Zwischen Russlands bedeutendstem Museum, der Eremitage, und Till Lindemann, Sänger von Deutschlands bekanntester Metal-Band Rammstein, läuft aktuell eine Auseinandersetzung, die vergleichbar ist mit einem diplomatischen Zwischenfall. Vor einer Woche kündigte der Frontmann auf seinem Instagram-Account die Veröffentlichung von fünf nicht-fungiblen Token (NFTs), digitalen Kunstwerken, an, die er NFTill nannte. Die fünf Token, die einen Auftritt des Musikers in der Eremitage zeigen, sind auf dem Marktplatz „twelve x twelve“ erhältlich und kosten zwischen 199 und 100.000 Euro.
Es stellte sich heraus, dass die Eremitage keine Zustimmung zur Verwendung von Bildern des Museums gegeben hatte. Der Pressedienst der Eremitage ging noch weiter und beschuldigte Lindemann, „sein Gastrecht“ missbraucht und Bilder in den Clip aufgenommen zu haben, die nicht zuvor vereinbart gewesen waren“.
„Das ist unhöflich und ignorant“, beschrieb Eremitage-Direktor Michail Piotrowski das Verhalten von Lindemann und seinem Team in einem Interview mit „Forbes Life“ und fügte hinzu, dass es nicht nur um geistige Rechte, sondern um „intellektuelle Aggression“ gehe.
Eremitage-Direktor Michail Piotrowski
Igor Russak/SputnikIm Frühjahr 2021 gab Piotrowski entgegen der üblichen Politik des Museums, keine Drehs von Musikvideos vor Ort zu gestatten, grünes Licht für Lindemann. Das Projekt, das im Rahmen des Jahres der russischen Kultur in Deutschland konzipiert wurde, sah vor, dass Lindemann in den erhabenen Hallen des Museums das Lied „Ljubimy Gorod“ (zu Deutsch „geliebte Stadt“) aus dem Zweiten Weltkrieg singt.
Anlässlich der Feierlichkeiten zum Tag des Sieges am 9. Mai 2021 hatte das Museum Interesse an der Idee signalisiert. Das Video wurde ein großer Erfolg auf Lindemanns YouTube-Kanal und wurde über zwei Millionen Mal aufgerufen.
Der Vertrag zwischen dem Sänger und dem Museum sah die Übertragung der nicht-exklusiven Rechte an den Bildern der Eremitage vor - und zwar nur für die Erstellung eines Videos. Ihre Verwendung für die Produktion von kommerziellen NFTs war nicht abgedeckt.
Das Museum mahnte Lindemann wegen des Verstoßes gegen die Geschäftsbedingungen ab und bot ihm an, einen Zusatzvertrag zu unterzeichnen, der die Verwendung der Bilder in NFT-Token regeln würde. Doch der Sänger und seine Vertreter haben das Angebot bisher ignoriert.
„Wir haben auch ein offizielles Schreiben an die Plattform geschickt, die die NFTs hostet. Abgesehen von der Bestätigung des Empfangs unserer Anfrage, hat sie noch nicht geantwortet", erklärte Ekaterina Sirakanjan, Leiterin der Abteilung für Geschäftsentwicklung des Museums, gegenüber „Russia Beyond“. Auf Nachfrage von „Forbes Life“ sagte Anar Lindemann, Till Lindemanns Bruder und Agent, auf Russisch, dass er es ablehne, sich zu äußern oder Fragen zu beantworten.
Sirakanjan fügte hinzu, dass das Museum keine Pläne habe, eine NFT mit Till Lindemann herauszugeben, sondern beabsichtige, selbst in den NFT-Markt einzusteigen. „Wir geben fünf Token aus, die über den Binance-Dienst verkauft werden sollen“, kündigte sie an.
Fliederbusch vonr Vincent Willem van Gogh
Hermitage MuseumDie limitierten Eremitage-NFTs sollen Ende August/Anfang September 2021 erscheinen und werden einzigartige digitale Kopien von Werken aus der Museumssammlung darstellen, darunter die „Madonna Litta“ von Leonardo da Vinci, „Judith“ von Giorgione, „Fliederbusch“ von Vincent Van Gogh, „Komposition VI“ von Wassily Kandinsky und „Gartenecke in Montgeron“ von Claude Monet.
Gartenecke in Montgeron von Claude Monet
Hermitage MuseumFür jedes Gemälde wurden zwei NFTs erstellt, von denen eines im Museum aufbewahrt und das andere auf dem Binance-Marktplatz angeboten wird. Die Token sind von Piotrowski selbst digital signiert, um ihre Echtheit zu gewährleisten.
Laut Marina Tsygulewa, Leiterin der Rechtsabteilung des Museums, hat die Eremitage sechs Monate gebraucht, um ein legitimes System für die Verwendung von Bildern in Token im internationalen Raum einzurichten. „Dieser Akt der Fälschung durch Lindemann hat gegen unsere Lizenzpolitik verstoßen und die Rechte des Museums grob verletzt“, erklärte sie und fügte hinzu, dass sein Vorgehen auch aus ethischen Gründen inakzeptabel sei.
Besucher der Eremitage vor Raffaels Meisterwerks „Madonna und Kind mit Johannes dem Täufer“
Alexander Galperin/SputnikDie Eremitage hat keine Beschränkungen für die nicht-kommerzielle Nutzung von Bildern. Privatpersonen können so viele Fotos machen, wie sie möchten, und die Bilder sogar für den persönlichen Gebrauch weitergeben. Groß angelegte Aufnahmen mit Kameras und inszenierter Beleuchtung sind jedoch nur für pädagogische Zwecke und für die Herstellung von Dokumentar- und Geschichtsfilmen erlaubt. „Nur zwei Spielfilme durften bisher in den Mauern der Eremitage gedreht werden: Alexander Sokurows Hommage an das Museum, „Russian Ark“, und Ralph Fiennes' Biopic über den Balletttänzer Rudolf Nurejew, „Nurejew-The White Crow“, und selbst da wurden keine Schauspielszenen im Museum gedreht, sondern nur das Lieblingsgemälde des Tänzers, ‚Die Rückkehr des verlorenen Sohnes‘ von Rembrandt, aufgenommen“, erklärte Sirakanjan.
Eine Szene aus dem Sokurows „Russian Ark“
Alexander Sokurov/AST Studio, 2002Das Museum ist wiederholt mit Verletzungen seiner Rechte an geistigem Eigentum im kommerziellen Bereich konfrontiert worden, so dass eine ganze Gruppe der Rechtsabteilung mit der Überwachung der Einhaltung dieser Rechte befasst ist. In der Regel wird das Problem einfach durch die Unterzeichnung eines Abkommens gelöst.
„Das Museum genießt in Russland Respekt, und die meisten Verletzungen [seiner Rechte] sind nicht auf bösen Willen zurückzuführen, sondern auf schlichte Unkenntnis des Gesetzes. Viele Partner akzeptieren, nachdem sie sich über die Lizenzpolitik und die Gesetze der Russischen Föderation informiert haben, unsere Bedingungen. Wir schließen einfach einen Vertrag ab, der rückwirkend bis zum Abschlussdatum gilt", sagt Tsygulewa.
Frau in Blau von Thomas Gainsborough
Hermitage MuseumEs gab jedoch auch Fälle von Verstößen, die nicht außergerichtlich beigelegt werden konnten. So verwendete die St. Petersburger Modedesignerin Iya Yots ein Bild von Thomas Gainsboroughs „Frau in Blau“ aus der Sammlung der Eremitage ohne Erlaubnis auf ihrer Website und der Tür ihres Bekleidungsgeschäfts. Das Museum bot die Rechte an dem Bild für fünf Jahre zu 150.000 Rubeln (etwa 1.740 Euro) an. Yots stimmte zunächst zu, änderte dann aber ihre Meinung. Daraufhin entschied das russische Gericht auf das Recht auf geistiges Eigentum zu Gunsten des Museums und verbot die Verwendung des Bildes.
Der Fall Lindemann, so Tsygulewa, ist im Grunde genommen nicht anders.
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