Religiöse Graffiti: Warum sprüht ein Moskauer Künstler heilige Gesichter? (FOTOS)

Alexandr Tsypkov
Seine Werke erscheinen an traditionellen Orten wie Wände von Wohnblöcken und unter Brücken, aber sie zeigen entweder Jesus oder die Jungfrau Maria.

Ende Oktober erschien in Moskau ein riesiges Graffitigesicht von Jesu Christi, das von Alexander Zypkow auf einer Brücke gemalt wurde. Der 28-jährige Künstler musste sich auf eine Trittleiter stellen, um die fast fünf Meter hohe Arbeit zu vollenden. 

„Das erste derartige Graffiti habe ich vor ungefähr fünf Jahren mit ein paar Kommilitonen des Kunstinstituts gemacht“, sagte Alexander gegenüber Russia Beyond. Die Studenten absolvierten damals ein Praktikum in der Stadt Rostow Weliki. Sie beschlossen, verlassene Kirchen zu besuchen und darin zu malen. „In Russland gibt es viele vernachlässigte Architekturdenkmäler. Es gibt Tausende von ihnen, jeder hat sie vergessen und sie fallen buchstäblich in Stücke. Also sind wir dorthin gegangen, um Aufmerksamkeit zu erregen“, erklärt der Künstler seine Beweggründe.

Nach dem Hochschulabschluss schuf Alexander hauptsächlich Mosaike und Ikonen in und für Kirchen. Erst im Mai dieses Jahres gingen er und eine Gruppe von Graffiti-Künstlern auf die Straße. „Als erstes habe ich einen riesigen Erlöser gemalt. Es war echt cool. Mir wurde klar, dass ich nur auf diese Weise arbeiten möchte.“

Das Malen von Graffiti-Ikonen ist ein Versuch, Ikonen aus den Kirchen in den Alltag der Menschen zu bringen, um sie in einem neuen Kontext zu überdenken, sagt er. „Ikonenmalerei ist eine schöne Kunst. Aus ihr stammte die Renaissance. Obwohl Russland sehr viele talentierte Ikonenmaler hat, steckt die Kirchenkunst heutzutage in der Krise. Ich dachte, warum nicht eine Ikone auf einem neuen Material schaffen, ohne vom Kanon abzuweichen?“

Alexander sagt, dass Kirchenkunst auch einen eigenen Mainstream hat, aber im Allgemeinen nicht so viel Freiheit, wie man es wünsche.

„In gewöhnlichen Kirchen sehen wir heute vergoldete, sentimentale Bilder, die den Geschmack von Babuschkas in der Kirche treffen. Man sieht sie an, aber man glaubt nicht daran - die Vergoldung fühlt sich falsch an. Manchmal macht die Kirche den Künstlern Vorgaben, wie sie zu malen haben. Zum Beispiel soll man so malen, dass die Wangen der Jungfrau rosiger und ihre Hände so lebendig wirken, dass man sie berühren möchte. Das ist nicht gut. Ich wollte schon immer frei auf der Straße malen, von niemandem abhängen, Beispiele aus dem 15. und 16. Jahrhundert anschauen und versuchen, etwas Eigenes zu schaffen.

Alexanders heutige Tätigkeit ist Teil eines großen Kunstprojekts namens „Nach der Ikone“, an dem mehrere Dutzend Künstler beteiligt sind. Das Projekt befasst sich mit allem: von der Organisation von Ausstellungen in Museen und in der Christ-Erlöser-Kathedrale bis hin zur Straßenkunst. Ziel ist es, den Dialog über das Christentum in der zeitgenössischen Kunst wiederzubeleben. 

Für seine Graffiti betet Alexander immer um den Segen der orthodoxen Kirche und ist noch nie auf Widerstand gestoßen. „Nur bestimmte religiöse Fanatiker und regionale Ikonenmaler hatten Einwände. Einige fanden mich in sozialen Netzwerken und schrieben mir, dass ich den Namen Christi beschmiere und dass nun jeder etwas Schlechtes über das heilige Gesicht schreiben oder zeichnen könne. Aber das ist noch nie passiert. Andere Arbeiten tauchen um meine Graffiti herum auf, aber nie darüber.“

Alexander malt an den gleichen Orten wie traditionelle Graffitikünstler: in Hinterhöfen, auf Dächern und unter Brücken. Gleichzeitig versteht er, dass er wegen Vandalismus verhaftet werden könnte. „Ich würde wirklich gerne etwas Großes und Großartiges tun, das die gesamte Fassade eines mehrstöckigen Gebäudes abdeckt“, sagt er. Die Stadtverwaltung unterstützt solche Pläne jedoch nicht. Die einzige Arbeit, die bisher von den Behörden genehmigt wurde, war ein riesiger Psalm, den Alexander auf einem Straßenkunstfestival in Odinzowo, in der Region Moskau, malte. 

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