In Russland ist der Tod berühmter Persönlichkeiten oft von Mythen umgeben. Die Legende besagt, dass Zar Alexander I. nicht jung gestorben ist, sondern als Einsiedler in einem sibirischen Kloster sehr alt geworden ist. Der berühmte russische Schriftsteller Nikolai Gogol wurde lebendig begraben, weil er in einen lethargischen Schlaf fiel. Die Tochter von Nikolaus II., Anastasia, überlebte die Hinrichtung der Zarenfamilie.
Puschkin blieb dieses Schicksal nicht erspart. Es ist paradox, dass es fast 200 Jahre nach seinem Tod immer noch neue Legenden über ihn gibt. Seit etwa zehn Jahren kursiert in den Weiten des russischen Internets zum Beispiel die Hypothese, Alexander Puschkin sei gar nicht gestorben, sondern nach Frankreich gezogen und habe sein literarisches Werk als Alexander Dumas fortgesetzt (seine Romane werden in Russland bis zum Abwinken gelesen, und die Figuren der Drei Musketiere kennt buchstäblich jeder Russe).
Unerwarteterweise gibt es in den Biografien von Puschkin und Dumas viele rätselhafte Übereinstimmungen. Urteilen Sie selbst...
Puschkins letztes Duell und geheimes Begräbnis
1836 verbreitete sich in St. Petersburg das Gerücht, Puschkins Frau Natalia Gontscharowa habe eine Affäre mit dem Franzosen Georges Dantes. Der impulsive Puschkin konnte eine solche Beleidigung nicht ertragen und forderte Dantes zu einem Duell heraus. Im Verlauf des Duells wurde der Dichter tödlich verwundet und starb zwei Tage später. Er wurde jedoch nahezu heimlich begraben.
Der Tod des ersten Dichters des Landes war für viele eine Tragödie und ein Schock; in St. Petersburg war man geneigt, die Behörden und die säkulare Gesellschaft dafür verantwortlich zu machen. Tausende von Menschen, die gekommen waren, um sich von dem verstorbenen Dichter in seinem Haus zu verabschieden, brachten ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck. Um mögliche Unruhen zu vermeiden, ordnete der Zar an, kein öffentliches Begräbnis zuzulassen. Der Öffentlichkeit wurde mitgeteilt, dass die Beerdigung in der Isaakskathedrale in St. Petersburg stattfinden würde, aber der Sarg wurde im Schutz der Nacht mit Gendarmen in die entfernte Provinz Pskow gebracht. Puschkin wurde dort in aller Stille in einem Kloster in der Nähe des Familienbesitzes Michajlowskoje beigesetzt. Bei der Beerdigung waren außer den Gendarmen nur ein Freund und ein paar Bedienstete anwesend.
Ein solcher Tod und ein solches Begräbnis bieten viel Raum für Fantasie und Mutmaßungen. Außerdem klagte Puschkin in seinen letzten Lebensjahren oft über ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Die demütigende Stellung am Hof und die Verpflichtung, an Bällen teilzunehmen, die unruhigen Beziehungen zu Zar Nikolaus I., die hohen Schulden und der Unwille seiner Frau, mit dem Leben in der Hauptstadt zu brechen und aufs Land zu ziehen. Es gab nur zwei Möglichkeiten, aus dieser Sackgasse herauszukommen: Tod oder Untertauchen. Außerdem war es Puschkin zu Lebzeiten nie erlaubt, ins Ausland zu gehen, und er sehnte sich danach, Europa zu sehen. Eine Verschwörungstheorie besagt, dass der russische Zar selbst Puschkin unter dem Namen Alexander Dumas als Spion nach Paris schickte und dafür angeblich 70.000 Rubel seiner Schulden bezahlte (für die damalige Zeit eine enorme Summe).
Könnte Puschkin zu Dumas geworden sein?
Puschkin sprach fließend Französisch und schrieb seine ersten literarischen Versuche in dieser Sprache. Das heißt, theoretisch hätte er durchaus französische Romane schreiben können. Außerdem wurden alle berühmten Romane von Dumas, die ihm literarischen Ruhm einbrachten (Die drei Musketiere, Zwanzig Jahre später, Der Graf von Monte Cristo und die Trilogie über Heinrich von Navarra), kurz nach Puschkins „Tod“ geschrieben – Mitte der 1840er Jahre.
Es gibt einen weiteren überraschenden Zufall. Der Roman Der Fechtmeister wurde von Dumas im Jahr 1840 veröffentlicht. Die Handlung spielt in Russland und verrät, dass der Autor nicht nur die Toponymie von St. Petersburg kennt, sondern auch die russischen Realitäten der damaligen Zeit.
Laut der Handlung bekommt der Autor die Aufzeichnungen eines Fechtlehrers, der in Russland unterrichtete, in die Hände. Viele Schüler des Lehrers wurden später Dekabristen – Teilnehmer am Aufstand der Aristokraten 1825 in St. Petersburg. Der Aufstand wurde niedergeschlagen und die Dekabristen wurden nach Sibirien verbannt.
Das Thema der Dekabristen ging Puschkin schmerzlich nahe, da viele von ihnen seine Freunde waren und er selbst nicht nur deshalb zum Verschwörer wurde, weil er damals in der Verbannung lebte. Zeit seines Lebens hat er nie ein Prosawerk darüber in russischer Sprache verfasst.
Kurioserweise unternahm Dumas in den 1860er Jahren eine Reise durch Russland. Nur kurz in der Hauptstadt, reiste der Schriftsteller in den Kaukasus (wo auch Puschkin gewesen war) und begegnete den Prototypen des Romans Der Fechtmeister. Dumas hatte großes Interesse an der russischen Literatur. Er übersetzte u. a. Puschkins Ode an die Freiheit, für die dieser in die Verbannung geschickt wurde, sowie die Gedichte eines anderen berühmten russischen Dichters und Schriftstellers, Michail Lermontow, und dessen Roman Ein Held unserer Zeit. Dumas soll kein Russisch gekonnt haben und wurde von dem Schriftsteller Dmitrij Grigorowitsch (einem Halbfranzosen) unterstützt.
Was haben Puschkin und Dumas gemeinsam?
Dumas und Puschkin haben in auffallender Weise sehr viel gemeinsam. Zum Beispiel hatten beide afrikanische Wurzeln. Puschkins Urgroßvater, der Äthiopier Abraham Hannibal, war ein Vertrauter Peters des Großen; seine Großmutter war eine schwarze Sklavin von der Insel Haiti. „Er war wie eine Urgewalt, denn sein afrikanisches Blut brodelte“, schrieb der Biograf André Morois über Dumas. Etwas Ähnliches wurde von seinen Zeitgenossen immer wieder über Puschkin gesagt.
Außerdem waren sie fast gleich alt – Puschkin ist 1799 und Dumas 1802 geboren worden. Beide waren durch Disziplin und Einschränkungen belastet, beide waren leidenschaftlich, impulsiv und unglaublich frauenverliebt, beide waren in Ungnade gefallen und im Exil... Schauen Sie sich die Porträts der beiden Schriftsteller an – die Ähnlichkeit ist bemerkenswert!
Auch ihre Handschriften sind einander verdächtig ähnlich…
Die Verschwörungstheorie wird durch eine weitere interessante Tatsache gestützt: In Der Graf von Monte Christo heißt die Hauptfigur Edmond Dantes – Puschkins „Mörder“ war Georges Dantes. Der Dantes bei Dumas hatte seinen eigenen Tod vorgetäuscht und sich für eine andere Person erklärt – den Grafen von Monte Christo. Ist das nicht eine Anspielung von Puschkin? (Und kein Versuch, Georges Dantes zu rechtfertigen, den Puschkins Bewunderer noch immer im Stillen hassen?)
Und in Eugen Onegin wird das Duell und der Tod des Dichters Lenski aus Eifersucht, was ebenfalls mit Puschkins Biografie übereinstimmt.
Übrigens waren beide Schriftsteller sehr produktiv, beide liebten die Geschichte und die Romantik, beide schufen Werke in verschiedenen Genres – sie schrieben Dramen, Romane und Gedichte.
Nun, wenn man wollte, könnte man glauben, dass Puschkin Dumas ist... Es bleibt jedoch ein Rätsel, wie in den späten 1820er und frühen 1830er Jahren (wahrscheinlich vor Puschkins Tod) Dumas’ Stücke - Heinrich III. und sein Hof, Antonius, Napoleon Bonaparte oder Dreißig Jahre französische Geschichte und andere – mit Erfolg auf Pariser Bühnen aufgeführt wurden? Und auch, warum niemand in Dumas, als er durch Russland reiste, Puschkin erkannte.