Was verbindet George Orwell mit Russland und der Sowjetunion?

Cassowary Colorizations, Michail Mizkewitsch/Sammlung von W. А. Nikitin
Der Autor von „1984“ und „Farm der Tiere“ war ein überzeugter Kritiker des Sowjetregimes. Doch er hatte mehr Verbindungen zum Land und zu den Russen, als man vermuten würde.

1. Der sowjetische Untergrund liebte seine Bücher und bewunderte Orwell

George Orwell (geb. als Eric Blair) war beliebt bei den russischen Lesern. Zum einen, weil sein Werk „1984“ und die Parabel „Farm der Tiere“ deutliche Parallelen zur sowjetischen Gesellschaft aufwiesen und zum anderen, weil Orwell in der UdSSR viele Jahre lang ein verbotener Autor war, was nur eines bedeuten konnte: seine Werke waren lesenswert. 

Orwells Bücher wurden in den 1960er Jahren über Samisdat verbreitet. Mutige Leser konnten sich ein Exemplar besorgen und es in der Nacht lesen.

Wjatscheslaw Nedoschiwin, Autor einer aktuellen Orwell-Biographie, erinnert sich (rus) an eine solche nächtliche Lesung mit Kollegen der Zeitung „Kosmolskaja Prawda“: „Die Tür wurde abgeschlossen. Ein Bleistift steckte im Telefon, von dem die Drehscheibe entfernt worden war. Das sollte angeblich das Abhören verhindern. Wir lasen mit gedämpften Stimmen vor.  Es brach uns fast das Herz, zu erfahren, dass unsere Zeitung nur ein winziges Rädchen in der Maschinerie des „Ministeriums der Wahrheit‘ war, dass das Telefon ohne Verbindung nicht dem Schutz vor dem KGB diente, sondern vor dem allgegenwärtigen ‚Big Brother‘, dass Stalin [in „Farm der Tiere“ Napoleon, der Schneeball, alias Trotzki, besiegt], Chruschtschow und der unsterbliche Breschnew lediglich machtgierige Schweine waren (an dieser Stelle setzte mein Herzschlag kurz aus und es zerriss mir fast die Brust).” 

Nedoschiwin war so beeindruckt, dass er seine Dissertation zum Thema Dystopie verfasste, die erste philologische Analyse von „1984“ in der UdSSR durchführte und an einer Übersetzung von „Farm der Tiere“ ins Russische mitarbeitete. 

2. Er hatte eine Hassliebe zur UdSSR und dem Sozialismus 

In Großbritannien herrschte große Sympathie für die russische Revolution. Orwell erinnert sich an einen Test in der Schule, bei dem zehn herausragende Zeitgenossen genannt werden sollten. Fast alle nannten auch Wladimir Lenin. 

Am Eton College, wo Orwell studierte, war es Mode, sich „wie ein Bolschewik" zu benehmen. Der zukünftige Schriftsteller betrachtete sich, wie die meisten belesenen englischen Teenager, als Sozialist. Später, zwischen 1943 und 1944, schrieb Orwell seine berühmte „Farm der Tiere“, eine Satire über die russische Revolution und das stalinistische Regime. 

Damals galt das selbst für britische Zensoren als zu radikal. Da der Krieg in vollem Gange war, schien es unangebracht, einen wichtigen Verbündeten zu kritisieren. Das Werk wurde erst nach 1945 veröffentlicht. Das KGB-Archiv enthält ein Dossier über Orwell, in dem er als „Autor des abscheulichsten Buches über die Sowjetunion“ beschrieben wird. Sein Name war in der UdSSR viele Jahre lang tabu. 

Orwell seinerseits war bestrebt, dafür zu sorgen, dass sich die Sympathien für die UdSSR in England nicht allzu sehr ausbreiteten. Es ist bekannt, dass er jahrelang die Namen von Personen in einem Buch notierte, von denen er vermutete, dass sie dem Kommunismus und dem stalinistischen Regime zugewandt waren. 

1949 wurde ihm von der Regierung eine Stelle in der Gegenpropaganda angeboten, die er ablehnte. Er übergab sein Notizbuch dem Auswärtigen Amt (später wurde es öffentlich gemacht). Darin standen Namen wie Charlie Chaplin, George Bernard Shaw und John Steinbeck. Zu jedem hatte Orwell Anmerkungen verfasst. 

Nach einigen Berichten hatte Orwell langjährige Verbindungen zu den britischen Geheimdiensten, die angeblich sogar dafür bezahlten, dass seine Romane im Ausland gedruckt wurden, und sie als antisowjetische Propaganda verwendeten. 

3. Ein russischer Emigrant unterstützte ihn finanziell 

Als junger Mann ging Orwell nach Paris, um Inspiration als Schriftsteller zu finden. Diese Jahre werden später in der autobiografischen Arbeit „Erledigt in Paris und London“ (1933) beschrieben. Wie viele Schriftsteller, die unbedingt beim „Fest fürs Leben“ dabei sein wollten, wie Ernest Hemingway Paris nannte, lebte auch Orwell dort in Armut. 

Ein russischer Emigrant, der vor den Bolschewiki nach Frankreich geflohen war, half ihm und verschaffte ihm eine Anstellung als Tellerwäscher in einem von vielen Russen frequentierten Restaurant.  

4. Er schrieb für das sowjetische Magazin „Internationale Literatur“ 

Trotz der harten Zensur gelang es der sowjetischen Zeitschrift „Internationale Literatur“ in den 1930er und 40er Jahren immer noch, Auszüge und Rezensionen westlicher Romane zu drucken. Chefredakteur Sergej Dinamow soll 1937 einen Brief an Orwell geschrieben haben, in dem er darum bat, ein Exemplar von dessen Buch „Der Weg nach Wigan Pier“ zu senden. 

Erst einige Monate später erhielt er eine Antwort. Orwell entschuldigte sich, dass er nicht früher geschrieben hatte - er war gerade erst aus Spanien zurückgekehrt. Er schrieb auch, dass er einige der im Buch geäußerten Ansichten überdacht habe. Er schickte die gewünschte Kopie mit und erklärte, dass er in Spanien auf Seiten der POUM, die jetzt als antisowjetisch galt, gekämpft habe: „Ich sage das, falls Ihre Zeitung damit ein Problem hat, einen Beitrag von einem POUM-Mitglied abzudrucken. Ich möchte offen zu Ihnen sein.“ 

Der Chefredakteur musste Orwells Brief dem NKWD übergeben. Orwell dankte er für dessen Aufrichtigkeit, teilte ihm aber mit, dass er sich gezwungen sehe, den Kontakt zu ihm abzubrechen.

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