Die „Sommerhauptstadt Europas“, wie Baden-Baden damals genannt wurde, war für viele russische Schriftsteller wie Lew Tolstoi, Fjodor Dostojewski, Nikolai Gogol oder Anton Tschechow ein beliebtes Reiseziel. Die Russen waren hier willkommene Gäste, wie in der Lokalzeitung „Badenblatt“ zu lesen war. „Keine andere Nation kann sich mit ihnen in Bezug auf Höflichkeit, guten Geschmack, Eleganz und liberale Ansichten messen.“
Baden-Baden
Friedrich Würthle; Karl August Lindemann-Frommel / Public DomainWassilij Schukowski, der die deutsche Romantik nach Russland brachte, Goethe, Schiller und die Gebrüder Grimm übersetzte und den zukünftigen Zaren Alexander II. unterrichtete, zählt zu den ersten russischen Dichtern, die den Reiz der Stadt lieben lernten. Im Jahr 1827 besuchte er Baden-Baden auf seinem Weg nach Paris, und 1848 ließ er sich hier mit seiner Braut, der Deutschen Elisabeth Reitern, nieder, die in der Kurstadt Erholung suchte. Die Hochzeit fand in einer anderen Stadt, nämlich in Düsseldorf, statt.
In Baden-Baden verbrachte Schukowski auch die letzten Jahre seines Lebens. Er soll gesagt haben: „Dieser von Gott gesegnete Ort, an dem Natur und Zivilisation sich in friedlicher Harmonie entwickeln, ist zu jeder Jahreszeit ein paradiesischer Flecken auf der Erde.“
Promenade in Baden-Baden, 1860
Public DomainAuch Iwan Turgenjew hatte die Absicht, sich hier niederzulassen. Der russische Autor, einer der großen Erzähler des 19. Jahrhunderts, lebte viele Jahre in Europa. Er zog der von ihm verehrten Opernsängerin Pauline Viardot nach Baden-Baden hinterher. Dort blieb er von 1863 bis 1870 und ließ eine Villa bauen, die sich zum kulturellen Zentrum der Stadt entwickeln sollte. Baden-Baden ist der Schauplatz seines fünften Romans „Rauch“ (auf Russisch „Dym“).
Eine anziehende Wirkung auf die russischen Gäste hatte nicht zuletzt das örtliche Casino: Berühmte Schriftsteller verloren hier viel Geld, und der Dichter und Diplomat Pjotr Wjasemski wurde sogar aus dem diplomatischen Dienst abberufen, weil er Roulette spielte. Lew Tolstoi, der den Kurort 1857 besuchte, ließ sein gesamtes Bargeld im Casino, machte bei Bekannten Schulden und verlor auch dieses Geld. Daraufhin sah er von weiteren Reisen nach Baden-Baden ab. Fjodor Dostojewski jedoch war mehr als einmal dort. Im Jahr 1863 verspielte er das Geld seiner Geliebten samt seinem eigenen, und 1867 nicht nur Geld, sondern auch seinen Anzug, seine Eheringe und das Kleid seiner Frau.
Spiel-Kasino (Saal Louis XIII), Baden-Baden, vor 1944
Public DomainSowohl Tolstoi als auch Dostojewski griffen in ihren Werken „Anna Karenina“ und „Der Spieler“ (zu Russisch „Igrok“) die Erfahrung des Glücksspiels in deutschen Casinos auf. Baden-Baden gilt sogar als die am dritthäufigsten erwähnte Stadt in der russischen Literatur. Der Ort hält die Erinnerung an seine berühmten russischen Besucher wach - es gibt zum Beispiel Büsten von Turgenjew, Dostojewski und Schukowski.
In diesen Städten hielten sich die Schriftsteller eher auf als dass sie dort lebten. Wie Baden-Baden lockten auch Wiesbaden und Bad Homburg mit ihren Heilquellen und Casinos. Alle drei Städte behaupten, Vorlage des fiktiven „Roulettenburg“ zu sein, in dem Dostojewski die Handlung in seinem Roman „Der Spieler“ ansiedelte.
In Wiesbaden spielte der Glücksspieler 1862 seine erste Partie Roulette, im Jahr 1871 seine letzte. Seine Spielsucht führte dazu, dass Dostojewski fast sein gesamtes Geld und seine freie Zeit im Casino ließ. Im Jahr 1865 verlor er so viel, dass das Hotel, in dem er wohnte, ihm das Essen verweigerte. Man gewährte dem Schriftsteller nur Brot, Tee und manchmal Kerzen. Dostojewski musste seine Freunde und Bekannten in Briefen um Geld bitten, damit das Hotel ihm die Ausreise erlaubte. Doch unter diesen harten Bedingungen begann er mit der Arbeit an einem seiner Hauptwerke - seinem Roman „Schuld und Sühne“ (auf Russisch „Prestuplenije i nakasanije“).
Berlin. Unter den Linden. Friedrichstrasse, 1900 - 1920
Sepia Times / Universal Images Group via Getty ImagesIm 19. Jahrhundert zählte die Berliner Universität zu den großen europäischen Wissenschaftszentren. Als junger Mann träumte Iwan Turgenjew von einer wissenschaftlichen Laufbahn und kam hierher, um zu studieren, da die russischen Universitäten im Bereich der Philosophie, die ihn interessierte, seinen Ansprüchen nicht genügten. Er blieb bis 1841 in der preußischen Hauptstadt und kehrte sechs Jahre später erneut dorthin zurück, dieses Mal wegen seiner großen Liebe Pauline Viardot. Berlin erschien Turgenjew zu dieser Zeit eher als Provinzstadt, doch gleichzeitig spürte der Schriftsteller, dass sich „große innere Veränderungen“ vollzogen hatten: „Berlin ist immer noch keine Hauptstadt; zumindest gibt es in der Stadt keine Spur von hauptstädtischem Leben, obwohl man, nachdem man dort gewesen ist, das Gefühl hat, in einem der Zentren oder Brennpunkte der europäischen Bewegung zu sein.“
Der russische Schriftsteller Iwan Turgenew (ganz rechts auf dem Foto) im Landhaus der Brüder Miljutin in Baden-Baden, 1867.
K.Wertzinge / Public DomainDie Atmosphäre im Deutschen Bund war damals vorrevolutionär - ein Wandel, den Turgenjew spürte: „Es ist, als ob hier etwas erwartet wird, alle schauen nach vorn; aber die Bier-Lokale, wie die Spelunken heißen, in denen dieses ordinäre und abscheuliche Getränk getrunken wird, sind auch voll von den gewohnten Gesichtern; die Droschkenkutscher tragen dieselben unnatürlichen Kappen; die Offiziere sind genauso blond und lang und sprechen den Buchstaben „r“ genauso nachlässig aus; alles scheint in den alten Bahnen zu laufen.“
Was die russischen Schriftsteller jedoch tatsächlich nach Berlin zog, waren die Veränderungen in ihrem eigenen Land in den 1920er Jahren. Die Stadt wurde zu einem der wichtigsten Zentren der russischen Emigration und zur literarischen Hauptstadt der russischen Diaspora. Hier lebten und arbeiteten Maxim Gorki, der später ein führender „Sänger“ des Sowjetstaates werden sollte, Boris Pasternak, der Autor von „Doktor Schiwago“, und viele andere.
Boris Pasternak mit seiner ersten Frau Eugenia Lurje und Sohn Schenja, 1920er Jahre
Public DomainVladimir Nabokov lebte hier 15 Jahre lang, von 1922 bis 1937, veröffentlichte seine ersten Gedichte und Romane, heiratete und wurde Vater. Viele seiner Werke spielen in unterschiedlichem Maße in Berlin. Biographen zufolge mochte er die Stadt jedoch nicht besonders: In seinen Werken wird Berlin stets in düsteren, trüben Farben dargestellt. So schrieb Nabokov an seine Frau: „Meine Liebste, von den beiläufigen kleinen Wünschen möchte ich diesen, einen bereits alten, nennen: Berlin und Deutschland zu verlassen, um mit dir nach Südeuropa zu ziehen. Mir graut vor einem weiteren Winter hier. <...> Ich würde die entlegenste Provinz in jedem anderen Land Berlin vorziehen.“
Auch Dostojewski, der, wenn auch nicht lange, so doch fast zehnmal hier war, konnte über Berlin kaum schmeichelhafte Worte finden: „Auf den ersten Blick bemerkte ich, dass Berlin St. Petersburg unglaublich ähnlich ist... Oh mein Gott, dachte ich mir: Musste ich zwei Tage im Zug verbringen, um zu sehen, was ich hinter mir lassen wollte?“
1736 trafen drei russische Studenten mit Empfehlungsschreiben an den angesehenen Professor Christian Wolff in der Universitätsstadt ein. Der älteste von ihnen, Michail Lomonossow, sollte als Dichter und Wissenschaftler mit enzyklopädischem Wissen auf vielen Gebieten in die russische Geschichte eingehen.
Wolff würdigte die Begabung, den Fleiß und den akademischen Erfolg des jungen Lomonossow. Die Abenteuer des Dichters und seiner Gefährten beschränkten sich jedoch nicht auf das Studium. Alle drei genossen die Freiheit des Marburger Studentenlebens und ließen kaum Gelegenheiten aus, sich zu vergnügen: Sie feierten, verprassten Geld und prügelten sich. Wegen der deutschen Studenten, die ständig Schwerter bei sich trugen, begann Lomonossow sogar mit dem Fechten. Dafür wurde er von der Leitung der Akademie der Wissenschaften gerügt, die die Ausgaben für Fecht- und Tanzlehrer sowie für „Putz und müßige Extravaganzen“ nicht genehmigte.
Marburg/Lahn, Blick vom Roten Graben auf die Türme der Elisabethkirche, 1925-1932
Paul Heinrich Oskar Wolff / Deutsche Fotothek / Public DomainFast zweihundert Jahre später, im Jahr 1912, studierte der 22-jährige Boris Pasternak an der gleichen Universität. In einem Brief an seine Familie schrieb er, dass die Stadt die Atmosphäre des Ortes bewahrt habe, an dem Lomonossow selbst seine Spuren hinterließ: „Hier gibt es keine 'Überbleibsel' des alten Marburg. Ich studiere im alten Marburg“. Marburg kann als Wendepunkt im Leben des Dichters Pasternak bezeichnet werden: Hier gab er seine akademische Laufbahn auf und wurde ein reifer Künstler. Das Gedicht, das den Namen der Stadt trägt, schließt die frühe Periode seines Werks ab. Es beruht auf einem persönlichen Liebesdrama.
Während Pasternak in Marburg studierte, besuchten ihn die Töchter eines russischen Großunternehmers, die der Dichter in Moskau unterrichtet hatte. Pasternak war seit vielen Jahren in die ältere der Schwestern verliebt und beschloss kurz vor ihrer Abreise, sich zu erklären. Er wurde aber abgewiesen. Übermannt von seinen Gefühlen, sprang er auf den Tritt des Schnellzuges, mit dem die Schwestern Wyssozki die Stadt verließen. Die Mädchen mussten den Dichter vor dem Schaffner in Schutz nehmen, bezahlten seine Fahrkarte und fuhren gemeinsam mit ihm nach Berlin. Dort stieg Pasternak in einem billigen Hotel ab und weinte die ganze Nacht in sein Kissen, um am nächsten Morgen nach Marburg zurückzukehren.
Dieser kleine Kurort ist als Sterbeort des Dichters Anton Tschechow in die russische Literaturgeschichte eingegangen. Der Schriftsteller, der als Arzt arbeitete, war selbst seit seiner Jugend an Tuberkulose erkrankt. Die schwere Arbeit, die finanzielle Situation, die häufigen Reisen unter ungünstigen Bedingungen und der ständige Aufschub der Therapie verschlimmerten seine Krankheit.
Denkmal für Anton Tschechow in Badenweiler
Brücke-Osteuropa / Public DomainIm Jahr 1904 kamen der 44-jährige Schriftsteller und seine Frau nach Badenweiler. Sein vorübergehend besserer Zustand sollte nicht lange andauern. Tschechow wurde sogar aufgefordert, das Hotel zu verlassen, weil er einen starken Husten hatte, der andere Gäste verängstigte. Die Stadt machte auf den Schriftsteller einen zwiespältigen Eindruck: In seinen Briefen lobte Tschechow einerseits die Landschaft und die Lebensbedingungen im Kurort, andererseits beklagte er sich über die Langeweile und schimpfte über die Deutschen (vor allem über die deutschen Frauen!) wegen ihrer Geschmacklosigkeit und der „deutschen Ruhe und Ordnung“.
Der Schriftsteller träumte von einer Reise nach Italien und schmiedete Pläne für eine Dampferfahrt. Er sollte sie jedoch nicht verwirklichen: Eines Nachts fühlte er sich so krank, dass er nach den Erinnerungen seiner Frau zum ersten Mal darum bat, einen Arzt zu rufen. Tschechow sprach mit dem Arzt auf Deutsch, das er kaum beherrschte. Seine letzten Worte waren: „Ich sterbe.“ Dann lächelte er seine Frau an, trank ein Glas Champagner und starb in aller Stille. Vier Jahre später wurde in Badenweiler das erste Tschechow-Denkmal der Welt enthüllt.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!