Kein Parfüm war in der Sowjetzeit beliebter als „Rotes Moskau“. Im kommunistischen Staat dekorierten die Menschen ihre Wohnungen gleich, aßen die gleichen Speisen und zogen sich gleich an. Da verwundert es nicht, dass auch die sowjetischen Frauen alle gleich dufteten.
„Es erfüllte die Luft bei jedem festlichen Anlass in der Sowjetunion - am Moskauer Konservatorium, im Bolschoi-Theater, bei Abschlussfeierlichkeiten und Hochzeiten", schreibt der deutsche Historiker Karl Schlögel in seinem Buch „Der Duft der Imperien, Chanel No. 5 und Rotes Moskau“ (Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; 3. Edition, 2020).
Später begegnete Schlögel diesem Duft auch in der DDR. Er erfuhr, dass es das Parfüm „Rotes Moskau“ war. Wenn sich sowjetische Frauen ein Parfüm leisten konnten, war es dieses.
Dmitri Romanow und Coco Chanel.
Public domain1920 hatte Coco Chanel eine Liebesbeziehung mit einem russischen Prinzen aus der Familie Romanow, Dmitri Pawlowitsch, der die bolschewistische Revolution überlebt hatte und emigriert war. Er war ein Ästhet und Hedonist (und war zugleich in die Ermordung Rasputins verwickelt). Er stellte Coco den in Russland geborenen französischen Parfümeur Ernest Beaux vor.
Beaux konnte auf eine großartige Karriere in Russland zurückblicken und hatte für den kaiserlichen Hof berühmte Düfte wie „Bouquet de Napoleon“ im Jahr 1912, der an den 100. Jahrestag des Sieges Russlands über Napoleon erinnerte, kreiert oder „Bouquet de Catherine“, das 1913 herauskam und dem 300. Jahrestag der Romanow-Dynastie gewidmet war.
Ernest Beaux.
Getty ImagesSpäter diente Beaux in der russischen Armee und kämpfte im Ersten Weltkrieg an der Nordfront. Nach der bolschewistischen Revolution verließ er das Land. Im französischen Exil kam es zu dem schicksalhaften Treffen mit Coco Chanel. Es war Beaux, der das legendäre „Chanel No.5“ komponierte.
In Russland arbeitete Beaux für den Parfümeur Alphonse Rallet & Co, den früheren russischen kaiserlichen Hoflieferanten. Zur gleichen Zeit arbeitete dort ein anderer talentierter Parfümeur, Auguste Michel. Der verließ 1913 das Unternehmen um für Brocard, einen Konkurrenten Rallets und ebenfalls Hoflieferant, zu arbeiten.
August Michel.
Public DomainMichel kreierte für Kaiserin Maria Feodorowna ein Parfüm namens „Bouquet de l'Impératrice“. Nach der bolschewistischen Revolution verließ Brocards Familie Russland. Er selbst blieb im Land.
Als die sowjetischen Behörden alle privaten und ausländischen Firmen verstaatlichten, wurde aus dem Unternehmen Brocard die Parfüm- und Seifenfabrik Nr. 5. 1922 wurde sie in Nowaja Sarja umbenannt. Michel wurde der leitende Parfümeur. 1924 kreierte er das berühmte Parfüm „Rotes Moskau“.
Die Geschichte von „Rotes Moskau“ ist nicht vollständig bekannt. Historiker sind der Ansicht, dass „Rotes Moskau“ auf Michels „Bouquet de l'Impératrice“ basiert. Chanel Nr. 5 könnte Beaux‘ „Bouquet de Catherine“ zum Vorbild haben.
Russische Parfümliebhaber sehen eine Verbindung zwischen den beiden Franzosen, seit sie bei Rallet zusammengearbeitet haben. Beide haben das Parfümeur-Handwerk gemeinsam gelernt und haben nach denselben Prinzipien gearbeitet. Manche finden, dass „Rotes Moskau“ und „Chanel No. 5“ sich sehr ähnlich sind.
Aber trotz der gemeinsamen beruflichen Vergangenheit der beiden Duftspezialisten gibt es zwischen den Parfüms doch charakteristische Unterschiede. Die Geruchsforscherin Daria Donina untersuchte die Zusammensetzung beider Kompositionen und fand in beiden als Inhaltstoffe Bergamotte, Ylang-Ylang, Jasmin, Rose und Vanille.
Marilyn Monroe posiert mit einer Flasche Chanel Nr. 5.
Michael Ochs Archives/Getty Images„Das heißt aber nicht, dass es sich um Klone handelt. ‚Rotes Moskau‘ besteht aus etwa 60 Komponenten, ‚Chanel No. 5‘ aus bis zu 80. Die jeweilige Konzentration der einzelnen Bestandteile ist unbekannt. Ganz zu schweigen davon, dass man nicht weiß, woraus der Duft „Rose“ komponiert wurde. Er kann entweder aus sehr teuren, natürlichen Essenzen oder aus einer billigen Mischung von Phenylethylalkohol, Citronellol und Geraniol bestehen.“
„Chanel No. 5“ ist ein blumiges Aldehyd-Parfüm, während „Rotes Moskau“ ein würziger Chypre-Duft ist.
Links: Rotes Moskauer Parfüm-Set. Rechts: Eine Frau im Parfümeriegeschäft in Moskau, 1958.
Alexander Krasnow/TASS; Vasily Malyshev/Sputnik„Chanel No. 5“ und „Rotes Moskau“ gehören verschiedenen Welten an, aber beide stellen eine Abkehr von der Belle Époque und eine Revolution in der Welt der Düfte dar - obwohl sie beide ihre Schöpfung dem Jahrestag einer Dynastie verdankten, die zum Fall bestimmt war“, schreibt Schlögel.
„Das Flakon von ‚Chanel No. 5‘ hat einen Ehrenplatz im Museum of Modern Art in New York, während das Flakon von ‚Rotes Moskau‘ erst in der späten Sowjetzeit zum Objekt der Begierde für Vintage-Sammler wurde“, fügt Schlögel hinzu.
Flaschen mit Chanel Nr. 5 Parfüm, ausgestellt in der Ausstellung des Costume Institute des Metropolitan Museum of Art in New York.
APCoco Chanels Parfüm wurde weltweit berühmt und genutzt. Der Duft von „Rotes Moskau“ verbreitete sich nicht über die Grenzen der Sowjetunion und der Ostblock-Staaten hinaus. Während „Chanel No. 5“ noch immer ein Parfum-Klassiker ist, hat „Rotes Moskau“ in der späten Sowjetzeit an Popularität verloren. Es wird noch immer produziert. Doch im modernen Russland wurde es von anderen Kreationen verdrängt.
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