Die russischen Schriftsteller, deren Bücher Leo Tolstoi am meisten schätzte

Kira Lisitskaya (Photo: Legion Media, Corbis, Heritage Images/Getty Images)
Tolstoi hat nicht nur viel geschrieben, sondern auch unglaublich viel gelesen, und zwar in mehreren Sprachen. Was schätze er am meisten?

Die Bibliothek von Leo Tolstoi enthält eine unvorstellbare Anzahl von Büchern aller Art. Viele hatte er im Original gelesen – der Schriftsteller kannte etwa 15 Sprachen. Von den alten orientalischen Denkern bis zur neuesten russischen Literatur versuchte Tolstoi, alles zu lesen. Zu vielen Büchern hinterließ er Rezensionen, schrieb seine Eindrücke in Briefen an Freunde und Verleger. Und welche russischen Schriftsteller hat er geschätzt?

1 Alexander Puschkin

Den Dichter (und auch den Dramatiker) Puschkin mochte Tolstoi überhaupt nicht. Er war unzufrieden, dass man Puschkin so sehr verherrlichte, ihm Denkmäler setzte – in der Tat besteht „sein ganzer Verdienst nur darin, dass er Gedichte über die Liebe schrieb, oft sehr unanständige".

Und überhaupt war dem hochmoralischen Tolstoi war der Dichter unsympathisch – „ein Mann mit mehr als lockeren Manieren", außerdem starb er in einem Duell, „d.h. beim Versuch, einen anderen Menschen zu töten"!

Tolstoi schätzte jedoch Puschkins Prosa und liebte die Sammlung der Erzählungen von Belkin: „jeder Schriftsteller sollte sie studieren. Das habe ich kürzlich getan, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, welch wohltuenden Einfluss diese Lektüre auf mich hatte.“ Darüber hinaus liebte Tolstoi die Pik-Dame.

Auf der Liste der wichtigen Bücher empfahl Tolstoi auch Eugen Onegin, der zwar in Versen geschrieben ist, aber dennoch ein großer Roman ist.

2 Michail Lermontow

Auch er wurde von Tolstoi ausschließlich für seine Prosa gelobt. Ein Held unserer Zeit hatte er mehrmals gelesen und in seiner Liste wichtiger Bücher empfohlen.

Er schätzte auch, dass Lermontow ein Berufssoldat und kein Schriftsteller war (und wie Tolstoi selbst im Kaukasus gediente hatte). In Lermontow sah er „die höchsten moralischen Ansprüche unter dem Mantel des Byronismus, der sie verbirgt“. Fragen der Moral beschäftigten Tolstoi selbst zutiefst.

3 Nikolai Gogol

„Gogol ist ein ungeheures Talent, ein gutes Herz und ein kleiner, unerschrockener, schüchterner Geist“, schrieb Tolstoi über den Autor der Toten Seelen. Tolstoi ging jedoch, wie üblich, kritisch mit allen Werken um und mochte viele davon nicht.

So bezeichnete er zum Beispiel die pathetische Schlussszene des Stücks Der Revisor als „ekelhaften Unsinn“. Er mochte auch den unvollendeten zweiten Band der Toten Seelen nicht, den Gogol eigenhändig verbrannt hatte, weil er ihn für misslungen hielt.

Tolstoi warf dem Schriftsteller vor, echten Glauben durch Aberglauben zu ersetzen. Außerdem war Gogols Hauptmittel der Humor – und Tolstoi war unglücklich darüber, dass Gogol nicht nur den Adel und die Beamten, sondern auch die Bauern verspottete, die es seiner Meinung nach nicht verdient hatten.

Was Tolstoi an Gogol wirklich schätzte, war die Beschreibung des „Volkes“. Er las die Sammlung mit Erzählungen über das Dorfleben Abende auf einem Weiler bei Dikanka den Bauernkindern vor, für die er auf seinem Landgut Jasnaja Poljana eine Schule eingerichtet hatte. 

4 Fjodor Dostojewski

Sie hatten unterschiedliche Biografien, künstlerische Mittel und Haltungen zum Glauben und zum Menschen. Aber sie waren beide große Schriftsteller, und Tolstoi wusste das zu schätzen. Als Dostojewski starb, wurde Tolstoi plötzlich klar, dass „er der engste, liebste, notwendigste Mensch war, den ich je getroffen habe“, und dass er ihn über viele Dinge hätte befragen wollen... Nur waren sie sich zu Lebzeiten nie begegnet.

In seiner Abhandlung Was ist Kunst bezeichnete Tolstoi die Aufzeichnungen aus einem Totenhaus als Beispiel der „höchsten, aus der Gottes- und Nächstenliebe entspringenden, religiösen Kunst“. Tolstoi lobte auch die Romane Erniedrigte und Beleidigte sowie Schuld und Sühne und Der Idiot. Aber Die Brüder Karamasow konnte er beim ersten Mal nicht bis zum Ende lesen. Es schien ihm, dass alle Figuren dieselbe Sprache sprechen – die Sprache des Autors. Diese Bemerkung ist jedoch gerechtfertigt, denn Tolstoi selbst hatte es in Krieg und Frieden geschafft, mit Dutzenden von verschiedenen Stimmen zu sprechen – um einen treffenden Eindruck sowohl von einem naiven Mädchen als auch von einem mürrischen alten Mann zu vermitteln.

Natürlich hatte Tolstoi noch andere Kritikpunkte an Dostojewski – seiner Meinung nach vermischte dieser zu viele Dinge miteinander – Politik, Religion,  Mystik. Er hatte zu viele unausgegorene Gedanken und schrieb zu viele Romane, die einfach nur „technisch schwach“ waren. Für Tolstoi war es offensichtlich, dass Dostojewski sie schnell verfasste, weil er das Geld benötigte.

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