Die Blutkirche von St. Petersbug: Ein Symbol für die Schöpfung und das Überleben

Kultur
WILLIAM BRUMFIELD
Der US-amerikanische Architekturhistoriker und Fotograf William Brumfield beschreibt die Geschichte einer der berühmtesten Kathedralen St. Petersburgs - und ganz Russlands - im Detail.

Neorussischer Stil 

Der neorussische Stil wurde im späten 19. Jahrhundert häufig für Profanbauten verwendet, doch die Ideologie und Ästhetik dieses Stils fand ihren stärksten Ausdruck im Entwurf für die  Erlöser-Kirche auf dem Blut (1883-1907), die auch als Auferstehungskirche oder Blutkirche bekannt ist. Sie wurde an dem Ort errichtet, an dem Alexander II. im März 1881 durch ein Bombenattentat der terroristischen Bewegung „Volkswille“ den Tod fand. 

Zunächst wurde dort eine hölzerne Kapelle errichtet, was an die mittelalterliche russische Tradition anknüpfte, Kapellen an den Orten von Hinrichtungen („auf dem Blut) zu bauen. 

Sein Sohn Alexander III. bestand jedoch auf einer großen Kirche als Gedenkstätte für seinen Vater. Alle eingereichten Entwürfe lehnte der Thronfolger ab, da sie ihm nicht russisch genug waren. Bei einer zweiten Ausschreibung gewann Alfred Parland mit einem Entwurf, der gewisse Ähnlichkeiten mit der Basilius-Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert auf dem Roten Platz hatte. 

Entwurf für eine historische Kathedrale

Im Juli 1883 genehmigte Zar Alexander III. den Entwurf von Parland unter Vorbehalt. Es gab noch einige Änderungen. Die feierliche Grundsteinlegung fand im Oktober 1883 statt. Die Arbeiten gingen in den folgenden beiden Jahrzehnten nur schleppend voran. Das Gelände war schwierig und der Entwurf kompliziert, die endgültige Fassung des Entwurfs wurde erst 1887 genehmigt.

Es war beabsichtigt, in die Kathedrale genau das Pflaster einzubauen, auf dem der Zar neben dem Katharinen-Kanal (heute Gribojedow-Kanal) tödlich verwundet wurde. Das Fundament musste bis in den Kanal reichen

Außerdem sollte das westliche Ende des Bauwerks auch einen großen Glockenturm über dem Westeingang bekommen, was typisch für die russische Kirchenarchitektur des 17. Jahrhunderts war. Aufgrund der beengten Platzverhältnisse am Kanal auf der Westseite befinden sich die Haupteingänge an der Nord- und Südfassade.

Um die Stabilität des massiven Bauwerks zu gewährleisten, war ein erheblicher technischer Aufwand erforderlich. Anstelle der üblichen Pfähle entwarf Parland einen dicken Betonsockel für das gesamte Bauwerk. Der Sockel wurde von drei Reihen von Pfählen umschlossen, um ihn vor dem Eindringen von Wasser zu schützen. Das Fundament oberhalb des Sockels wurde aus Putilow-Kalksteinblöcken errichtet, die die Ziegelwände stützten. 

Die Wände selbst wurden mit glasierten Ziegeln der renommierten deutschen Siegersdorfer Werke verkleidet. Im Erdgeschoss dient der helle Ziegelstein als Hintergrund für Granittafeln mit eingravierten goldenen Buchstaben, die von bedeutenden Ereignissen in der Regierungszeit von Alexander II. künden. 

Die Fassaden der Kathedrale schmücken Paneele mit dekorativen Keramikfliesen. Der obere Teil der komplexen Struktur ist verschwenderisch mit Mosaiken verziert ist, von denen einige monumentale Ausmaße haben. 

Ikonische Merkmale der Kathedrale

Der Höhepunkt der Kathedrale sind ihre Kuppeln, darunter die vier Zwiebeltürme am Fuß des zentralen Turms. Die nach dem Vorbild der Basilius-Kathedrale gestalteten Kuppeln bieten eine atemberaubende Darstellung von dekorativen Elementen, die durch polychrome Emaillearbeiten hervorgehoben werden. 

Im Jahr 1897 wurde ein sechs Meter hohes Kreuz über der zentralen Kuppel angebracht -  damit war das Bauwerk nun 81 Meter hoch. 1899 wurden vierzehn Glocken in den Glockenturm gehievt (sie wurden 1931 beschlagnahmt und eingeschmolzen). In der Zwischenzeit wurden die Arbeiten am Innenraum fortgesetzt, der vollständig mit Mosaiken bedeckt ist und eine Gesamtfläche von über 7.000 Quadratmetern aufweist. Diese üppige Ausschmückung verdient einen eigenen Bericht. 

Die Innenarbeiten waren ebenfalls sehr anspruchsvoll. Die Bauzeit verlängerte sich nach den ersten umfangreichen Vorarbeiten im Jahr 1886 auf mehr als zwanzig Jahre. Die Auferstehungskathedrale wurde schließlich am 6. August (19. August) 1907 in Anwesenheit von Nikolaus II. und dem kaiserlichen Gefolge mit großem Pomp eingeweiht. 

Als kaiserliches Monument wurde sie direkt vom Staat und nicht von einer Gemeinde oder einer kirchlichen Einrichtung unterstützt, doch mit der Abdankung von Nikolaus II. im Februar 1917 endete die staatliche Unterstützung. In den folgenden Jahren wurde die Kontrolle über das Anwesen an verschiedene kirchliche Institutionen mit ungewissem und zuweilen widersprüchlichem Status übergeben. Eine kurze Zeit lang war es die Hauptkathedrale der Stadt.

Überleben unter der Sowjetherrschaft 

1930 wurde die Kirche per Staatsdekret geschlossen und das Gebäude der Gesellschaft der politischen Gefangenen (aus der Zeit vor der Revolution) übergeben, um ein Museum zu errichten, das der Bewegung „Volkswillen“ gewidmet war - der Gruppe, die das Attentat auf Alexander II. verübt hatte. 

Gleichzeitig gab es bereits Pläne für den Abriss des Gebäudes, da es sich in den Augen der Sowjets um ein kaiserliches Monument von geringem künstlerischem Wert handelte. Die Umsetzung der barbarischen Entscheidung wurde durch heftige Proteste von Museumsexperten aufgeschoben. Mit dem Kriegsausbruch am 22. Juni 1941 wurden die Abrisspläne weiter hinausgezögert. Die Kirche war während der  schrecklichen Belagerung Leningrads ein Leichenschauhaus. 

Nach dem Krieg wurde das marode Gebäude als Kulissenlager für das Maly-Theater genutzt. 1968 wurde es schließlich zum Kulturdenkmal erklärt und im April 1971 in die Obhut des Museums der Isaakskathedrale übergeben. Bald darauf begannen Spezialisten mit einer langwierigen Restaurierung von enormer technischer und künstlerischer Komplexität. Die erste Phase wurde erst 1997 abgeschlossen, als der Innenraum für Besucher geöffnet wurde.