Als die Gemälde 1988 erstmals öffentlich in Moskau gezeigt wurden, war dies eine kleine Sensation. Die Schlangen vor der Ausstellung waren teils ellenlang.
Der zuvor unbekannte Maler Pjotr Below wurde so zum Symbol dafür, wie Glasnost und Perestroika auch die Kunstszene ergriffen. Zuvor war es schließlich so gut wie unmöglich, offen über die Verbrechen der Stalin-Ära zu reden oder gar darüber zu malen. Bücher über das Gulag-System kamen nur selten durch die Zensur.
Nachdem die Ausstellung in Moskau beendet war, wurden Belows Bilder auch in anderen sowjetischen Städten ausgestellt. 2020 spendete die Familie des Künstlers seine Gemälde an das Moskauer Museum für die Geschichte der Gulags, welches sie nun erneut ausstellt.
„Die auch als „Anti-Stalin-Reihe“ bekannte Gemäldereihe beeindruckte die Öffentlichkeit mit ihrem Mut und ihrer Tiefe. Wir wollen, dass die Besucher nachempfinden können, wie sehr die Erstausstellung Ende der 80er-Jahre das Publikum bewegte“ sagt Roman Romanow, Direktor des Gulag-Museums.
„Belows Werke drückten eine Mischung aus Frust über das System und Furcht vor dem System aus, mit der sich auch viele seiner Zeitgenossen noch identifizieren konnten“ meint Romanow.
Das untere Bild zeigt eine Schachtel Zigaretten der Marke „Belomorkanal“ (umgangssprachlich „Belomor“). Ihren Namen verdankte die Marke dem Kanal zwischen Weißem Meer und Ostsee, der von Gulag-Insassen erbaut wurde. Tausende verloren dabei ihr Leben. Die Metapher ist also klar: Viele gingen in den Belomorkanal.
Auch das Schicksal des Schriftstellers Boris Pasternak verarbeitete Below künstlerisch. Als sein berühmtester Roman „Doktor Schiwago“ in der Sowjetunion verboten wurde, schaffte Pasternak es heimlich in den Westen, wo er sogar mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Die sowjetischen Behörden starteten daraufhin eine Mobbing-Kampagne gegen Pasternak, die zu seinem frühen Tod beitrug. Die Zeitung auf dem Boden zeigt Nikita Chruchtschow, der die Kampagne plante.
Dieses Gemälde bezieht sich auf den Theaterdirektor Wsewolod Meyerhold. Below zeigt den geschundenen Körper des Häftlings. Das Gesicht ist dagegen von Meyerholds Häftlingsausweis verdeckt.
„In Belows Gemälden ist Stalin immer eine Allegorie für den Tod“, sagt Kiril Swetljakow, der Kurator der Ausstellung. „Auf einem der Bilder schaut Stalin in eine Sanduhr. Statt Sandkörnern fließen jedoch menschliche Schädel durch die Uhr. In einem anderen Gemälde erinnern Menschen an Asche, die aus seiner Pfeife fällt oder sind Blumen, die unter den Stiefeln des Diktators zermalmt werden.“
„Das zerrissene Foto auf dem unteren Bild zeigt meinen Vater und eine Seite des Manuskripts für ‚Der Meister und Margarita‘“, sagt Belows Tochter Jekaterina. „Das umgedrehte Foto zeigt sicherlich meine Mutter. Dahinter kommt ein großes, verschneites Feld. Mein Vater sagte immer, dass man viele versteckte Manuskripte finden würde, wenn man nur genug graben würde.“
Die Ausstellung „Anstehen für die Wahrheit“ im Moskauer Gulag-Museum ist noch bis zum 18. Mai 2022 für die Öffentlichkeit zugänglich.
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