Gschel: alles, was Sie über das blau-weiße russische Geschirr wissen müssen

Walentin Rosanow
Zur Geschichte des traditionellen russischen Handwerks.

Es gibt kaum mehr als fünf Keramikkünstler, die mit der alten Technologie der Majolika-Keramik aus Gschel arbeiten. Ihre Gegenstände haben wenig Ähnlichkeit mit dem, was gemeinhin mit „Gschel“ assoziiert wird: Sie sind fünffarbig und haben ein Lubok-Ornament.

„Sie glauben nicht, wie wir mit diesen Künstlern für eine Messe verhandeln“, lacht Valentin Rosanow, einer der bedeutendsten Vertreter des Gschel-Handwerks. „Liefern Sie uns bitte Exponate für die Messe“, sage ich. Und er antwortet mir: „Verstehen Sie, ich habe alles seit Jahren im Voraus geplant, manches ist noch nicht fertig, aber es ist schon verkauft.“

Die Gschel-Majolika beruht auf einer anspruchsvollen Fertigungstechnik. Es gibt andere aus Gschel hervorgegangene Produkte, Halb-Fayence, Fayence und Porzellan, die sich in den letzten Jahrhunderten parallel entwickelten. Sie werden in Fabriken und Familienbetrieben hergestellt. Auch einige unabhängige Künstler haben sich mit der Kunst des weißen und blauen Porzellans einen Namen gemacht. Es gibt etwa zehn von ihnen: „Sie haben ihre eigene Abteilung im Russischen Historischen Museum. Dies gilt nicht mehr als Handwerk, sondern als Kunst", sagt Rosanow.

Die Künstler bearbeiten ein Stück während des gesamten Entstehungsprozesses allein: vom Tonstück bis zum Bemalen, Glasieren und Brennen. „Der Künstler arbeitet zwei Monate lang an seinem Krug, und am Ende bekommt er beim Brennen einen Riss, und man muss wieder von vorne anfangen ... Der Anteil an Ausschuss bei Designer-Keramik beträgt bis zu fünfzig Prozent, das Verfahren ist kompliziert – bis hin zum Risiko, dass der Ton von schlechter Qualität ist“, erklärt Rosanow.

Wie hat sich dieses Handwerk von einem Töpferhandwerk zu einem der anerkanntesten russischen Stile entwickelt?

Ein Museumsstück.

Ein Konglomerat aus Dörfern: Gschelski Kust

Gschel ist der Name eines ganzen 60 Kilometer von Moskau entfernten Bezirks, der etwa 30 Dörfer umfasst. Diese Ansammlung von Dörfern, genannt „Gschelski Kust“, ist seit über 700 Jahren für seine Tonsorten bekannt.

In der Gemeinde Gschel gab es weder Grundbesitz noch Leibeigenschaft, sondern Hunderte von Töpferwerkstätten: einige sind noch immer in Familienbesitz, andere haben sich zu Fabriken entwickelt.

Die historischen Aufzeichnungen über den Gschelski Kust reichen bis ins vierzehnte Jahrhundert zurück, als die erste urkundliche Erwähnung der Gschel-Länder im Zusammenhang mit ihrer Eingliederung in das Moskauer Fürstentum erfolgte. Die Dorfbewohner beschäftigten sich damals mit einfachen Töpferarbeiten - sie stellten nicht nur Geschirr, sondern auch andere Haushaltsgegenstände, Pfeifen, Krüge (große Tongefäße) und Spielzeug her.

Ausgrabungen in Gzheli, 2022.

Valentin Rosanow berichtet, dass die Bewohner der Gschel-Dörfer noch immer bei der „Kartoffelernte im Garten“ Scherben von Spielzeug oder Teller mit schlichter Malerei finden, die 200-300 Jahre alt sind. In den Gärten finden sich ausschließlich kaputte Gegenstände, weggeworfene Produktionsabfälle. Bis auf 20 bis 30 Haushaltsgegenstände ist fast nichts in die Museen gekommen.

Im 17. Jahrhundert wurden die Einwohner der Gemeinde Gschel der Moskauer Apothekenbehörde „Aptekarskij prikas“ unterstellt: Die Werkstätten waren nun staatliche Lieferanten von Arzneimittelgefäßen. Zu dieser Zeit wurden in Apotheken verwendete Behälter und Flaschen ausschließlich aus Keramik hergestellt.

Zur gleichen Zeit flohen die Altgläubigen in die tiefen Wälder und Sumpfgebiete der Region, um der Verfolgung und den Nikon-Reformen zu entgehen. „Die Hälfte der Bäume waren abgeholzt, aber in der Umgebung gab es nur Wälder, die als Versteck dienten“, sagt Valentin Rosanow. „Dutzende von Tonarten kamen zum Vorschein, von weiß bis braun. Unweigerlich wurde dieser Ton für technische Zwecke verwendet. Die Altgläubigen lebten in Gemeinden, sie bauten Kirchen. Sie brachten immer ihre Handwerkskunst mit, sie liebten Handarbeiten. Dank dieser Tatsache und des Tons wurde das Gebiet von Gschel zu einem Zentrum der Töpferkunst“.

Gläser aus dem XVIII und XX Jahrhundert.

Für die Herkunft des Wortes „Gschel“ selbst gibt es verschiedene Erklärungen. Die plausibelste Version: Hier fließt der Fluss Gschelka, die Hauptwasserstraße dieser Orte.

Gschel-Produkte waren ursprünglich weder blau noch aus Porzellan, sondern aus einfacher Terrakotta. Der Ton war sehr porös und durchlässig für Flüssigkeiten, die Töpfer bearbeiteten ihn auf unterschiedliche Weise.

Im 17. Jahrhundert brachte Peter der Große, der Holland und seine blauen Fliesen liebte, Teller mit blauem Rand in Mode. Im 18. Jahrhundert kam die berühmte farbenfrohe europäische Majolika - poröse, gänzlich mit Glasur überzogene Keramik, nach Gschel. Sie wurde von Adelshöfen gekauft, ihre Herstellung jedoch war teuer und kompliziert. Die Kunsthandwerker von Gschel begannen, nach Rezepten und Möglichkeiten zur Vereinfachung und Verbesserung der Produktion zu suchen. So entstand die „Gschel-Majolika“: fünffarbig, erdig, mit Lubok-Ornamenten.

Kwasnik, XVIII. Jahrhundert.

Der blaue Phönix

Parallel zur Majolika entwickelten sich auch andere Zweige des Gschel-Handwerks: Halb-Fayence, Fayence und Porzellan. Die Einwohner von Gschel waren auf der Suche nach Rezepten für ausländische Keramik, die in Russland sehr gefragt war und für viel Geld gekauft wurde. Das war die Stunde der Halb-Fayence: Einer ausschließlich in Gschel hergestellten Keramik. Sie war gröber als europäische Fayence, aber dünner und weniger porös. Dann kamen die feinen Fayencen. Was das Porzellan betrifft: Chinesisches und später europäisches Porzellan waren in Russland Gold wert.

Bauerngeschirr aus den Fabriken Kusnezow und Fartalny, Fayence, Ende des 19. Jahrhunderts.

Zum Teil wegen des Porzellans blieb Gschel blau. Die blau-weiße Bemalung kam im 19. Jahrhundert wieder auf: Der Grund dafür war, dass das Porzellan bei einer sehr hohen Temperatur gebrannt wurde und die meisten der braunen, grünen und orangenen Farben, die zur Herstellung von Majolika verwendet wurden, ausbrannten. Kobalt dagegen, das zur Herstellung von Blau verwendet wird, brennt nicht aus. Die weiße Farbe des Hintergrunds ergibt sich aus der Qualität des Tons nach dem Brennen.

Eines der wichtigsten und bekanntesten Motive ist die Rose. Die Rose stellt in den Gschel-Motiven etwas Besonderes dar, sagt Valentin Rosanow: „Gschel-Rosen sind geschlossen, werden mit drei oder vier Strichen gezeichnet, und jeder Künstler hat seine eigene. Wir können den Autor auf einen Blick erkennen, seine Rose ist einzigartig.“

Leider begann das Kunsthandwerk zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts im Zuge der industriellen Revolution auszusterben, weil es nicht mehr gebraucht wurde. Fabriken wurden verstaatlicht, und die Produktionsstätten blieben ohne Besitzer zurück. Die Männer wurden in den Krieg gezogen, und in Gschel war die Keramikkunst ein ausschließlich männliches Betätigungsfeld: „Im Allgemeinen kann man sagen, dass bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts alle Erwerbstätigkeiten außer Haus von Männern ausgeführt wurden und die Frauen den Hof bewirtschafteten“, fügt Rosanow hinzu.

Geschirr von Walentin Rozanow.

In den 1940er Jahren wurde der Kunsthistoriker Alexander Saltykow nach seiner Lagerhaft nach Gschel geschickt. Er widmete sich der Wiederbelebung der Kunst, rekonstruierte den Herstellungszyklus, nahm später in Moskau die Gschel-Keramik in die Museumssammlungen auf und initiierte Ausgrabungen. Die bekannte Künstlerin Natalja Bessarabowa arbeitete unter seiner Anleitung, und gemeinsam schufen sie das „Gschel-Alphabet der Pinselstriche“. Gleichzeitig begann man, das Töpfern an Berufsschulen zu unterrichten. Porzellan wiederum entwickelte sich zu einer Frauendomäne. Als Valentin Rosanow 1974 seine Arbeit in einer Fabrik in Gschel aufnahm, war er der einzige Mann in der Belegschaft.

Jetzt gibt es in Gschel ein staatliches Institut mit einer Abteilung für bildende Kunst und Volkskunst. Der Staat gewährt Steuerbefreiungen für Branchen, die zertifiziert sind und die Volkskunst unterstützen. Auch die Ausgaben für große Ausstellungen werden erstattet. Und die Gschel-Künstler kämpfen auf sich allein gestellt für die Reinheit des Handwerks: „Wer modelliert was? Es gibt so viele Workshops. Wir sehen, dass es hochwertige Arbeiten gibt und solche, die nicht gut sind. Wir haben mit skrupellosen Herstellern zu tun. Sie diskreditieren Gschel, sie bringen schlechte, minderwertige Stücke auf den Markt“, so Rosanow. Die echte Handwerkskunst wird nicht sterben, da ist sich der Künstler sicher.

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