Chochloma: alles, was Sie über das „goldene“ bemalte Geschirr wissen müssen

Legion Media
Wir erzählen Ihnen von der Geschichte und den Mythen, die mit dieser rot-schwarz-goldenen Malerei verbunden sind.
Schöpfkelle in Form eines Hahns

Das alte Kunsthandwerk ist über 300 Jahre alt und wurde nach dem Dorf Chochloma in der Region Nischnij Nowgorod benannt. Tatsächlich entstand es nicht in Chochloma, sondern in Dutzenden von benachbarten Dörfern. Mit der Zeit siedelten sich dort Meister der Chochloma-Malerei an. Und in Chochloma selbst gab es einen berühmten Basar, auf dem Handwerker aus den Dörfern ihre Arbeiten anboten.

Faßförmiges Gefäß.
Bratina-Schale.

Heute wird Chochloma hauptsächlich als Souvenir erworben. Zu Unrecht, sagt Nikolai Guschtschin, einer der berühmten Altmeister der Chochloma-Malerei. Im Gegensatz zu Porzellan ist Chochloma-Geschirr unempfindlich gegenüber Temperaturschwankungen. Auch Frost lässt das Muster nicht rissig werden, was für Porzellan nicht zutrifft. In die Mikrowelle darf man es jedoch nicht stellen, es würde dort anfangen, Funken zu sprühen: Die besondere Technik dieser Malerei versetzt dieses Geschirr mit Elementen aus Metall.

Volkskünstler Russlands Nikolai Guschtschin.

Kunst Geflüchteter

In der alten Rus waren die abgelegenen Wälder und undurchdringlichen Sümpfe in Nischni Nowgorod Zufluchtsorte für geflohene Bauern und Strelizen. Ab dem 17. Jahrhundert begannen die Altgläubigen sich dort anzusiedeln, um sich den Reformen des Patriarchen Nikon zu entziehen. Diese zielten auf Veränderung der orthodoxen Riten und Bücher, um sie den modernen griechischen anzugleichen. Die Gläubigen der „alten Ordnung“ suchten Orte, an denen sie nicht auffindbar waren.

Handwerker des frühen 20. Jahrhunderts.

Sie brachten das Geheimnis der Vergoldung und Bemalung von Ikonen-Einfassungen mit. Später wurde diese Technik für die Verzierung von Geschirr übernommen. Es kamen auch Kunsthandwerker mit - Drechsler, Schnitzer. „Das Land ist unfruchtbar“, sagt Nikolai Guschtschin, „im Winter musste etwas getan werden, an langen kalten Abenden suchten die Menschen nach einer Beschäftigung, mit der sie sich ein Zubrot verdienen konnten.“

Handwerker des frühen 20. Jahrhunderts.

Die Alltagskultur in Russland beruhte auf Holzgeschirr und Holzmöbeln. Im 19. Jahrhundert kam der „russische Stil“ in Mode, und das Interesse an volkstümlicher Kunst wuchs. Das Geschirr wurde 1853 auf der Allrussischen Industrieausstellung in Moskau und 1889 in Paris ausgestellt, wo es den Grand Prix gewann. Seitdem fand es auch im Ausland Beachtung. „Außerdem war das Geschirr für ausländische Käufer vergleichsweise günstig“, fährt Guschtschin fort, „auf anderen Messen oder in ihrer Heimat konnten sie damit gutes Geld verdienen.“ 100 km vom Chochloma-Basar entfernt, in Nischni Nowgorod, fand die größte Messe des zaristischen Russlands statt - der Makarjewskaja-Markt. Hier verlief auch die Wolga, eine wichtige Handelsader. Von dort aus transportierten Händler das Chochloma-Geschirr durch das ganze Land und - über Archangelsk - ins Ausland.

Das Geheimnis der Vergoldung

Einer Legende über Chochloma zufolge floh der Ikonograph Andrej Loskut vor den Reformen Nikons in abgelegene Wälder und bemalte dort „im alten Stil“ Geschirr. Als Soldaten nach ihm ausgeschickt wurden, soll Loskut seine Hütte und sich selbst verbrannt haben. Dies erkläre die goldenen und roten, „feurigen“ Blitze auf dem schwarzen Geschirr.

Schale

Nikolaj Guschtschin hinterfragt die Legenden über den Chochloma-Meister. „Das sind alles Märchen, um das Interesse an diesem Handwerk zu wecken“, sagt er. Die Farben und Blumenornamente der Chochloma-Malerei lassen sich gut mit der Beobachtungsgabe der Meister, der sie umgebenden Natur und der Technologie der Herstellung von Holzartikeln selbst erklären.

„Schwarz, Rot und Gold sind die Hauptfarben der Chochloma-Malerei. Weitere Farben sind gelb, orange, grün und braun. Das Grün hatte verschiedene Schattierungen. Diese Farbpalette hat sich nicht innerhalb eines Jahrzehnts herausgebildet“, erklärt Guschtschin. „Das Geschirr wurde im Ofen gehärtet. In der Farbpalette blieben nur die Ölfarben erhalten, die nicht ausgebrannt waren. Heute sprechen wir von „schwarzem Hintergrund“, aber in meiner Kindheit nannten wir den roten Hintergrund eines Bildes „schwarze Erde“ oder „rot“. Die Motive waren volkstümlich: Menschen, die in unserer Gegend lebten, beobachteten die Natur. Sie sahen Schneeglöckchen blühen, Vogelbeeren reifen, die Früchte der Johannisbeere und anderer Beeren. Beobachtungsgabe, Wahrnehmung der Welt und der Umgebung - alles dies ging in die Technik der Malerei ein. Wir haben von der Natur gelernt“.

Faßförmiges Gefäß.

Bei der Herstellung wurde niemals Gold verwendet, weder echtes noch imitiertes Gold. Zunächst verwendeten die Meister Silber, um den warmen Glanz zu erzeugen, dann Zinn. Das Geschirr war teuer, und nicht jeder konnte sich Zinn leisten: Daher wurde nicht das gesamte Geschirr mit Zinn überzogen, es wurde nur in jenen Bereichen aufgebracht, die golden verziert werden sollten. Solches Geschirr wurde häufig bei Adelsfesten gereicht und an Klöster geliefert, die es für Dörfer bestellten und das teure Zinn bezahlten. Heutzutage wird für die Herstellung Aluminiumpulver verwendet.

Arbeiterin in der Fabrik Chochloma.

Zur Herstellung von Chochloma-Geschirr werden zunächst grobe Holzstücke in das Spannfutter einer Drehbank eingelegt. Deshalb ist die Form des Geschirrs auch immer rund - es wird auf der Drehbank hergestellt. Anschließend wird das weiße Halbfabrikat grundiert, wobei die Poren des Holzes gefüllt werden, damit es die Metallteile nicht aufnimmt. Die Grundierung wird geschliffen und mit gekochtem Öl (Leinöl) in mehreren Schichten aufgetragen.  Nach dem Trocknen des Werkstücks wird das Aluminiumpulver eingerieben, darauf folgt die Lackierung. „Wenn wir das Geschirr lackieren und im Ofen härten, schimmert das Aluminium durch den gelblichen Lackfilm hindurch und erzeugt einen warmen, honigfarbenen Goldton“, erklärt Guschtschin.

Arbeiterin in der Fabrik Chochloma.

Es gibt zwei Arten von Chochloma-Schriften: Hintergrund- und Oberflächenschrift. „Bei der Oberflächenmaltechnik, setzen wir mit einer freien Pinselführung ein Ornament auf die Oberfläche des Gegenstands, auf das Gold“, sagt der Meister. „Die „Hintergrund-Malerei“ wiederum besteht aus zwei Arbeitsgängen, das Malen des Hintergrunds und das Kudrina-Ornament. Zunächst wird mit einem dünnen Pinsel ein Umriss des Ornaments auf die Oberfläche aufgetragen, dann wird die Farbe in Schwarz oder Rot um das Ornament herum aufgetragen. Dabei bleibt das Gold nur in den Umrissen des Ornaments".

Chochloma heute

Die Handwerker von Chochloma gaben ihr Wissen von Generation zu Generation weiter. Die Familien in den Dörfern waren immer groß. Nur einige wenige gingen in die Städte. Zu Sowjetzeiten begannen die Mädchen nach der 8. Klasse eine künstlerische Ausbildung, und die Jungen erlernten das Dreher- oder Tischlerhandwerk, bevor sie zu Armee gingen. Jetzt ist die Situation anders: Niemand kehrt aus der Stadt in die Dörfer zurück.

„Wenn wir jetzt weiße, violette, blaue, rosa Farben in den Produkten, ist uns sofort klar, dass es sich um eine Fälschung handelt. Dafür müssen wir sie gar nicht erst im Haushalt testen“, sagt Nikolaj Guschtschin, „dieses Geschirr ist nicht im Ofen gehärtet worden. Es handelt sich lediglich um Acrylfarben, die mit Acryllack überzogen sind. Sie wären durchgebrannt“.

Materialien zu den Arbeiten an Chochloma.

Die Bedeutung der Chochloma-Malerei wurde in den 2000er Jahren stark untergraben, beklagt der Meister. „Jeder versuchte, mit Souvenirs Geld zu verdienen und malte blaue Schädel im Chochloma-Stil“, sagt er. „Die Farbstoffe schienen durch die Lackschicht hindurch, verschmierten an den Händen und die Farbe blätterte ab, weil sie nicht grundiert war. Die traditionelle Chochloma-Malerei dagegen war nach wie vor im Haushalt gegenwärtig. Damit die Menschen das einheimische Handwerk zu schätzen wissen, ist es notwendig, Wissen über die Handwerkskunst zu vermitteln, Meisterkurse anzubieten, die nicht irgendwie, sondern mit alter Technik durchgeführt werden, Ausstellungen zu organisieren und den Käufer umfassend zu informieren. Ich komme in ein Geschäft und bin erstaunt, als der Verkäufer mir sagt, dass alle diese blauen Schädel kaufen. Sie werden kaufen, was ihr anbietet, aber unsere Aufgabe ist es, ihnen Geschmack zu vermitteln“, sagt Nikolaj Guschtschin.

Nikolai Guschtschin, Volkskünstler Russlands, während einer Meisterklasse.

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