Eine Viertelstunde vor Beginn der Vorstellung auf der historischen Bühne des Mariinsky-Theaters herrscht in einem schmalen Korridor vor den Schminkräumen erhöhte Einsatzbereitschaft. Die Visagisten tragen das Make-up mit raschen und sicheren Bewegungen auf. Ihre Kollegen, die für den Kostümwechsel zuständig sind, prüfen anhand eines Notizbuchs, ob die Kostüme für die nächsten Szenen bereit sind.
Wenn der dritte Gong ertönt, begeben sich die Darsteller auf die Bühne. Während das Orchester die Ouvertüre spielt, bleibt der Vorhang unten: Die Statisten wärmen sich auf und die Solisten nehmen ihre Plätze ein. Ein Nebel aus der Nebelmaschine umhüllt die Darsteller.
Die 240. Jubiläumssaison von Gioachino Rossinis Oper „Die Italienerin in Algier“ wird eröffnet. Der Saal ist voll besetzt, und der große Meister Waleri Gergijew, der künstlerische Leiter des Mariinski-Theaters, dirigiert. Unter dem Beifall des Publikums hebt sich der Vorhang und die Vorstellung beginnt.
Die historische Bühne des Mariinski-Theaters ist und bleibt eine Kultstätte für die Einwohner und Gäste von St. Petersburg. Sie steht für prunkvolle Atmosphäre des ehemaligen kaiserlichen Theaters und für seine brillanten Inszenierungen, die es dem Publikum ermöglichen, für einige Stunden in die Welt des Kunstwerks zu versinken.
Für diese magische Wirkung sorgen nicht nur das Orchester, das Opern- und das Ballettensemble, sondern auch die zahlreichen Werkstätten, die 1998 im künstlerischen Produktionskombinat des Mariinski-Theaters zusammengeschlossen wurden. Es ist das größte Unternehmen zur Herstellung von Kostümen, Requisiten und Kulissen für Theaterproduktionen in Russland und Europa. Grundsätzlich wurden die Werkstätten der kaiserlichen Theaterdirektion bereits 1874 auf Anordnung von Zar Alexander II. gegründet.
Das Mariinski-Kombinat versorgt fünf Bühnen in drei Städten: drei in St. Petersburg (die historische und die neue Spielstätte sowie die Konzerthalle) und je eine in den Niederlassungen Wladiwostok und Wladikawkas (Republik Nordossetien).
Wie Kostüme genäht werden
In der Produktionsstätte für die Kostüme, die alle Fertigungsstufen abdeckt, werden monatlich bis zu 400 Kostümen beliebigen Zuschnitts hergestellt, von Ballett-Tutus bis hin zu hochmodischen Lederjacken, die in zeitgenössischen Produktionen verwendet werden.
Der Prozess beginnt mit der Vorbereitung des Stoffes: Nach den Entwürfen der Kostümbildnerin werden die Textilien gefärbt und mithilfe von Schablonen handbemalt.
Anschließend wird das Material in die Nähwerkstatt gebracht (es gibt getrennte Werkstätten für Männer und Frauen). Hier werden die Kostüme für jeden Darsteller individuell und nuancenreich genäht.
Beim Nähen eines Ballettröckchens beispielsweise wird Tüll unterschiedlicher Qualität verwendet: unten weicher, damit er angenehm auf den Oberschenkeln der Ballerina aufliegt, und oben härter. In jedes Tutu ist ein „Drahtbügel“ eingelassen, um dem Rock die erforderliche Spannung zu geben. Diese Elemente werden in einer Uhrenfabrik hergestellt.
„Im Laufe der Zeit nutzen sich Tutus ab und sehen aus wie erschlaffte Pilze, also erneuern wir die Schichten, die sich durch Tragen und Wärmeeinwirkung verformt haben. Unsere Röcke sind also recht langlebig, und ein Ballett-Tutu kann auf diese Weise eine ganze Saison lang halten“, sagt die Technikerin Maria. Am Ende der Saison werden einige Kostüme in die Wäscherei und Färberei geschickt, um die Farbe aufzufrischen.
Obwohl moderne Geräte zur Verfügung stehen, ziehen es die Meisterinnen vor, alte Maschinen aus dem 19. Jahrhundert zu verwenden, auf denen die Kostüme in der Zarenzeit genäht wurden.
Zusätzlich zu den Kostümen, werden in den Werkstätten auch Schuhe, Kopfbedeckungen, Frisur-Ausstattungen - Perücken, Haarteile, falsche Schnurrbärte und Bärte hergestellt. Für die Reinigung der Kleidung und Requisiten gibt es eine hauseigene Wäscherei.
Wie das Bühnenbild entsteht
Es gibt noch eine weitere große Abteilung im Theaterkombinat – das Bühnenbild. Sie umfasst Werkstätten für die Herstellung von Kulissen, Requisiten und Bühnenmöbeln sowie vier Malersäle, in denen allein über 30 Personen arbeiten. Am eindrucksvollsten ist der kreisförmige Golowinski-Saal mit einer Fläche von 600 Quadratmetern, der sich direkt unter der Kuppel der historischen Bühne befindet (ungefähr auf der Höhe des 7. Stockwerks). Um dorthin zu gelangen, muss man eine steile Wendeltreppe hinaufsteigen.
Seit 1864 gestalten Künstler die weichen Kulissen - Flügel, Vorhänge, Vouten und andere Bühnenausstattungen.
„Der Raum ist groß genug, um zwei 12 mal 20 Meter große Leinwände auf einmal zu bemalen. Brücken unter der Decke ermöglichen es den Malern, die Proportionen des Gemäldes aus der Höhe zu beurteilen“, sagt Ljudmila Mechonoschina, Künstlerin und Technikerin der Mal- und Kulissenwerkstatt.
Die halbrunden Fenster des Raums sind mit Vorhängen abgedeckt, damit die Sonnenstrahlen die Arbeiten nicht stören und die Farbwiedergabe beim Malen nicht verfälschen: Das künstliche Licht im Raum kommt der Bühnenbeleuchtung sehr nahe.
Die Erstellung einer einzigen Bühnenwand dauert etwa einen Monat. Um den Stoff auf die Bühne zu bringen, wird er aufgerollt und auf einem Flaschenzug über den Feuervorhang direkt unter der Kuppel herabgelassen.
Der Rest der Bühnenbilder für Repertoireproduktionen wird in den Requisitenräumen hinter der Bühne gelagert. Die zahlreichen Waffen aus verschiedenen Epochen erweckt den Eindruck, als würde man ein Waffenarsenal betreten. Dolche, Speere, Äxte, Schwerter und Wappen sehen sehr realistisch aus. Sie wiegen und klingeln auch entsprechend.
„Beim Kämpfen sprühen Funken unter den Schwertern hervor. Die Waffen zerbrechen manchmal im Kampf, deshalb sind sie aus einem ziemlich starken Material hergestellt. Manchmal werden Schwerter oder Degen für historische Produktionen in speziellen St. Petersburger Werkstätten maßgefertigt, aber in den meisten Fällen stellen wir alles selbst her“, sagt Igor Radajew, der Leiter der Waffenkammer und Requisiteur.
Gefährliche Requisiten werden in speziellen Schränken mit Gittertüren aufbewahrt. Besonders wertvolle und teure Waffen lagern in Tresoren. Verschiedene Requisiten wie Puppen, Möbel und Einrichtungsgegenstände sind hinter Vorhängen versteckt.
Das Leben im Backstage des Mariinski-Theaters
Der Raum hinter der historischen Bühne ist eine Welt für sich. Die Requisiten werden unter alten halbrunden Gewölben aus Backstein gelagert. Es gibt eine Schalttafel mit Retro-Monitoren und Knöpfen wie aus alten Raumschiff-Filmen. Wagen mit schweren Kulissen werden auf Schienen gerollt. Es ist kühl hier, aber die Luft erwärmt sich schnell durch die Lichtrampen und Flutlichter, die während der Proben und Aufführungen eingeschaltet werden.
Im Mariinski II gibt es viel mehr Platz. Der Raum hinter der Bühne gleicht vom Maßstab her einem Flugzeughangar.
Das Allerheiligste der Bühne sind die Schminkräume für die männlichen Solisten der Oper und die Hauptdarsteller. Die Atmosphäre hier ist entspannt und freundlich (in den Schminkräumen der Frauen geht es vielleicht etwas hektischer zu).
In der Zwischenzeit treffen auch die Requisiteure ihre letzten Vorbereitungen. Große Silbertabletts mit orientalischen Süßigkeiten und Kupferkaraffen - wie im Märchen von Aladdin - erwarten auf der Bühne ihre Ankunft. Der Baklava sieht köstlich aus und scheint ein Honigaroma zu verströmen. Aber nein: Diese Gerichte, die in einer Requisitenwerkstatt „gebacken“ wurden, werden mindestens eine Saison lang auf der Bühne zu sehen sein.