Wie ein Bürgermeister von Jekaterinburg die größte Sammlung von Altgläubigen-Ikonen zusammentrug

Der ehemalige Bürgermeister von Jekaterinburg Jewgeni Roisman

Der ehemalige Bürgermeister von Jekaterinburg Jewgeni Roisman

Ulf Mauder/Global Look Press
In Jekaterinburg befindet sich die größte Sammlung von Altgläubigen-Ikonen. Diese außergewöhnlichen Kunstwerke hat der ehemalige Bürgermeister von Jekaterinburg zusammengetragen, der sich schon als Jugendlicher für Ikonenmalerei interessiert hat.

Es gab eine Zeit im Russischen Reich, da war es lebensgefährlich, Ikonenmaler zu sein. Heutzutage sind diese Werke hunderttausende Dollar wert und unschätzbar, was ihre ideelle und historische Bedeutung betrifft. 

Diese Geschichte beginnt in den 1650er Jahren, als sich die russisch-orthodoxe Kirche in zwei Teile aufteilte: die Altgläubigen, die sich weiter an altrussische liturgische Regeln und Texte hielten und diejenigen, die den Patriarchen Nikon und seine liturgischen Reformen unterstützten. Da der russische Staat fest hinter Nikon und der offiziellen orthodoxen Kirche stand, wurden die Altgläubigen als Ketzer diffamiert, verfolgt und zwangsbekehrt. 

Ikonenmaler lebten besonders gefährlich. Denn Patriarch Nikon hatte bestimmt, dass bei der orthodoxen Ikonenmalerei der griechische Stil anzuwenden sei. Viele Ikonen im Stil der Altgläubigen wurden verboten. So durfte ab 1722 der heilige Christophorus nicht mehr mit einem Hundekopf dargestellt werden, sondern musste ein menschliches Gesicht haben. 

Die Altgläubigen hielten jedoch an ihren Traditionen fest. Ihre Ikonenmaler waren bereit, ihre Freiheit für ihre Kunst zu opfern. Sie wurden für ihre Arbeiten daher großzügig bezahlt. Für uns mag das heutzutage nicht nachvollziehbar sein, welche große Bedeutung die Ikonen für die Altgläubigen hatten.

Das Zentrum der religiösen Kunst der Altgläubigen war die Kleinstadt Newjansk im Ural. Jewgeni Roisman, ehemaliger Bürgermeister der Stadt Jekaterinburg, ebenfalls im Ural, hat im Laufe der Jahre die größte Sammlung von Altgläubigen-Ikonen zusammengetragen. Die frühesten Werke stammen aus dem Jahr 1734, die jüngsten aus dem Jahr 1919. „Ich habe sogar einen Ikonenmaler gefunden, der noch bis 1934 aktiv war“, erzählt Roisman. Newjansk war die letzte rein russische Ikonenmalschule, die nicht von europäischen Kunsttraditionen beeinflusst wurde. 

Was macht die Ikonen aus Newjansk so besonders? 

Der „Newjansker Stil“ in der Ikonenmalerei entstand zu Beginn des 18. Jahrhunderts und erlebte zu Beginn des 19. Jahrhunderts dank der industriellen Entwicklung im Ural einen neuen Aufschwung. Im  Auftrag von reichen Fabrikanten, Kaufleuten und Goldminenbesitzern, von denen viele heimlich weiter als Altgläubige praktizierten, schufen Newjansker Meister großartige religiöse Kunstwerke. 

Das Leben der Ikonenmaler war hart: Die Polizei führte regelmäßig Hausdurchsuchungen durch. Die Meister mussten immer darauf vorbereitet sein, ihre Werkzeuge und Malereien zu verstecken. Sie wurden nur auf Auftrag tätig.  

Newjansker-Ikonen zeichnen sich durch ihre ausgezeichnete Ausführung und die verwendeten Materialien aus. Es sind nur noch wenige erhalten, die meisten davon befinden sich in der Sammlung Roismans. 

Wie ein ehemaliger Bürgermeister zum Ikonensammler wurde 

Jewgeni Roisman erzählt, dass er sein Interesse an den Ikonen der Altgläubigen im Alter von 15 Jahren entdeckt habe. 1999 gründete Roisman das Museum für Newjansk-Ikonen in Jekaterinburg, so dass diese nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren. 

„Die Ikonen dienten den Altgläubigen, sich zu identifizieren. Sie bestimmten, wer Teil ihrer Gemeinschaft war“, so Roisman. Durch die Ikonen drückten die Altgläubigen auch ihre Überzeugungen aus. Eine Ikone von der „Enthauptung Johannes des Täufers“ steht sinnbildlich für die Enthauptung der Kirche Mitte des 17. Jahrhunderts, die die Altgläubigen in der orthodoxen Neuausrichtung sahen. 

Einige Ikonen haben außergewöhnliche Details vorzuweisen, die nur unter einem Mikroskop sichtbar sind.  „Zum Beispiel sind die Pferdehaare mit Gold nachgemalt, ebenso wie Verzierungen auf dem Gewand des Priesters”, erklärt Roisman. „Newjansk-Ikonen sind ein völlig eigenständiges Phänomen der russischen Kultur. Roismans-Sammlung umfasst ihre gesamte Geschichte“, sagt  Elena Laurentijewa, Restauratorin am Staatlichen Forschungsinstitut für Restaurierung in Moskau. „Er hat Dutzende der frühesten Newjansk-Ikonen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die in staatlichen Museen und anderen Sammlungen kaum zu finden sind. Soweit wir wissen, befinden sich nur zwei frühe Newjansk-Ikonen in den staatlichen russischen Museen.“ 

Laurentijewa hat sich ein halbes Jahr lang intensiv mit Roismans Sammlung befasst. Newjansk-Ikonen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden fast alle mit den gleichen Pigmenten gemalt. Für die Gesichter nutzten die Newjansker-Meister ähnliche Techniken wie die Moskauer Ikonenmaler, etwa das abwechselnde Auftragen von Schichten aus Belila (Weiß) und Ochra (Ocker).

„Die chemische Analyse der Pigmente zeigt, dass Ikonenmaler des frühen 18. Jahrhunderts im Ural synthetischen Azurit, Indigo, Zinnober, rotes Blei, und rote Farbe aus organischem Material sowie Ocker unterschiedlicher Herkunft verwendeten“, erläutert die Restauratorin. Die Heiligenscheine bestehen sogar aus echtem Silber und Blattgold.  

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