Erst verehrt, dann verfolgt: Geschichte des amerikanischen Jazz in der Sowjetunion

Mikhail Ozerskiy/Sputnik
Obwohl gewöhnliche Sowjetbürger den Jazz am meisten schätzten, teilte die sowjetische Regierung nicht immer diese Liebe. Zuerst akzeptiert, wurde Jazz später zum Symbol der verhassten westlichen Welt.

Es ist heute kaum zu glauben, aber amerikanischer Jazz wurde im jungen sowjetischen Staat nicht nur akzeptiert, sondern auch herzlich willkommen geheißen. In den Zwanzigerjahren gab die sowjetische Führung der populären Musik ihres politischen Gegners grünes Licht.

Der Grund war einfach. Die sowjetischen Führer betrachteten den Jazz als die Musik der unterdrückten afroamerikanischen Minderheit. So wurde Musik ein weiteres Instrument im politischen Kampf.

Die Geschichte des sowjetischen Jazz begann am 1. Oktober 1922, als das erste Jazzkonzert von Amateurmusikern in Moskau stattfand.

Einige Jahre später besuchten die bekannten amerikanischen Jazzbands von Frank Witers und Sam Wooding die Sowjetunion und traten mit großem Erfolg auf.

In den späten 1920er Jahren traten immer mehr sowjetische Jazzbands in Moskau und Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, auf, wobei letzteres zu einem Mekka für Jazzliebhaber aus dem ganzen Land wurde.

Zuerst spielten sowjetische Bands amerikanischen Jazz, aber allmählich wurden die Werke der sowjetischen Jazzkomponisten populär.

In den 1930er Jahren änderte sich jedoch das Verhältnis der sowjetischen Führung zum Jazz. Er wurde als ein Beispiel bürgerlicher Kultur ausgerufen und massiv kritisiert. Gastspiele ausländischer Jazzkünstler wurden verboten und die sowjetischen Musiker konnten nur begrenzt auftreten.

Während des Zweiten Weltkrieges gewann die sowjetische Jazzmusik mehr Freiheit, weil Dutzende Jazzbands traten auf, um den Kampfgeist sowjetischer Soldaten zu steigern.

Nach dem Krieg erlebte der sowjetische Jazz die härteste Periode seiner Geschichte. Mit dem Beginn des Kalten Krieges wurde die Musikrichtung von der sowjetischen Regierung verachtet. „Heute spielt er Jazz, morgen wird er seine Heimat verraten“, lautete damals die offizielle Staatspropaganda.  

Erst in den 1960er Jahren fasste der Jazz wieder Fuß. Mit Chruschtschows „Tauwetter“ kam die Zeit der Auflockerung und größeren Freiheit in der sowjetischen Kunst. Neue Bands wurden gegründet, Bücher und Filme über Jazz veröffentlicht. 1964 eröffnete in Moskau der legendäre Jazzclub „Der Blaue Vogel”.

Ausländische Musiker durften wieder mit Gastspielen in das Land einreisen. Unter anderem besuchten die Sowjetunion der berühmte Saxophonist Gerry Mulligan und Jazzlegenden wie Thad Jones und Mel Lewis.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste der Jazz einen neuen Schicksalsschlag erleiden. Als das ganze Land in die Krise geriet, tat es auch der Jazz. Viele Künstler verließen Russland. Erst in den 2000er Jahren konnte der Jazz seinen Status in Russland wiedererlangen.

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