Drei überbewertete russische Schriftsteller, von Leo Tolstoi bis Joseph Brodsky

Kultur
GEORGI MANAJEW
Vielleicht sind Sie auch des Moralismus von Tolstoi müde geworden. In der Tat haben Sie Recht; manche russische Autoren werden teilweise überbewertet.

1. Leo Tolstoi

Nicht alle Russen mögen Leo Tolstoi, der oft als „der größte russische Schriftsteller“ bezeichnet wird. In der Schule waren die meisten von uns gezwungen, die umfangreiche vier-bändige Ausgabe von „Krieg und Frieden“ zu lesen. Tolstoi selbst mochte den Roman nicht. Er gestand, dass er glücklich sei, dass er „nie wieder so einen Unsinn schreiben müsse“, und als er für den Roman gelobt wurde, antwortete er: „Es ist das Gleiche, als würde jemand Edison sagen, dass er gut darin ist, Masurka zu tanzen“.

Der größte Teil von Tolstois Moralismus steht im krassen Widerspruch zu dem Leben, das er führte. Ein begeisterter Spieler in seiner Jugend, verbrachte er sein ganzes Leben als Frauenheld. Die meisten seiner Kinder waren wütend auf ihren Vater, weil er ihnen das Glück genommen hatte. Die Beziehung zu seiner Frau Sophia war voller Streitigkeiten, Tränen und anderer Frauen. Kannn er der Typ sein, der seinen Lesern Ethik lehrt? In der währenddessen hat jeder Tolstoiroman und jede seiner Geschichten ein moralisches Ende.

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2. Sergei Dowlatow

Sergei Dowlatow, einer von vielen russisch-sowjetischen Schriftstellern, die wegen der tiefen Ironie ihrer Werke, die die Absurdität der sowjetischen Realität aufzeigten, nicht in der Sowjetunion veröffentlicht wurden. Als er in die USA emigrierte, wurde er mit einem Schlag berühmt. Dank der Bemühungen seiner Freunde und literarischer Unternehmer im Ausland wuchs sein Ruhm schnell und Ende der 2000er Jahre war er einer der „berühmtesten“ Schriftsteller der 1970er Jahre geworden - was er in den 1970er Jahren nicht war.

Dowlatow schrieb keine Fiktion, seine Kurzgeschichten, vielleicht besser gesagt Skizzen, waren modifizierte Auszüge aus seinem eigenen Alltag, gewürzt mit bitterem Humor und traurigen Erinnerungen an die Vergangenheit und Gegenwart eines Verlierers. Im Russischen ist Dowlatows Prosa vor allem in Sachen der zeitgenössischen Sprache interessant, die jedoch durchs Übersetzen eher nachempfunden wurden, verloren gegangen sind oder weit weniger faszinierend sind. Im Russischen wird seine Prosa jedoch obsolet, weil die von ihm beschriebene Realität nicht mehr relevant ist. Dowlatow ist also am besten für diejenigen geeignet, die seinen Stil lieben - aber er kann kaum als ein Schriftsteller wahrgenommen werden, der russische Literatur definiert.

3. Joseph Brodsky

Der Nobelpreisträger und Dichter, der die Entwicklung der russischen Sprache des späten 20. Jahrhunderts bestimmte, Joseph Brodsky, der von 1940 bis 1996 lebte, genoss schon zu seiner Zeit großen Ruhm. Er war der Preisträger eines Landes ernannt, das Englisch spricht, was nicht Brodskys Muttersprache war. Am Ende konnte er sich mit dem Englischen einfach nicht ganz abfinden, jedenfalls sind seine eigenen Übersetzungen seiner Werke ins Englische sowie seine Prosa und englischsprachigen Gedichte in der Syntax ungeschickt russisch.

Abseits der lyrischen Materie in seinen Gedichten verwandelte der „amerikanische“ Dichter Joseph Brodsky, da er sich gerne als solch einer identifizierte und änderte sogar die Schreibweise seines ursprünglichen Namens. Seine Gedichte waren ein Geflecht aus Zwischentext und obskuren Anspielungen, wie zum Beispiel „Vertumne“ oder „Centaurs I-IV“. Das für einen weniger versierten Leser der Weltliteratur kaum zu entschlüsseln ist, so wie Brodsky es war. Aber Poesie ist kein Vortrag über die Geschichte der Literatur, und Brodsky dachte und lehrte genau das. Das ließ uns alle seine frühen, aufrichtigen und tief empfundenen Gedichte lieben, mehr als die müde lyrische Persönlichkeit seiner späteren Jahre.

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