Vladimir Nabokov (1899-1977) sagte, er träume davon, seine Leser zu Zuschauern zu machen. Dieser Traum hat sich zu seinen Lebzeiten erfüllt. Der Schriftsteller ließ seine Leser in den semantischen Abgründen seiner Texte versinken. Die Lektüre von Nabokov mag anfangs wie eine sprachliche Herausforderung erscheinen. Aber nach ein paar Seiten gewöhnt man sich daran, und die Widersprüche verschwinden wie flatternde Schmetterlinge. „Literatur und Schmetterlinge sind die beiden süßesten Leidenschaften, die der Mensch kennt", sagte Nabokov, der eine Sammlung exotischer und seltener Schmetterlinge mit über 4.300 Exemplaren besaß. „Ich entdeckte in der Natur die nicht zweckmäßigen Freuden, die ich in der Kunst suchte. Beides war eine Form von Magie, beides war ein Spiel aus komplizierter Verzauberung und Täuschung."
In „Maschenka" geht es um die erste Romanze, bittersüße Nostalgie und Bedauern. Nabokovs Debütroman, der ursprünglich den Titel „Das Glück" trug, enthält viele autobiografische Details. Der Roman spielt in einem russischen Internat in Berlin. Der Protagonist, der Emigrant Lew Ganin, wird überrascht, als er herausfindet, dass die Frau seines Nachbarn seine frühere erste Liebe Maschenka ist. Ganin schmiedet einen teuflischen Plan, um sie nach vielen Jahren an einem Bahnhof zu treffen. Maschenka ist ein Stück Vergangenheit, ein traumhaftes Symbol einer vergangenen Zeit und eines vergangenen Glücks, mit anderen Worten: „seine ganze Jugend, sein Russland". Im letzten Moment beschließt Ganin, dass man die Vergangenheit nicht wiederbeleben kann und verlässt sowohl Berlin als auch Maschenka für immer. „Das tiefe Glück der ersten Liebe ist einzigartig", wird Nabokov später in „Gelächter im Dunkeln" feststellen.
Nabokov begann 1924 mit dem Schreiben von „Maschenka". Bis zum Ende des Jahres waren zwei Kapitel geschrieben, doch der Schriftsteller vernichtete das Manuskript und behielt nur ein Fragment, das im Januar 1925 unter dem Titel „Ein Brief an Russland" veröffentlicht wurde. Nabokov kehrte im Frühjahr 1925, nachdem er Vera Slonim geheiratet hatte, der er den Roman schließlich widmete, zu der Idee zurück, den Roman zu schreiben. Er wurde 1926 in Berlin unter dem Pseudonym Vladimir Sirin veröffentlicht.
Der Roman handelt von einem russischen Schachspieler, der so sehr vom Schachspiel besessen ist, dass er allmählich den Bezug zur Realität verliert. Mit „Die Lushin-Verteidigung" schlägt Nabokov zwei Fliegen mit einer Klappe. Er beschreibt auf brillante Weise die phantasmagorische Metamorphose des Protagonisten, dessen vollständiger Name erst im letzten Satz des Romans genannt wird, und formt die Weltsicht des Lesers so um, dass wir beginnen, den Roman ganz durch das Prisma einer Schachpartie zu sehen. Das ist auf jeden Fall schachmatt!
Dies ist Nabokovs letzter Roman, den er in Deutschland schrieb, bevor er 1937 nach Frankreich zog. Obwohl sich die düstere Realität des nationalsozialistischen Deutschlands in der Konzeption seines Hauptwerks widerspiegelt, wehrte sich Nabokov dagegen, seinen Roman als politisches Pamphlet zu bezeichnen. Der Schriftsteller betrachtete „Einladung zur Enthauptung" als sein bestes Werk und als sein „einziges Gedicht in Prosa". Wie auch immer man es nennen mag, eines ist sicher: Es ist ein zeitloses Meisterwerk über die Tyrannei der Trivialität (oder besser gesagt des „Poshlost", das, was Nabokov wirklich verachtete) und darüber, wie man sie mit Hilfe der „uralten, angeborenen Kunst des Schreibens" bekämpft.
Nabokovs letzte in russischer Sprache verfasste Meisterleistung gilt weithin als der Höhepunkt seines Schaffens. Die Arbeit an „Die Gabe" dauerte vier Jahre. Philosophisch gesehen ist es eine Metafiktion. Er beschreibt das Innenleben der Textproduktion. Der Roman hat eine Mille-Feuille-Struktur und ist reich an Denkanstößen. „Die Gabe" ist auch eine Geschichte über Leben und Tod und den Platz eines Künstlers in der Geschichte. Nachdem er den Roman gelesen hatte, sagte der Übersetzer Georgy Hessen zu Nabokov: „Ich habe gerade Ihre ‚Gabe‘ gelesen und möchte Ihnen sagen: Sie sind ein Genie! Wenn Ihr Schach oder Tennis oder Fußball auch nur im Entferntesten so wäre wie Ihr Schreiben, Sie alter Halunke, könnten Sie Aljechin [dem vierten Weltmeister] einen Bauern und Budge 15 Punkte zugestehen und Hiden [Rudolf ‚Rudi' Hiden, einer der besten Torhüter des 20. Jahrhunderts] zum Reservetorwart in jeder Profimannschaft machen“. Angesichts der Tatsache, dass Nabokov ein brillanter Schachspieler und ein ziemlich guter Torwart war, brachte die ironische Kritik seines Freundes alles auf den Punkt.
Nabokov schrieb seinen berühmtesten Roman auf Englisch und übersetzte ihn zwölf Jahre später ins Russische. Die Geschichte eines erwachsenen Mannes (Humbert Humbert), der seinen moralischen Kompass verliert und die Liebe seines Lebens in Form eines 12-jährigen Mädchens namens Lolita findet, brach Konventionen und Tabus. „Lolita" ist kein Roman über die Sünde, sondern eine Saga der Besessenheit, der Verliebtheit und der Selbstgeißelung. Die perverse Beziehung zwischen Lolita (die Nabokov „mein armes Mädchen" nannte) und dem pädophilen Bösewicht Humbert Humbert, die wie in einem klassischen Roadmovie von einem Motel zum anderen ziehen, wird oft als eine größere Metapher für den Zusammenprall der alten und der neuen Welt, des heruntergekommenen alten Europas und des jungen und provokativen Amerikas gesehen.
Als Nabokov gefragt wurde, welches seiner Bücher am schwierigsten zu schreiben war, antwortete er sofort: „Oh, ‚Lolita‘, natürlich."
„Mir fehlten die nötigen Informationen - das war die anfängliche Schwierigkeit. Ich kannte keine amerikanischen 12-jährigen Mädchen und ich kannte Amerika nicht; ich musste Amerika und Lolita erfinden. Ich hatte etwa 40 Jahre gebraucht, um Russland und Westeuropa zu erfinden, und nun stand ich vor einer ähnlichen Aufgabe, mit weniger Zeit, die mir zur Verfügung stand", sagte Nabokov in einem Interview mit dem „Playboy Magazin“.
Nabokov arbeitete etwa acht Jahre lang an „Lolita", mit häufigen Unterbrechungen. Der Schriftsteller hatte Anfälle von Verzweiflung und wollte angeblich sogar irgendwann den Entwurf des Romans verbrennen. Zum Glück kam ihm seine kluge Frau Vera gerade noch rechtzeitig zu Hilfe...
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!