„Russische Saisons“: Berlin feiert Jugendsinfonieorchester aus Tatarstan

Kai Bienert, Young Euro Classic
Im Rahmen des Festivals Young Euro Classic und des russischen Projektes „Russische Saisons“ bezauberte am Samstag das Jugendsinfonieorchester aus Tatarstan das Publikum in Berlin. Stars des Abends waren zwei Frauen: die erst 12-jährige Pianistin Alexandra Dowgan und Swetlana Los, die künstlerische Leiterin.

Sie steht überwältigt inmitten des Publikums im Berliner Konzerthaus auf dem Gendarmenmarkt und kann ihre Emotionen nur schwer im Zaum halten: Swetlana Los, künstlerische Leiterin des Tatarstan Jugendsinfonieorchesters und dessen geistige Urheberin, erlebt, wie „ihre“ jungen Künstlerinnen und Künstler mit „Bravo“-Rufen und stehenden Ovationen zu immer neuen Zugaben aufgefordert werden. 

Im ersten Teil des Abends hatten die 70 neun bis 16-jährigen Künstlerinnen und Künstler mit der Sinfonie Nr. 25 g-Moll des jungen Wolfgang Amadeus Mozart und dem Konzert für Klavier und Orchester d-Moll von Johann Sebastian Bach bereits ihr hohes künstlerisches Niveau unter Beweis gestellt. 

Am Klavier zu Bach brillierte die 12-jährige Alexandra Dowgan. Als Zugabe spielte sie sein „Jesu meine Freude“. Dabei erreichte sie eine solch erstaunliche emotionale Tiefe, dass wohl so mancher Zuhörer den Eindruck gewinnen konnte, einen neuen russischen Star live erlebt zu haben. Alexandra hatte bereits Anfang 2019 an der Eröffnung des russischen Kulturprojektes „Russische Saisons“ im Januar in der Berliner Philharmonie unter Stardirigent Walerij Gergiew mitgewirkt und wird demnächst bei den Salzburger Festspielen auftreten. 

Nach der Pause brachte das Orchester unter Leitung seines 33-jährigen Dirigenten Michail Mosenkow Stücke aus dem auf tatarischen Märchenmotiven basierenden Ballett „Schurale“ des tatarischen Komponisten Farid Jarullin  zur Aufführung. Krönender Abschluss des Konzerts war die „Carmen Suite“ nach George Bizet des in Moskau und München lebenden russischen Komponisten Rodion Schtschedrin. Schtschedrin hat die Ballettmusik für Streichorchester und Schlaginstrumente 1967 für seine Frau, die berühmte russische Primaballerina des Bolschoi-Theaters Maya Plissezkaja, geschrieben.

Höchste Ansprüche

„Das Programm ist sehr anspruchsvoll, insbesondere die ‚Carmen Suite‘ ist ein sehr virtuoses Werk“, kommentierte Nikolaus Rexroth, Projektleiter des Tatarstan Jugendorchesters und Leiter Künstlerischer Projekte der Russisch-Deutschen Musikakademie. „Wir wollten etwas Neues, über den musikalischen Horizont Hinausgehendes bieten“, erzählte Rexroth. Zwischen den Musikern und Musikerinnen aus Tatarstan und Deutschland bestünden sehr enge Kontakte. Im Mai seien deutsche Künstler und Künstlerinnen in Kasan, der Hauptstadt Tatarstans, zu Besuch gewesen. 

„Das Orchester ist einzigartig in seiner Zusammensetzung. Wir betrachten es nicht als Kinderorchester. Wir spielen ja nicht Kindermusik, sondern Klassik und Barock. Und wir bringen den Kindern bei, richtig zu spielen, wie in Europa und Deutschland. Wir erziehen die Kinder auch in der tatarischen und der russischen Musik. Aber wenn man wirklich klassischen Geschmack beibringen will, muss man eine gute Grundlage haben und mit Bach, Händel, Vivaldi anfangen. Wenn ein Kind keine Buchstaben kennt, kann es auch nicht lesen“, erläutert Swetlana Los ihre Philosophie.

Das Jugendorchester wurde im Jahre 2012 im Zusammenhang mit dem „Deutsch-Russischen Kreuzjahr des kulturellen Austauschs 2012/2013“ gegründet. Es vereint junge Musiker und Musikerinnen aus 25 Musikschulen Tatarstans. „Nicht alle von ihnen werden später professionelle Künstler werden. Wir wollen mit dem Orchester jungen Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten die Möglichkeit geben, in einer der schönsten Formen der Kommunikation, der Musik, in Verbindung zu treten. Wir hoffen, dass die Emotionalität der jungen Leute auf das Publikum überspringt und auf diese Weise zu einem ‚Miteinander der Seelen‘ führt“, drückt Swetlana Los ihre Wünsche aus. 

„Großartiges musikalisches Geschenk“

Nach Berlin ist die Truppe mit Unterstützung des Projektes Russische Saisons und verschiedener Sponsoren aus dem etwa 2 500 Kilometer entfernten Kasan eigens mit dem Zug angereist. „Es ist ein großes Glück für die Kinder, die sonst aus finanziellen Gründen keine Möglichkeit hätten, hierher zu kommen. Berlin ist für sie eine große Entdeckung und eine andere Welt. Sie können hier europäische Werte kennenlernen“, kommentiert Swetlana Los. Allerdings hätten die Kinder schon Vorstellungen von Deutschland, weil ein Teil von ihnen deutsche Schulen in Tatarstan besuche. Dazu gebe es einen Schüleraustausch zwischen Tatarstan und Deutschland.

"Wir freuen uns, zu unserem 20. Geburtstag ein so großartiges musikalisches Geschenk überreicht bekommen zu haben“, bedankte sich Dr. Dieter Rexroth, künstlerischer Leiter von Young Euro Classic, bei den Gästen aus dem für seine Multikulturalität bekannten Tatarstan. 

Das Konzerthaus und der Gendarmenmarkt sind in diesem Jahr bereits mehrfach zum Zentrum des Projektes „Russische Saisons“ geworden. Anfang Juni spielte hier das Sankt Petersburger Mariinski-Orchester unter Leitung von Walerij Gergiew. Gemeinsam mit dem bekannten Pianisten Denis Matsuev werden sie auch hier am 15. Dezember die „Russischen Saisons 2019“ beschließen. Im Mai war der berühmte Turetsky-Chor Open Air auf dem Gendarmenmarkt aufgetreten. Insgesamt erleben im Verlaufe des Jahres 2019 im Rahmen des Projektes Russische Saisons die Menschen in über 80 deutschen Städten Konzerte, Ausstellungen, Filmvorführungen und vieles mehr.  

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