Von Baden-Baden bis Rom: Reisen wie Tolstoi und Tschechow

Iwan Turgenew (r.) mit den Freunden in Baden-Baden

Iwan Turgenew (r.) mit den Freunden in Baden-Baden

K.Wertzinger
Viele russische Autoren des 19. Jahrhunderts bereisten Europa. Oft lockte das Glücksspiel, manchmal aber auch das Abenteuer. Russia Beyond erzählt ihre Geschichten.

Im 19. Jahrhundert war Baden-Baden der beliebteste europäische Wohnsitz für die russische Elite. Die Vorliebe für diese mittelalterliche Stadt im Schwarzwald geht zurück auf die Zeit, in der Prinzessin Louise von Baden als Zarin Elisaweta an der Seite des Zaren Alexander I. herrschte (1801-1825). Bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren Russen die größte ausländische Gemeinschaft in der Stadt.

Zu den Russen, die in der deutschen Spa-Stadt lebten und arbeiteten, gehörten Wassili Schukowski, Nikolai Gogol, Pjotr Wjasemski und Fjodor Dostojewski. Von allen russischen Autoren wird aber vor allem Iwan Turgenew mit Baden-Baden in Verbindung gesetzt.  

Das Turgenew Denkmal in der Lichtentaler Allee, Baden-Baden

Turgenew kam 1865 in die Stadt, um mit seiner Muse, der berühmten Sopranistin Pauline Viardot, zusammen zu sein. Die Tatsache, dass sie verheiratet war, schreckte den zielstrebigen russischen Autor nicht ab. Er verbrachte sieben glückliche Jahre in der Stadt und schrieb unter anderem seine Romane „Rauch“, „Gespenster“ und „Der Hund“. Da Turgenew in engem Kontakt mit der europäischen Intelligenzia stand, spielte er eine entscheidende Rolle dabei, russische Literatur dem Westen nahezubringen.

Vom großen Geld und dem schnellen Ausgeben

Thermalbäder und wunderschöne Landschaften waren nicht die einzigen Gründe, warum russische Autoren in Scharen nach Baden-Baden kamen. Die Stadt beheimatete eines der berühmtesten und luxuriösesten Kasinos Europas, in dem reiche Spielsüchtige oft ihren Reichtum verspielten. Unter ihnen war auch Leo Tolstoi. Als junger Mann hatte er eine Vorliebe für Roulette und verbrachte manchmal ganze Tage im Kasino. Seine Leidenschaft riss ihn beinahe in den Ruin und oft musste er sich Geld leihen.

„Ich konnte ihn nicht vom Roulette-Tisch trennen. Ich hatte große Sorge, dass er alles verlieren würde, weil er selbst sein letztes Geld verspielte. Gott sei Dank gewann er alles am Abend zurück“, schrieb der Dichter Jakow Polonski, der Tolstoi im Juli 1857 in Baden-Baden begegnete. 

Tolstoi lieh sich Geld von Theaterkritiker Michail Kublitski und auch von Turgenew, aber verlor schließlich alles und musste die Stadt verlassen.

Die Vorliebe für das Glücksspiel ist in Fjodor Dostojewskis Roman „Der Spieler“ detailliert beschrieben. Das Werk basiert auf seinen eigenen Erfahrungen. 1863 hatte er all sein Geld im Kasino von Wiesbaden verspielt und auch in Bad Homburg, Baden-Baden und Saxon-Les-Bains erlebte er große Fiaskos. Um aus den Schulden zu kommen, unterzeichnete er einen Vertrag mit einem Verlag für das umgehende Schreiben eines neuen Romans. Glücklicherweise versprach er seiner Frau Anna Snitkina nach deren Hochzeit, nie wieder zu spielen. Bis zu seinem Tod sollte er dieses Versprechen halten.

Reisen in guter Gesellschaft und die Liebe

Bevor sich Leo Tolstoi auf seinem Land in Jasnaja Poljana niederließ, bereiste er nach dem Ende seines Militärdienstes die gesamte Welt. Er verbrachte mehrere Monate in der Schweiz mit seinen Verwandten Elisaweta und Alexandra. Diese hatten ein Haus am Genfer See gemietet und die Gruppe verbrachte viel Zeit auf dem See und beim Wandern. Nach einigen Tagen in Genf reiste Tolstoi weiter in das kleine Dorf Clarens.

Leo Tolstoi

In Clarens freundete sich Tolstoi mit einigen russischen Touristen an. Sie unternahmen Bootstouren, besuchten Restaurants und begaben sich auf lange Wanderungen in den Alpen. Einmal wanderte Tolstoi für zwei Wochen und besuchte dabei kleine Alpendörfer, in denen er sich mit den Einheimischen vertraut machte.

Anton Tschechow, der 1891 nach Italien reiste, traf in Venedig den russischen Dichter Dimitri Mereschkowski, der „vor Freude verrückt war“. Tschechow hoffte aber auch, in Neapel die Liebe zu finden.

„Wünscht mir, dass ich hier eine schöne russische Frau treffe, am liebsten eine Witwe oder geschiedene Ehefrau. Der Reiseführer schreibt, dass Romantik ein essentieller Bestandteil eines Besuchs in Italien ist. Nun, wie dem auch sei, ich stimme allem zu. Dann soll es Romantik sein“, schrieb er in einem Brief nach Hause.

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Unterwegs auf den Straßen der Stadt

Tolstois erster Halt auf seiner Reise durch Europa war Paris, eine Stadt, in der der Autor zwei Lieblingsbeschäftigungen hatte: ziellos mit Bussen umherfahren und durch die Straßen schlendern, um Menschen zu beobachten. Anfang April 1857 schrieb Tolstoi: „Ich lebe nun seit zwei Monaten in Paris und kann den Moment noch nicht vorhersagen, wann ich das Interesse an der Stadt verliere.“

Sein Abschied aber kam früher als erwartet. Einige Tage, nachdem er diese Zeilen geschrieben hatte, erlebte Tolstoi eine öffentliche Hinrichtung. Er war so geschockt, dass er Paris kurz darauf den Rücken kehrte.

Tschechow gestand, dass er Venedig von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang genoss, auf den Kanälen der Stadt hingleitend oder auf dem San-Marco-Platz flanierend.

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Eiscreme-Orgie

Nikolai Gogol verbrachte insgesamt zehn Jahre in Italien. In Rom schrieb er „Die toten Seelen“ und „Der Mantel“ und stellte „Der Revisor“ sowie „Taras Bulba“ fertig. Er bewunderte nicht nur die alte Architektur Italiens, sondern verliebte sich auch in Eiscreme.

Gedenktafel für Nikolai Gogol in Via Sistina in Rom

„Ich sitze hier ohne Geld. Für das alte Zimmer mit Bildern und Statuen zahle ich 30 Francs im Monat, und nur das ist teuer. Das Abendessen ist sehr gut und kostet vier oder sechs Sou. Ich esse kein Eis für mehr als vier Sou; manchmal für acht. Die Eiscreme hier ist etwas, dass Du dir nicht vorstellen kannst“, schrieb er seinem Freund Alexander Danilewski im Jahr 1837.

Nirgends ist es so schön wie zuhause

Beinahe alle russischen Autoren, die Europa bereisten, kehrten früher oder später in die Heimat zurück. Obwohl er von der Schönheit des Genfer Sees begeistert war, schrieb ein trauriger Dostojewski, dass die Einheimischen „Ausländer lediglich als eine Einnahmequelle sehen“.

Tolstoi gewann den gleichen Eindruck von der Schweiz. Während er von der natürlichen Schönheit der Landschaft schwärmte, so war er doch von den Menschen des Landes enttäuscht. Er schrieb sogar eine Geschichte nach einer wahren Begebenheit mit dem Titel „Luzern“, in der er das Leben eines obdachlosen Sängers beschreibt, der für die Reichen Stücke aufführte und nicht bezahlt wurde. Im März 1861 verließ Tolstoi London und ließ sich in Jasnaja Poljana nieder. Europa besuchte er nie wieder.  

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