1. Alexander Solschenizyn – „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch”
Jede Diskussion über den Gulag wäre ohne Solschenizyn undenkbar, da er tatsächlich der erste in der UdSSR war, der das Thema in den öffentlichen Diskurs einführte.
Die riskante Veröffentlichung seines Kurzromans „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch” in der Literaturzeitschrift „Nowy Mir” im Jahr 1962 schlug ein wie eine Bombe. Niemand wagte zuvor öffentlich über Stalins Lager zu sprechen, obwohl nahezu jede sowjetische Familie betroffen war.
In „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ erinnert sich der Protagonist, wie er gegen die Deutschen gekämpft hat, gefangen genommen wurde, geflohen ist und sofort in ein Lager geschickt wurde. So behandelte das stalinistische Regime alle Sowjetbürger, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren. Sie galten als Spione oder Deserteure. Das Buch beschreibt anschaulich den harten Alltag in den Arbeitslagern.
Wer sich eingehender mit dem Thema auseinandersetzen und sich ein umfassenderes Bild der Gulags machen möchte, der sollte auch Solschenizyns epochales Werk „Archipel Gulag” lesen, das er selbst als Experiment der künstlerischen Recherche bezeichnete.
>>> Arbeitslager, Krebs und Verrat: Alexander Solschenizyns Leben in Romanen
2. Warlam Schalamow – „Erzählungen aus Kolyma”
Schalamow hatte vorausgesehen, dass es viele Erinnerungen und Sachbücher über diese schreckliche Zeit der Sowjetgeschichte geben würde. Authentizität hielt er für die wichtigste Eigenschaft dieser zukünftigen Veröffentlichungen.
In trockener und prägnanter Weise, wie aus der Sicht eines Dokumentarfilmers, schreibt Schalamow über die Zwangsarbeit, die widerlichen und obendrein kargen Mahlzeiten, die Prügel und die schreckliche Kälte in Kolyma.
Der Schriftsteller reflektiert vor dem Hintergrund dieser täglichen Beobachtungen den Menschen und den Wert des Lebens. Sein düsterer Schreibstil dringt tief in das Bewusstsein der Leser ein und dieses nüchterne Dokument über den Gulag könnte sich als eindrucksvoller herausstellen als jedes künstlerische Werk.
„Die harte Arbeit hat uns irreparable Schäden zugefügt. Unser Leben wird im Alter voller Schmerzen sein, voller unendlicher und vielfältiger körperlicher und seelischer Schmerzen.”
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3. Jefrosinija Kersnowskaja – „Was ist ein Menschenleben wert?”
Es gibt nur wenige bekannte Autorinnen, die den Gulag überlebt haben. Eine von denen, die es geschafft hat, ihre Stimme später zu erheben, war Jefrosinija Kersnowskaja. Ihren Erinnerungen hat sie Zeichnungen hinzugefügt. Sie wirken ungelenk wie Kinderzeichnungen, doch das verleiht ihnen noch mehr Schrecken.
Kersnowskaja war unglaublich stark, körperlich und mental. Sie verrichtete im Lager Männerarbeit, sogar in der Mine. Ihre Geschichte ist beeindruckend: Ihr gelang die Flucht. Sie versteckte sich in der Taiga. Ein Stück gefrorenes Pferdefleisch war ihre einzige Nahrung.
Ungeschönt beschreibt sie die schrecklichen Vorgänge im Gulag, die niedrige Position, die die weiblichen Gulag-Häftlinge einnahmen und wozu viele bereit waren, nur um zu überleben.
Der Titel ihres Buches spiegelt den Versuch wieder, zu verstehen, unter welchen Bedingungen der Mensch sein Mensch-sein verlieren kann. Kersnowskajas Zeichnungen sind inzwischen weltweit in Ausstellungen zu sehen.
4. Sachar Prilepin - „Heimstatt”
Auch die aktuellen Schriftsteller befassen sich mit dem Thema Gulag. Sachar Prilepin, einer der führenden Autoren Russlands, schickt in „Heimstatt” seinen Protagonisten in ein Lager auf den Solowezki-Inseln.
Dieser große Roman basiert auf einer gründlichen Untersuchung von Archivmaterialien. Der Autor unternahm zahlreiche Reisen zu den Solowezki-Inseln und arbeitete sich dort durch die Archive. Er liefert eine genaue Beschreibung der Lagerführung sowie der gesamten Struktur von Arrestzellen im ehemaligen Kloster und in den Kirchen bis zu den abgelegen untergebrachten Bestrafungszellen. Prilepin widmet sich auch den verschiedenen Häftlingsgruppen. Politische Gefangene trafen im Lager auf gewöhnliche Kriminelle.
5. Gusel Jachina - „Suleika öffnet die Augen”
Dies ist ein weiterer zeitgenössischer Roman auf unserer Liste, der Debüt-Roman der Schriftstellerin Gusel Jachina, der in Russland zum Bestseller und bereits in zehn Sprachen übersetzt wurde.
Es geht darin weniger um das Thema Gulag als um die Repressionen der Stalinzeit und die Enteignung tatarischer Bauern und ihrer Deportation nach Sibirien. Die Heldin des Buches gehört zu einer Gruppe von Gefangenen, die unter der Aufsicht eines Offiziers durch die Taiga laufen. Sie müssen sich einen Unterstand bauen, Essen beschaffen und die Kälte aushalten. Doch seltsamerweise fühlt sich Suleika dennoch freier als zu der Zeit, wo sie von Ehemann und Schwiegermutter unterdrückt wurde.
Der Roman ist reine Fiktion, doch Jachina studierte Archivmaterialien über die Deportationen nach Sibirien zu Stalins Zeiten. Darüber hinaus wurde auch ihre Großmutter in den 1930er Jahren enteignet. Die Darstellung des Alltags der Figuren beruht auf den Erinnerungen der Großmutter.