. Zwölf Jahre nach „Mysterium Buffo“ waren alle drei tot, aber nicht aufgrund ihres hohen Alters. Majakowski beging im Jahr 1930 Selbstmord, der zwar hauptsächlich auf psychische Probleme und seine komplizierte Beziehung zu Lilja Brick zurückzuführen war, doch auch sein ständiger Kampf mit den Behörden übte einen großen Einfluss auf seine Unfähigkeit zu leben und künstlerisch tätig zu sein aus.
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Malewitschs Kunstwerke wurden mit der Zeit verboten und beschlagnahmt, weil sie zu abstrakt und „bürgerlich“ waren. Im Jahre 1930 wurde er inhaftiert und erkrankte an Krebs. In den frühen 1930er Jahren beschäftigte er sich weiterhin mit der figurativen Kunst, starb jedoch schließlich im Jahr 1935.
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Meyerhold hatte am meisten unter den negativen Folgen zu leiden: Die Auftritte wurden verboten, sein Theater geschlossen, er wurde gefoltert und letztendlich ermordet. Das, was also einst in den verschlossenen Proberäumen im Jahr 1918 begonnen hatte, nahm im Jahr 1940 im Inneren des Lubjanka-Gefängnisses ein jähes Ende.
Der Optimismus weicht der Repression
Tatsächlich musste der Optimismus der Revolution in den 1930er Jahren der Paranoia, Zensur und dem Mord weichen, die hauptsächlich auf Stalins Persönlichkeit und seinem Beharren auf der Förderung der erstickenden Ideologie des sowjetischen Realismus zurückzuführen waren. Dennoch ist die Wahrheit vermutlich in Wirklichkeit subversiver. Die unmittelbare Reaktion auf „Mysterium Buffo“ im Jahre 1918 ähnelte den späteren Argumenten gegen die Kunst der Avantgarde in der Zeit der Säuberungen: Es hieß, dass sie dem gemeinen Mann nicht sofort zugänglich wäre und daher auf der Seite der Bourgeoisie stünde.
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Wie Lunatscharski zuvor verlauten ließ, war „Mysterium Buffo“ für die neue Gesellschaft „unverständlich“. Die Geschichte des Stückes zeigt, dass der Bolschewismus und die Kunst von Anfang an eine schwierige Beziehung zueinander hatten, denn selbst wenn die Künstler der ideologischen Linie zu folgen schienen, waren sie in ihrer Haltung gegenüber der experimentellen und revolutionären Stimmung vor rund hundert Jahren zu unabhängig und radikal.